Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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des mit Wohn-, Wirtschafts= oder Fabrikgebäu- 
den bebauten Grund und Bodens und der damit 
in Verbindung stehenden eingefriedigten Hofräume 
kann aber der Grundbesitzer gegen seinen Willen 
niemals angehalten werden. Die Billigkeit und 
das allgemeine Rechtsbewußtsein gebieten es, daß 
der Grundeigentümer für den durch den Bergbau 
seinem Besitz und Nutzungsrecht, ja auch seinem 
Eigentum entzogenen Grund und Boden Ent- 
schädigung erhält. Die Entschädigung oder Gegen- 
leistung ist obligatorisch. Die Verbindlichkeit wird 
— vom fjuristischen Gesichtspunkt betrachtet — 
durch einen Vertrag begründet, der zwischen dem 
beeinträchtigten Grundeigentümer und dem Berg- 
werksbesitzer entweder gütlich zustande kommt oder 
in Ermanglung gütlicher Einigung durch die Ver- 
waltungsbehörden ergänzt wird. Der Grund- 
eigentümer ist nämlich zur Hingabe und Ab- 
tretung seines Grund und Bodens zu Zwecken 
des Bergbaus gesetzlich verpflichtet. Dadurch 
wird wiederum den Bergwerksbesitzern das Recht 
zur Vertragsschließung verliehen. Sind dem Eigen- 
tümer nur Besitz und Nutzungsrechte entzogen, so 
fällt das Vertragsverhältnis unter den Begriff des 
Pachtertrags. Handelt es sich dagegen um Grund- 
abtretung, dann haben wir es mit einem Kauf- 
vertrag zu tun. Verpächter bzw. Verkäufer ist der 
Grundeigentümer, Pächter bzw. Käufer hingegen 
der Bergwerksbesitzer. Der Betrag der von letz- 
terem zu gewährenden Gegenleistung, der Pacht- 
zins oder der Kaufpreis, wird in Ermanglung 
gütlicher Einigung durch das Urteil der Verwal- 
tungsbehörden oder der richterlichen Instanz fest- 
gestellt. Das Urteil ist ein Quasikontrakt, es ver- 
tritt die Stelle des Vertrags selbst. 
Die Entschädigungsfrage als solche ist in 
einer für den Grundeigentümer keineswegs un- 
günstigen Weise geregelt. Sowohl der Schürfer 
als auch der Bergwerkseigentümer ist verpflichtet, 
dem Grundbesitzer für die entzogene Nutzung 
jährlich sogar im voraus vollständige Entschädi- 
gung zu leisten und das Grundstück nach be- 
endigter Benutzung zurückzugeben. Für den Fall 
der Rückgabe ist der Bergwerksbesitzer zur Wieder- 
herstellung in den vorigen Stand nicht verpflichtet. 
Tritt durch die Benutzung aber eine Wertvermin- 
derung des Grundstücks ein, so muß er bei der 
Rückgabe den Minderwert ersetzen. Der Eigen- 
tümer des Grundstücks kann in diesem Fall auch 
fordern, daß der Bergwerksbesitzer das Eigentum 
des Grundstücks erwirbt. Der Grundeigentümer 
hat also unter allen Umständen zu beanspruchen: 
1) die jährlich im voraus zu zahlende voll- 
ständige Entschädigung für die entzogenen Nutzun- 
gen, 2) bei der Rückgabe des Grundstücks nach 
seiner Wahl entweder den Grundstücksminderwert, 
oder er beläßt das Grundstück dem Bergwerks- 
eigentümer und übereignet ihm dasselbe definitiv 
für einen Preis, sogar nach dem außerordentlichen 
Wert. Für die vom Schürfer und Bergwerks- 
besitzer zu leistenden Verpflichtungen kann der 
Bergwesen. 
  
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Grundbesitzer auch vorweg die Bestellung einer 
angemessenen Kaution verlangen. 
Neben der Entschädigung für den zum Berg- 
baubetrieb abgetretenen Grund und Boden kommt 
noch der Schaden in Betracht, welchen der Berg- 
bau dem Grundeigentum als solchem und dessen 
Zubehörungen zufügt (bergbauliche Beschä- 
digungen). Die Grundbesitzer haben eine Ent- 
schädigung für alles dasezu beanspruchen, was sie 
durch den Bergbau überhaupt verlieren, z. B. für 
Entziehung von Wasser, für Versenkungen der 
Oberfläche, für Beschädigungen und den Einsturz 
der Gebäude usw. Der Entstehungsgrund der 
Verpflichtung zum Schadenersatz liegt allein in 
der Tatsache der Beschädigung als solcher. Die 
Verbindlichkeit selbst tritt mit dem Augenblick der 
Schadenszufügung ein. Der Augenblick der Ent- 
stehung des Schadens entscheidet auch über die 
Person des Verpflichteten, so daß der Anspruch 
gegen denjenigen zu richten ist, welcher zur Zeit 
der vorgekommenen Beschädigung Besitzer des 
Bergwerks ist bzw. war. Die Entschädigung muß 
vollständig sein. Der Grundbesitzer erhält also 
auch für zufällige Grundschäden den Ersatz des 
gesamten Schadens und des entgangenen Ge- 
winnes. Der Schadenersatz selbst ist nach den 
Vorschriften des B.G.B. zu leisten. 
Der Bergwerksbesitzer ist nicht zum Ersatz des 
Schadens verpflichtet, der an Gebäuden oder 
andern Anlagen durch den Betrieb des Berg- 
werks entsteht, wenn solche Anlagen zu einer Zeit 
errichtet worden sind, wo die denselben durch den 
Bergbau drohende Gefahr dem Grundbesitzer bei 
Anwendung gewöhnlicher Aufmerksamkeit nicht 
unbekannt bleiben konnte. Muß wegen drohender 
Gefahr die Errichtung von Anlagen und Ge- 
bäuden unterbleiben, so kann der Grundbesitzer 
Vergütung der Wertminderung, die sein Grund- 
stück dadurch etwa erleidet, fordern. Er verliert 
aber diesen Anspruch, wenn sich aus den Um- 
ständen ergibt, daß die Absicht, solche Anlagen zu 
errichten, nur kundgegeben wird, um jene Ver- 
gütung zu erzielen. 
Das Grundeigentum hat übrigens in Preußen 
in neuester Zeit dem Bergwerkseigentum im Inter- 
esse des Bergbaus weitere Konzessionen machen 
müssen, indem die preußischen Gesetze, betreffend die 
Verteilung der öffentlichen Lasten bei Grundstücks- 
teilungen und die Gründung neuer Ansiedlungen 
in den Provinzen Preußen, Brandenburg, Pom- 
mern, Posen, Schlesien, Sachsen und Westfalen 
sowie in der Provinz Hannover, in der Provinz 
Schleswig-Holstein und in der Provinz Hessen- 
Nassauvom 25. Aug. 1876, 4. Juli 1887, 13.JuniD 
1888 und 11. Juni 1890 durch die Gesetze vom 
16. Sept. 1899 und 10. Aug. 1904 dahin ergänzt 
worden sind, daß die Ansiedlungsgenehmi- 
gung versagt werden kann, wenn gegen die An- 
siedlung von dem Besitzer eines Bergwerks, wel- 
ches unter dem zu besiedelnden Grundstück oder in 
dessen Nähe belegen ist, Einspruch erhoben und
	        
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