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Besatzungsrecht. Unter einem doppelten
Gesichtspunkt ist das Besatzungsrecht Gegenstand
völkerrechtlicher Betrachtung, unter jenem des
Garnisonsrechts (droit de garnison) und unter
jenem des Okkupationsrechts (droit Toccu-
pation). Das Recht, Garnisonen auf fremdem
Staatsgebiet zu halten, galt seit dem West-
fälischen Frieden ebenso wie die Wege-
gerechtigkeiten und das Durchzugsrecht als affir-
mative Staatsservitut, war aber im Grund
der Sache eine militärische Mitherrschaft zwecks
Sicherung der Verteidigung. Das damalige
Staatsrecht unterschied noch weiter zwischen dem
Besatzungerecht im eigentlichen Sinn als der Be-
fugnis, beständig eine Garnison in einen Ort zu
legen (ius praesidiü), und dem Offnungsrecht
(•ius aperturae), oder dem Recht, einen Ort nur
in bestimmten Fällen zu besetzen. Zugunsten von
Kaiser und Reich bestanden solche Besatzungsrechte
in den Festungen von ganz Südwestdeutschland
schon wegen der gebotenen Vorsichtsmaßregeln
Frankreich gegenüber. Einen Nachteil hatten diese
kaiserlichen Prärogativen allerdings insofern, als
sich die Reichsfürsten und Stände nicht sehr be-
eilten, den von kaiserlichen Truppen besetzten
Festungen zu Hilfe zu kommen. Auch boten sie
der französischen Diplomatie unter Ludwig XIV.
den bequemen Vorwand, der König führe nicht
mit dem Reich, sondern nur mit dem Kaiser Krieg,
der die Festungen besetzt halte, welche Frankreich
bedrohen. — Für die Entstehung, den Bestand
und den Wegfall solcher Besatzungsrechte ist die
Staatsgeschichte Belgiens und Deutschlands be-
sonders lehrreich. Was Belgien betrifft, so ist
zunächst der Barriérentraktat von 1715 bemer-
kenswert, welcher den reichen Gürtel belgischer
Festungen in Spaniens und später Osterreichs
mächtigen Händen durch das Holland eingeräumte
Mitbesatzungsrecht minder bedrohlich machen sollte.
Kaiser Joseph II. schob dasselbe ziemlich rücksichts-
los beiseite. — Die eigentümlichsten Formen
solcher sog. Staatsdienstbarkeiten kamen im deut-
schen Reich vor. Die Zersplitterung Deutsch-
lands in eine Menge von Souveränitäten, beson-
ders am Ausgang des 17. Jahrh., begünstigte
die gegenseitige Einräumung von Besatzungsrech-
ten unter benachbarten Kleinstaaten in deren wich-
tigsten Grenzorten. Die gemeinsamen Garniso-=
nen boten eine gewisse Bürgschaft für das wechsel-
seitige gute Einvernehmen, erhöhten die Wider-
standskraft und ermöglichten es auch, daß man
die Fortschritte im Kriegswesen wechselseitig über-
wachen und nachahmen konnte.— Die Wiener Kon-
greßakte erblickte in den Besatzungsrechten eines
der Mittel zur Aufrechterhaltung eines wohlgeord-
neten politischen Gleichgewichts. Das Besatzungs-
recht der Präsidialmächte des Deutschen Bun-
des in Mainz, Rastatt, Ulm dauerte bekanntlich
bis zum Krieg des Jahres 1866. Im Zusammen-
hang hiermit standen die Truppendurchzugsrechte
und die Grundsätze über die Exterritorialität solcher
Besatzungsrecht.
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durchmarschierenden selbständigen Abteilungen.
Das Besatzungsrecht in den alten Bundesfestungen,
wozu auch Luxemburg und Landau gehörten, hob
die Oberhoheit der Territorialherren durchaus
nicht auf, sondern beschränkte dieselbe nur in Be-
zug auf die Festungswerke, welche gleichsam als
allodiale Domäne des gesamten Deutschen Bundes
galten. Die Wiener Schlußakte vom 15. Mai
1820 gestattete der Bundesgewalt ein Inter-
ventionsrecht bei überhandnehmenden Unruhen in
einzelnen Bundesstaaten und folgerichtig auch den
Einmarsch von Truppen, keineswegs aber ein Be-
satzungsrecht über die Zeit der Unruhen hinaus,
wie ein solches seit 1833 fast ein Jahrzehnt lang
gegen die freie Stadt Frankfurt von Osterreich
und Preußen tatsächlich ausgeübt wurde. In der
Schlußakte wurde auch das Besatzungsrecht in
Toskana, Modena und Parma dem Ermessen
Osterreichs anheimgestellt.
Die neuere Ausgestaltung des Inhalts der
Souvberänität als der ausschließlichen uneinge-
schränkten Selbstbestimmung voll= und gleichberech-
tigter Staaten verträgt sich nicht mehr mit einer,
wenn auch örtlichen Einengung der Militärhoheit,
und die fortschreitende Ausbildung eines plan-
mäßigen Netzes von Schiffahrtskanälen und Eisen-
bahnen, wobei überall auf Kriegszwecke Bedacht
genommen ist, hat die militärische Bedeutung ge-
mischter Besatzungen in Festungen und an Grenz-
orten verringert. Wann und wo noch Besatzungs-
rechte auf fremdem Gebiet ausgeübt werden, kommt
dies auf Grund eines Kondominiums oder
der Okkupation von Staatsgebiet vor. So
steht die Republik Andorra in den Ostpyrenäen
unter französischer und spanischer Schutzherrlich-
keit, und wiederholt wurden zur Schlichtung von
Parteifehden dort Besatzungsrechte ausgeübt. Seit
1854 befindet sich das indische Sultanat Maskat
unter der Hoheit von England und Frankreich,
seit 1884 beansprucht Rußland zur Sicherung
seiner transkaspischen Etappen= und Eisenbahn-
linien Besatzungsrechte in den zentral-asiatischen
Emiraten. — Auf Grund der Gasteiner Kon-
vention vom 14. Aug. 1865 hatten sich Osterreich
und Preußen gemeinsam die souveräne Gewaltüber
die beiden eroberten Herzogtümer Schleswig und
Holstein vorbehalten und vereinbart, daß Oster-
reich Holstein, Preußen Schleswig militärischbesetzt
halten und verwalten solle, während auf Lauenburg
von Osterreich gegen Vergütung der Kriegskosten
Verzicht geleistet wurde. — Art. 25 des Berliner
Vertrags vom 13. Juli 1878 übertrug Osterreich-
Ungarn das Mandat, die Provinzen Bosnien
und Hercegovina zu besetzen und zu verwalten.
Auch im Sandschak von Novipasar die Verwaltung
zu übernehmen, lehnte Osterreich-Ungarn ab, be-
hielt sich aber vor, dort Besatzungen zu halten und
militärische sowie Handelsstraßen zu besitzen. Die
weitere Auseinandersetzung über diese Punkte er-
folgte in der Militärkonvention zwischen Osterreich=
Ungarn und der Türkei vom 21. April 1879,