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Lüttich, die königlichen Musikkonservatorien in
Brüssel, Lüttich und Gent, eine Industrie= und
Minenschule in Mons usw. Andere wissen-
schaftliche Anstalten sind: die große Landes-
bibliothek in Brüssel, die Bibliotheken in Gent
und in Lüttich, die Universitätsbibliothek in Löwen,
das durch seine Reichhaltigkeit berühmte Staats-
archiv in Brüssel, die Archive in Brügge und
Gent, 1 Sternwarte und zahlreiche Museen in
der Landeshauptstadt und über 100 Anstalten für
Kunst und Literatur. Zahlreich sind die wissen-
schaftlichen Gesellschaften, besonders in den Pro-
vinzen; nennenswert ist unter andern die schon
1657 gestiftete königliche Gesellschaft Wyngaerd
für Hebung der vlaemischen Literatur. — 1905
erschienen 510 politische Zeitungen, darunter 81
tägliche, 242 Fachschriften für Handel und Indu-
strie, 94 für Finanzen usw.
Außer der katholischen und der protestantischen
Kirche sind in Belgien auch noch der anglikanische
und der israelitische Kultus vertreten. Die prote-
stantische Kirche wird von einer Synode in
Brüssel geleitet, deren Präsident den Namen Bi-
schof führt; sie zählt Gemeinden in Antwerpen,
Brüssel, Courtrai, Dour, Gent, Hoorebecke,
Lüttich, Mons, Paturages, Rongy, Roulers,
Ste-Marie, Seraing, Tournai und Verviers. Die
Anglikaner mit 6 Kapellen stehen unter dem Bi-
schof von London, die Israeliten haben eine
Zentralsynagoge in Brüssel, Synagogen in Ant-
werpen, Arlon, Gent und Lüttich.
6. Materielle Kultur. Die Landwirt-
schaft wird in Belgien zum größten Teil auf
kleinen Grundflächen betrieben, und zwar durch
Pächter, wenig durch Eigenbesitzer. An ihren
Betrieben waren 1895 (letzte Zählung) beteiligt
1204 810 Personen (44,82 weibliche auf 100
männliche); Durchschnittslohn 1,98 (vweibliche
1,22) Francs. Bebaut waren 1895 etwa 67%,
etwa 17% sind Waldungen. Fast 600 000 Acker-
güter blieben unter 1 ha, 12 190 zwischen 20 und
50 ha, 3400 umfaßten über 50 ha. Der Acker-
bau liefert Getreide aller Art, deckt aber bei
der großen Volksmenge den Bedarf nicht; außer-
dem liefert er Zuckerrüben, Kartoffeln, Flachs,
Hanf, Hopfen, Zichorien, Krapp, Tabak. Obst ist
im UÜberfluß vorhanden, der Weinbau beschränktsich
auf die Provinz Lüttich, die Holzgewinnungdecktden
Bedarf nicht. Die Abhänge und Täler des Berg-
landes und die fetten Wiesen des Flachlands be-
günstigen die Pferde-, Rindvieh= und Schafzucht,
die Küsten des Meeres bieten der Fischerei ein
weites Feld. Die Viehzucht blüht besonders in
Flandern, Brabant und im Limburgischen, wo
man den weitberühmten Käse erzeugt. Flandern
ist außerordentlich reich an Kaninchen. Zur Förde-
rung land= und forstwirtschaftlicher Interessen
besteht eine aus Fachmännern gebildete Zentral-
stelle, der Oberagrikulturrat, gebildet aus zwei
vom Minister des Innern berufenen Präsidenten
und den Vertretern der 9 landwirtschaftlichen Pro-
Belgien.
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vinzialkommissionen, deren Mitglieder vom König
ernannt werden. Daneben wirken Agrarkomitien,
17 Landes= und Zentralvereine, ferner Bezirks-,
Zweig= und andere Vereine, die oben erwähnten
landwirtschaftlichen Schulen und Institute und
Anstalten für landwirtschaftlichen Kredit. —
Bergbau und Hüttenbetrieb sind besonders in
den südlichen Provinzen wichtige Erwerbsquellen.
Das Land hat Überschuß an Steinkohlen, die in
zwei gewaltigen Becken lagern; das westliche, un-
gefähr 900 qkm groß, zieht sich durch Hennegau
und Namur, das östliche, 450 qkm, folgt dem
Maastal (Lüttich). Salz muß eingeführt werden.
Zahlreiche Marmorbrüche finden sich in den Pro-
vinzen Hennegau, Namur, Lüttich und Luxem-
burg, Dachschieferbrüche in Namur und Luxem-
burg, Schleifsteine zu Alt-Salm bei Luxemburg,
Tonlager in der Provinz Namur.
Die gewerbliche Industrie steht auf einer
hohen Stufe und beschäftigt etwa 20% der
Bevölkerung. Sie ist sehr frei und nur an be-
stimmte Gewerbevorschriften, teils mit Gesetzes-
kraft teils in Form von Instruktionen an die
Behörden, gebunden. Zur Förderung der gewerb-
lichen Industrie dienen als freie Vereine Handels-
und Gewerbekammern, Handels= und Industrie-
verbände, 1 Handels-, Industrie= und Schiff-
fahrtsgesellschaft in Antwerpen und 5 Handels-
kammern. Daneben bestehen noch freie Ver-
einigungen von Gewerbetreibenden, die zahlreichen
Syndikalkammern (autonome gewerbliche Ge-
nossenschaften), welche in der Union syndicale
in Brüssel eine zentrale Vereinigung besitzen.
Letztere, 1875 gegründet, fördert die Errichtung
gewerblicher Genossenschaften und sucht alle jene
Maßnahmen auf legalem Weg durchzuführen,
die den Interessen der Industrie förderlich sind. —
Ein Hauptzweig der gewerblichen Tätigkeit ist
die Eisenindustrie in den Provinzen Lüttich,
Hennegau, Brabant, Namur und Luxemburg; sie
liefert vorzüglich Stabeisen, Schienen, Bessemer-
und andere Sorten Stahl, Werkzeuge und Waffen
(Lüttich). Außerordentlich entwickelt ist der
Maschinenbau mit den Hauptsitzen in Seraing
(John Cockerill), Lüttich, Charleroi, Brüssel, Gent.
Die alte, früh ausgebildete Glasindustrie hat sich
hoch emporgeschwungen. — Die Rübenzucker-
produktion ist sehr bedeutend; die Bierbrauerei
deckt den einheimischen Konsum nicht, während die
Branntweinbrennerei, Gerberei, Tabak= und Pa-
pierfabrikation (Brüssel und Lüttich) für den Ex-
port arbeiten. — Am höchsten ausgebildet sind
die Textilbranchen, unter denen wieder die Leinen-
industrie die erste Stelle einnimmt. Sie zeichnet
sich durch hochfeine Gespinste und Gewebe aus
und hat ebenso wie die Baumwollen= und Schaf-
wollenindustrie ihren Hauptsitz in den Provinzen
Ostflandern (Gent, Alost, St-Nicolas und Dender-
monde), Westflandern (Courtrai), Antwerpen
(Mecheln und Turnhout), Brabant (Brüssel und
Arrondissement Nivelles) und Hennegau (Tournai).