Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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kennt also andere Personen, besonders Laien, nicht 
als Subjekte. Ihre moralische Verbindlichkeit zur 
Verschwiegenheit steht hier nicht in Erörterung. — 
Die mocdi der Handlung sind unerheblich. Die 
Offenbarung der Beicht kann geschehen verbo, 
signo, alio quovis modo (a. a. O.). — End- 
lich gehört zum materiellen Tatbestand, daß der 
Beichtvater das Sündenbekenntnis des Beicht- 
kindes einem Dritten preisgibt. Der Kanon 
spricht von prodere peccatorem und revelare. 
Revelare ist aber begrifflich die Mitteilung un- 
bekannter Tatsachen an andere. Durch die Er- 
wähnung der Sünden seitens des Beichtvaters dem 
Beichtkind gegenüber kann daher das Delikt nicht 
zustande kommen. 
Zum formalen Tatbestand wird verlangt, 
daß der Beichtvater schuldhafterweise han- 
delt. Der Kanon spricht allerdings blos vom 
dolus. Nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen gibt 
es aber auch eine kulpose Verletzung des Beicht- 
geheimnisses. Der Unterschied der Schuldarten 
markiert sich auf dem Gebiet der Strafe. 
b) Als Strafe wird in c. 2 D 6 de poen. 
(C. XXXIII, qu. 3) Deposition und lebensläng- 
liche Verbannung genannt. Dieser Kanon ist aber 
viel späteren Ursprungs. Im caput „Omnis utri- 
usque“ lautet die Strafe auf Deposition und Ver- 
weisung in ein Kloster mit lebenslänglicher Buße. 
Diese schwere Strafe wird aber nur bei doloser 
Verletzung angedroht. Bei culpa steht die Strafe 
im Ermessen des Bischofs. Es ist selbstverständ- 
lich, daß es sich hier um poenae vindicativae 
handelt, also ein Prozeß vorhergehen muß. 
3. Das Beichtgeheimnis im staat- 
lichen Recht des Deutschen Reichs. Die 
Rezeption der fremden Rechte am Ende des 
15. Jahrh. brachte die Regeln des kanonischen 
Rechts über das Beichtgeheimnis auch als staat- 
lich bindendes Recht zur Anerkennung. Als dann 
später das Staatskirchentum in den partikulären 
Gesetzgebungen sich zur Geltung brachte, finden 
wir staatliche Strafnormen über die Verletzung 
des Beichtgeheimnisses. Was speziell Preußen be- 
trifft, so bedroht der § 80 des Allgemeinen Land- 
rechts TI II, Tit. 11 den Geistlichen, welcher das 
Beichtsiegel bricht, mit Amtsentsetzung. 
Die heutige deutsche Reichsgesetzgebung berührt 
das Beichtgeheimnis, wenn auch nicht expressis 
verbis, a) in der Zivilprozeßordnung (C.P.O.), 
b) in der Strafprozeßordnung (St. P.O.), c) im 
Strasgesetzbuch (N. St.G.B.). 
Die §8 383 C. P. O. und 52 St.P.O stellen 
gleichlautend ein Zeugnisverweigerungsrecht für 
die Geistlichen auf „in Ansehung desjenigen, was 
ihnen bei Ausübung der Seelsorge anvertraut 
ist"“. Es handelt sich hierbei nicht um die Be- 
hütung von Geheimnissen, welche etwa bei 
Ausübung der Seelsorge dem Geistlichen anver- 
traut sind, sondern diese Paragraphen bezwecken 
im öffentlichen und privaten Interesse den Schutz 
der Vertrauens stellung des Seelsorgers über- 
  
Beichtgeheimnis. 
  
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haupt. Nach den Satzungen der katholischen Kirche 
fällt unter die „Ausübung der Seelsorge“ die 
Entgegennahme der Beicht. Daher gelten diese 
Paragraphen auch dem Schutz des Beichtgeheim- 
nisses. Das Zeugnisverweigerungsrecht der Geist- 
lichen im Sinn der zitierten Paragraphen ist ein- 
mal bloß ein Recht, keine Pflicht. Ob der Geist- 
liche in concreto über das ihm Anvertraute 
Zeugnis ablegen dürse, überläßt das Prozeß- 
recht lediglich seiner Beurteilung. Für den katho- 
lischen Priester ist also hierbei das kanonische 
Recht maßgebend. Weiter besteht jenes Recht bloß 
in einem Aussageverweigerungsrecht. — In 
5 385 Abs. 2 schränkt die C. P.O. das Zeugnis- 
verweigerungsrecht wieder erheblich ein, stellt also 
die allgemeine Zeugnispflicht im vollen Umfang 
wieder her, wenn der betreffende Zeuge von der 
Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden 
ist. Wenn also das Beichtkind den Beichtvater 
vom Beichtgeheimnis entbindet, kann der Beicht- 
vater dann nicht durch die Gewalt des Staates 
gezwungen werden, den Inhalt der Beicht 
preiszugeben? Wäre es so, dann würde aller- 
dings ein schwerer Gewissenskonflikt gegeben sein. 
Allein nach der authentischen Interpretation 
(Kommissionsprotokolle S. 128) ist nicht jede 
tatsächliche Entbindung ausreichend, sondern 
nur jene, welche „nach dem für den einzelnen 
Fall zur Anwendung kommenden objektiven Recht 
wirksam erteilt worden ist"“. Ob und wie 
Geistliche durch die Einwilligung des Anver- 
trauenden wirksam entbunden werden, ist nach 
den Religionsbegriffen bzw. Normen der Kon- 
fession der Geistlichen zu entscheiden. Wie für 
evangelische Geistliche die Kirchenordnungen maß- 
gebend sind, so für katholische Priester das ka- 
nonische Recht. Wir haben aber oben unter Nr2 
gesehen, daß eine Entbindung vom Beichtgeheim- 
nis nach kanonischem Recht gänzlich ausge- 
schlossen ist. Daher kann niemand, auch das 
Beichtkind nicht, den Beichtvater von der Ver- 
schwiegenheitspflicht wirksam entbinden. Die 
St. P.O. kennt den Fall der Wiederherstellung 
der Zeugnispflicht bei Geistlichen überhaupt nicht. 
Die C. P.O. weicht auch darin von der St. P.O. ab, 
daß sie über das Zeugnisverweigerungsrecht noch 
hinausgeht und in § 383 Abs. 3 ein objektives 
Vernehmungsverbot für den Richter statuiert hin- 
sichtlich derjenigen Tatsachen, „in Ansehung 
welcher erhellt, daß ohne Verletzung der Ver- 
pflichtung zur Verschwiegenheit ein Zeugnis nicht 
abgelegt werden kann“. Es ist daher richterliche 
Pflicht, von Amts wegen von der Vernehmung 
alles auszuschließen, was der Geistliche offenbar 
in seiner Vertrauensstellung als Seelsorger er- 
fahren hat, was also offenbar unter das Zeugnis- 
verweigerungsrecht fallen würde. ç 
Beide Prozeßordnungen stellen aber die An- 
wendung des Zeugnisverweigerungsrechts ni 
in das Belieben des betreffenden Zeugen, sondern 
fordern für die erlaubte Ausübung desselben die 
weidel
	        
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