817
er sich in seinem Recht verletzt glaubt, auch sofori
die Klage anstellen, welche in diesem Fall zunächst
an die Verwaltungsgerichte unterer Instanz
(Kreis-, Stadt= und Bezirksausschüsse), in letzter
Instanz ebenfalls an das Oberverwaltungsgericht
geht. Doch schließt die Anbringung des einen
Rechtsmittels das andere aus. Die Beschwerde
ist binnen zwei Wochen bei derjenigen Behörde
anzubringen, gegen deren Verfügung sie gerichtet
ist. Diese kann alsdann nach nochmaliger Unter-
suchung der Sache selbst der Beschwerde abhelfen.
Wil sie das nicht, so muß sie unter Mitteilung
an den Beschwerdeführer die Beschwerdeschrift an
die vorgesetzte Behörde abgeben. Dieser steht es
frei, Beweise zu erheben und alle zur Aufklärung
dienlichen Maßregeln zu treffen. Doch bestehen
hierüber keine gesetzlichen Vorschriften. Soweit
sie derartige Maßregeln nicht für notwendig er-
achtet, hat die vorgesetzte Behörde das Recht,
lediglich nach Inhalt der Akten zu entscheiden.
Gegen die Androhung eines polizeilichen Zwangs-
mittels zur Durchführung einer polizeilichen Ver-
fügung finden dieselben Rechtsmittel statt wie
gegen die Anordnungen, um deren Durchsetzung
es sich handelt, also die Beschwerde und gegebenen-
falls die Klage nach obigen Grundsätzen. Gegen die
Festsetzung und Ausführung eines Zwangsmittels
findet in allen Fällen nur die Beschwerde statt. —
Gegen die Beschlüsse der Behörden der allgemeinen
Landesverwaltung, denen nicht die polizeiliche Ge-
walt, sondern die Verwaltung imengeren Sinn
zusteht (welche stets Kollegien unter dem Vorsitz
des Landrats, Regierungs= oder Oberpräsidenten
und unter Verwendung von Selbstverwaltungs-
organen sind, also der Kreis-, Stadt= und Bezirks-
ausschüsse und der Provinzialräte), steht entweder
die Klage im Verwaltungsstreitverfahren oder die
Beschwerde zu. Die Grenze ist gezogen in dem
Zuständigkeitsgesetz vom 1. Aug. 1883, zwar
kasuistisch, aber durchweg nach dem Grundsatz,
daß die Klage wegen Rechtsverletzungen, im
übrigen die Beschwerde gegeben ist. Diese Be-
schwerde steht binnen zwei Wochen zunächst dem-
jenigen zu, welcher sich durch den Beschluß einer
der genannten Behörden beschwert fühlt, außer-
dem aus Gründen des öffentlichen Interesses dem
Vorsitzenden der Behörde. Die Beschwerde gegen
die Beschlüsse eines Kreis= oder Stadtausschusses
geht an den Bezirksausschuß, die Beschwerde gegen
die Beschlüsse des letzteren in erster Instanz an
den Provinzialrat. Die Beschlüsse des Provinzial-
rats sind meist unanfechtbar; in einigen Fällen
sind sie mit der Beschwerde an den Minister an-
fechtbar. Die Beschwerde ist bei derjenigen Be-
hörde anzubringen, gegen deren Entscheidung sie
sich richtet. Ist eine Gegenpartei vorhanden, so
hat die Behörde dieselbe unter Mitteilung der Be-
schwerdeschrift zur Gegenerklärung aufzufordern
und darauf die Verhandlungen mittels Berichts
derjenigen Behörde einzureichen, welcher die Ent-
scheidung über die Beschwerde zukommt. Diese
Beschwerderecht.
818
Entscheidung geschieht im sog. Beschlußverfahren,
und zwar auf Grund der verhandelten Akten,
sofern nicht das Gesetz ausdrücklich mündliche
Verhandlung vorschreibt. Die Behörden sind aber
auch in allen andern Fällen befugt, die Beteiligten
oder deren Vertreter zur mündlichen Verhandlung
vorzuladen. Alsdann gelten für die mündliche
Verhandlung dieselben Grundsätze wie bei der
Klage im Verwaltungsstreitverfahren, einschließ-
lich des Grundsatzes der Offentlichkeit. — In
Baden ist die Verwaltungsbeschwerde vielfach
abweichend geregelt durch die Verordnung vom
31. Aug. 1884, betreffend das Verfahren in Ver-
waltungssachen. Sie wird dort Rekurs genannt.
Die Rekurse gegen Entscheidungen der Landes-
kommissäre sowie gegen Entscheidungen und Ver-
fügungen der Bezirksämter und Bezirksräte gehen
im allgemeinen an die ressortmäßig zuständigen
Ministerien, unter Umständen an das Staats-
ministerium. Auch hier kann der Vorsitzende des
Bezirksrats gegen Beschlüsse des letzteren den Re-
kurs einlegen, wenn er das öffentliche Interesse
für verletzt hält. — In den übrigen deutschen
Bundesstaaten ist das Beschwerderecht noch we-
niger folgerecht entwickelt.
2. Die Beschwerde auf dem Gebiet des Prozeß-
rechts. Diese hat einen andern Charakter als die
Beschwerde auf dem Gebiet der Verwaltung. Die
Unterscheidung von Verletzung eines Rechts und
Beeinträchtigung eines Interesses ist bei ihr nicht
maßgebend. Ein Prozeß kann niemals entstehen
wegen Schädigung von Interessen, sondern nur
wenn eine Partei gegenüber einer andern die Ver-
letzung eines ihr zustehenden individuellen Rechts,
eines privaten (Zivilprozeß) oder eines öffent-
lichen (Verwaltungsstreitverfahren), oder wenn der
Staatsanwalt gegenüber einem Angeschuldigten
die Verletzung des Strafrechts (Strasprozeß) be-
hauptet. In allen diesen Fällen wird mit der
Klage die Beseitigung oder Sühne einer Rechts-
verletzung erstrebt. Die gerichtliche Verhandlung
über diese Klage ist der Prozeß. In demselben
hat das zur Entscheidung berufene Gericht sich
lediglich zu richten nach den für den Prozeß gel-
tenden gesetzlichen Bestimmungen, ohne auf irgend
welche Interessen Rücksicht zu nehmen. Verletzt
das Gericht diese Bestimmungen, so steht in vielen
Fällen den Parteien eine Beschwerde zu. Der
Grund dieser Beschwerde ist also immer die Be-
einer Rechtsverletzung, aber nicht der
eines individuellen Rechts, sondern der
einer allgemeinen Rechtsnorm des
Verfahrens durch den Richter, aus
allerdings meist eine Verletzung der
Interessen des Beschwerdeführers
Aus einer solchen entsteht natürlich kein
Recht auf seiten der betroffenen
Partei; wohl aber hat diese die Befugnis, im
Weg der Beschwerde die Befolgung der Rechts-
norm zu verlangen. Es kann daher unter Um-
ständen diese Beschwerde beiden Parteien gleich-