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menschlichen Verhältnissen bürgerlicher, kirchlicher
und sozialer Natur niemals verwerten darf in
einer dem Zweck des Beichtgeheimnisses zuwider-
laufenden Weise. Der Beichtvater muß eher sein
Leben opfern, als daß er das Beichtgeheimnis ver-
letzen darf. Soll das, was gebeichtet ist, offenbar
werden, so muß es seines Charakters als Inhalt
einer sakramentalen Beicht entkleidet, d. h. außer-
halb der Beicht mitgeteilt werden.
ß)sZweck des Beichtgeheimnisses ist zu verhin-
dern, daß die überaus wohltätige Einrichtung des
Erlösers, das heilige Bußsakrament, den Gläu-
bigen beschwerlich und verhaßt werde.
8) Der Umfang des Beichtgeheimnisses er-
streckt sich auf den Inhalt der sakramentalen Beicht
und auf all das, was mit dem Sündenbekenntnis
in einem wesentlichen Zusammenhang steht, sei es
wirklich oder bloß nach der Meinung des Beicht-
vaters und des Beichtkindes.
2. Das Beichtgeheimnis im kanoni-
schen Recht. Außer der ethischen Pflicht, an-
vertraute Geheimnisse nicht preiszugeben, legt die
Entgegennahme der Beicht dem Beichtvater die
Rechtspflicht auf, das Beichtgeheimnis unver-
brüchlich zu bewahren. Der Bruch ist nicht bloß
schwere Sünde und Sakrileg, sondern auch ein
kanonisches Delikt. Der Beichtvater, welcher das
Beichtgeheimnis preisgibt, fügt, wenn auch nicht
in jedem Fall dem Beichtkind, so doch immer
notwendig der Kirche Schaden zu, vergeht sich
gegen die äußere Ordnung, die Rechtsordnung.
Die fractio sigilli berührt daher nicht bloß das
forum internum, sondern in eminenter Weise
auch das korum externum. Wie bei jedem kano-
nischen Delikt müssen wir auch hier Tatbe-
stand und Strafe unterscheiden. Gerade die
Festsetzung bestimmter Strafen beweist, daß das
Beichtgeheimnis nach der Auffassung der Kirche
auch eine Rechts pflicht in sich schließt.
a) Der Tatbestand ist vom kanonischen Recht
entsprechend den dogmatischen Sätzen konstruiert
worden. Hauptgquelle ist der Lateranensische Kanon
Omnis utriusque sexus (c. 12 X 5, 38).
Was den materiellen Tatbestand betrifft, so
kommt das Delikt zustande durch Offenbarung
einer Sünde, die in der sakramentalen Beicht be-
kannt worden ist (peccatum in poenitentiali
ludicio .. detectum, a. a. O.). Die Preis-
gabe des Sündenbekenntnisses muß aber mit der
Person des Beichtkindes in Verbindung gebracht
sein. Daher sagt der zitierte Kanon geradezu:
Caveat (sacerdos), ne prodat pecca-
torem. Dadurch würde nämlich die Beicht ver-
haßt und beschwerlich werden. Daraus folgt, daß
die Offenbarung des peccatum an sich den straf-
baren Tatbestand nicht begründet. Will daher der
Beichtvater den Rat einer weiseren Person ein-
holen, so darf er es tun, aber nur so, daß er den
Fall darstellt, ohne irgendwie die Person
kenntlich zu machen (a. a. O.). Jede Möglichkeit,
daß der Fall auf die Person des Beichtkindes be-
Beichtgeheimnis.
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zogen werden könnte, muß nach menschlicher Vor-
aussicht ausgeschlossen sein. Daher kann der Beicht-
vater selbstverständlich auch die Erfahrungen des
Beichtstuhls für sich in der Seelsorge verwerten.
Aber nicht bloß die Offenbarung der gebeichteten
Sünden gehört zum materiellen Tatbestand, son-
dern auch die Kundmachung von allem, was mit
dem Sündenbekenntnis in wesentlichem Zusam-
menhang steht, so daß dessen Preisgabe auf ein
Aufdecken der gebeichteten Sünden hinauslaufen
würde, kurz gesagt, der ganze einheitliche Akt der
Beicht steht unter dem Beichtgeheimmis. — Das
kanonische Recht lehrt (c. 2 X 1, 31), daß der
Beichtvater das, was er aus der Beicht weiß,
non ut iudex scit, sed ut Deus. Daher
kann der Beichtvater von keiner Macht der Erde
befugterweise zur Offenbarung gezwungen wer-
den, noch auch kann irgend jemand, auch der Papst
nicht, von der Pflicht des Beichtgeheimnisses ent-
binden. Wünscht das Beichtkind, daß der Beicht-
vater den Inhalt der Beicht offenbare, so kann
das nur so geschehen, daß der Inhalt außerhalb
der sakramentalen Beicht wiederholt wird. Dann
beruht die Kenntnis des Beichtvaters auf „mensch-
lichem Wissen“. Die Frage, ob das Beichtkind
dem Beichtvater wirksam die Erlaubnis zur Offen-
barung der Beicht geben könne, ist daher zu ver-
neinen. Zu demselben Resultat gelangt man von
einer andern Seite. Die Entgegennahme der Beicht
legt dem Beichtvater eine doppelte Pflicht auf:
eine Pflicht gegen das Beichtkind und eine Pflicht
gegen die Kirche. Der Bruch des Beichtgeheim-
nisses ist daher ein privatrechtliches wie ein öf-
fentlichrechtliches Delikt. Gibt das Beichtkind dem
Beichtvater die Erlaubnis zur Preisgabe des Sün-
denbekenntnisses, so gilt allerdings der privatrecht-
liche Satz: Volenti non üit iniuria. Das De-
likt kann nach dieser Seite nicht zustande kom-
men. Aber das Beichtgeheimnis ist ein Rechtsgut
im Leben der Kirche, welches zweifellos über das
Interesse des Einzelnen hinausgeht. In foro ex-
terno würde daher stets das kanonische Delikt kon-
sumiert sein, auch wenn das Beichtkind klar und
freiwillig die bewußte Erlaubnis gegeben hätte.
Selbstverständlich wird der Umstand der Erlaub-
niserteilung strafmildernd wirken. Wenn ich eine
Parallele aus dem staatlichen Strafrecht ziehen
dürfte, so möchte ich auf das Sonderdelikt der
Tötung auf Verlangen (R. St.G.B. 8 216) hin-
weisen. Die Pflicht zur Behütung des Beicht-
geheimnisses ist daher immer gegeben, nicht bloß
dann, wenn die Offenbarung zu einem gravamen
des Beichtkindes führen würde. Abgesehen davon,
daß die Möglichkeit eines Schadens für das Beicht-
kind ja kaum ganz als ausgeschlossen gelten kann,
muß der Beichtvater das Beichtgeheimnis hüten
im Interesse einer der vitalsten Institutionen der
Kirche. Dieser öffentlichrechtliche Gesichtspunkt
wird oft zu wenig beachtet. — Der Lateranen-
sische Kanon nennt als Träger des Delikts nur
den sacerdos, d. i. den wirklichen Beichtvater,