Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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bald in einem zweiten Schriftchen: Pro respon- 
sione sua ad librum lacobi Britanniae regis 
(Rom 1609). Im gleichen Jahr erschien eine von 
dem katholischen, in Frankreich lebenden Juristen 
Wilhelm Barclay verfaßte (erst nach dessen Tod 
(1605l durch seinen Sohn Johann hrsg.) Schrift, 
welche vom katholischen Standpunkt aus in einer 
der herrschenden Anschauung widersprechenden 
Weise das Verhältnis des Papstes zu den welt- 
lichen Fürsten besprach und insofern der Theorie 
Jakobs zu Hilfe kam (De potestate Papae, an 
et qduatenus in Principes saeculares ius et 
imperium habeat [Lond. 16091). Zur Beleuch- 
tung dieser Schrift mußte Bellarmin sich um so 
mehr bewogen fühlen, weil Barclay gerade ihn 
als Vertreter der herrschenden Ansicht der Theo- 
logen angegriffen hatte. Darum gestaltete sich auch 
die gegen Barclay gerichtete Schrift des Kardinals: 
Tractatus de potestate Summi Pontificis in 
rebus temporalibus contra Guil. Barclaium 
(Rom 1610), zu einer maßvollen Verteidigung 
der früher in den Kontroversen und teilweise auch 
in der Schrift De translatione imperü ver- 
tretenen Lehre über die indirekte Gewalt der Kirche 
über das Zeitliche (vgl. Hergenröther, Kath. Kirche 
n. christl. Staat 421 ff). — Seine letzte hier zu 
erwähnende Arbeit: De officio principis chri- 
stiani libri tres (Rom 1609), ist eine an 
Wladislaus, den Sohn Sigismunds III., Königs 
von Polen und Schweden, gerichtete Ermahnungs- 
rift 
Der ebenso durch Frömmigkeit und Friedens- 
liebe wie durch Gelehrsamkeit ausgezeichnete Kar- 
dinal starb, 79 Jahre alt, am 17. Sept. 1621 zu 
Rom. Von ihm stammt das Wort: „Eine Unze 
Frieden wiegt schwerer als ein Pfund Sieges- 
ruhm.“ Das Lob der größten Lauterkeit, vollen- 
deter Abneigung gegen alles Schmähen der Gegner, 
der gewissenhaftesten Darlegung der gegnerischen 
Ansichten und ihrer Begründung geben ihm auch 
Protestanten, wie Mosheim u. a. Noch bei Leb- 
zeiten Bellarmins erschien im protestantischen 
Deutschland ein Buch mit dem Titel: Zuverlässige 
und wahrhafte Geschichte des verzweiflungsvollen 
Todes Robert Bellarmins — P. Gretser hatte es 
leicht, das infame Pamphlet zurückzuweisen, von 
dem selbst die Protestanten erklärten, es sei ein 
Buch „voll grober Lügen und Verleumdungen, 
das die Verehrung der katholischen Zeitgenossen 
gegen den Kardinal nur erhöhen konnte“ (Ersch 
u. Gruber, Allg. Enzyklop. VIII 434). 
Von antikirchlicher Seite wird Bellarmin viel- 
fach als Erfinder und Vertreter „extrem ultra- 
montaner“ bzw. „spezifisch jesuitischer“ Lehren in 
kirchenpolitischen und politischen Dingen hin- 
gestellt. Die Wahrheit ist, daß Bellarmin nur die 
bis auf seine Zeit vorherrschenden Ansichten aller 
theologischen Schulen in sehr maßvoller und um- 
sichtiger Weise verteidigt hat. Wenn man mit be- 
sonderem Nachdruck darauf hinweist, daß das Pa- 
riser Parlament das Buch Bellarmins gegen 
Bellarmin. 
  
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Barclay sofort nach seinem Erscheinen (1610) 
zum Scheiterhaufen verurteilt habe, so war dieser 
Akt gehässiger Willkür um so unverantwortlicher, 
weil bis zu jener Zeit fast sämtliche französische 
Theologen mindestens ebenso mißliebige Dinge, 
und noch stärkere, oft wahrhaft gefährliche Lehren 
vorgetragen hatten, ohne von dem Parlament be- 
helligt zu werden. — Zwei Punkte sind es, die 
hier vorzüglich in Frage kommen, nämlich: 1) die 
Gewalt des Papstes in zeitlichen Dingen bzw. 
über die Träger der zeitlichen Gewalt, und 2) der 
Ursprung der zeitlichen Gewalt selbst und die da- 
durch bedingte Natur des erlaubten Widerstands 
gegen dieselbe. 
In Bezug auf den ersten Punkt, die Gewalt 
der Päpste in zeitlichen Dingen, den 
Bellarmin zuerst De Romano Pontif. I. 5, 
dann in den Schriften gegen König Jakob und 
Barclay behandelt, spricht er sich gegen eine ex- 
treme Auffassung der Gewalt des Papstes im 
Zeitlichen so scharf aus, daß Sixtus V. in über- 
eiltem Eifer den betreffenden Band der Kontro- 
versen auf den Index setzen ließ, von dem er je- 
doch alsbald nach dem Tod jenes Papstes abgesetzt 
wurde. Bellarmin verwirft entschieden die, wie 
sein Gegner Barclay richtig bemerkt, fast nur von 
Kanonisten, kaum jemals von Theologen ver- 
tretene Ansicht, daß der Papst Herr der ganzen 
Welt oder doch der christlichen Welt sei, und be- 
hauptet, derselbe besitze überhaupt keine politische 
Jurizsdiktion direkt kraft göttlichen Rechts; wohl 
aber besitze der Papst eben in seiner höchsten geist- 
lichen Gewalt zum geistlichen Wohl der Christen 
indirekt auch eine gewisse Macht über die zeitlichen 
Dinge oder das Gebiet der zeitlichen Gewalt in- 
sofern, als er in solchen Fällen, wo das geistliche 
Wohl es fordert, auch auf diesem Gebiet wirksam 
eingreifen könne. Die prinzipielle Verschiedenheit 
und Selbständigkeit der zeitlichen Gewalt gegen- 
über der geistlichen werde damit nicht aufgehoben, 
vielmehr geradezu anerkannt; jene habe, wie diese, 
ihre eigenen Fürsten, Gesetze und Gerichte, 
jene bestehe unter und neben der geistlichen Ge- 
walt ebenso vollständig und vollkommen wie 
vorher, ehe es eine Kirche gab. Darum mische 
sich die geistliche Gewalt ordentlicherweise nicht in 
die zeitlichen Geschäfte, sondern lasse dieselben 
ebenso ihren Gang gehen, wie es geschähe, wenn 
die zeitliche Gewalt allein bestünde, solange jene 
Geschäfte nicht dem geistlichen Zweck zuwider oder 
zur Erreichung desselben notwendig seien; im letz- 
teren Fall hingegen könne und müsse die geist- 
liche Gewalt die weltliche in zweckentsprechender 
Weise zurechtweisen. Von diesem Standpunkt aus 
rechtfertigt Bellarmin insbesondere das im Mittel- 
alter geübte Recht der Päpste, im Bedürfnisfall 
die Fürsten abzusetzen und ihre Reiche andern zu 
übertragen, sowie auch die Einsetzung des abend- 
ländischen Kaisertums durch Papst Leo III., die 
nach seiner historisch-juristischen Anschauung in 
einer eigentlichen Übertragung der Rechte des
	        
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