Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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Versäumnis, endlich vom Beweis zum ewigen 
Gedächtnis (probatio ad perpetuam rei me- 
moriam), welch letzterer auch dem geltenden Recht 
unter dem Namen „Sicherung des Beweises“ be- 
kannt ist (C.P.O. §8 485/494). Er wird auf 
Gesuch des Beteiligten vom Gericht in besonders 
vorgeschriebener Form dann erhoben, „wenn zu 
besorgen ist, daß das Beweismittel verloren 
oder die Benutzung desselben erschwert werde“ 
(ogl. B.G.B. 8§ 477 Abs. 2 bis 479 485 639 
Abs. 1). Ein langsamer Beweis ferner im 
Gegensatz zum schleunigen heißt in der Theorie 
derjenige Beweis, welcher notwendig das gericht- 
liche Verfahren verzögert, z. B. der Zeugenbeweis, 
da bei diesem die Ladung der Zeugen und die 
Anberaumung eines besondern Verhandlungs- 
termins notwendig wird, im Gegensatz zum Ur- 
kundenbeweis, wenn die Urkunde in der Verhand- 
lung vorgelegt werden kann. — Wichtiger als 
diese Unterscheidung, die sich auf das Beweisver- 
fahren bezieht, ist die Einteilung in vollständigen 
und unvollständigen Beweis. Vollständig ist 
ein Beweis, der die Überzeugung des Richters 
hervorruft, also juristische Wahrheit schafft, d. h. 
dem Richter so viele und so starke Gründe für 
die Wahrheit einer Behauptung darbietet, daß die 
Annahme des Gegenteils unverständig erscheint. 
Unvollständiger Beweis ist dann gegeben, wenn 
dieser Grad richterlicher Uberzeugung nicht her- 
vorgerufen wurde und daher durch Eidesauflage 
das Ergebnis des Beweises ergänzt werden muß. 
Die Bestimmungen des gemeinen Rechts hier- 
über, z. B. daß der (klassische) unverdächtige Zeuge 
halben Beweis liefere, also erst durch zwei klas- 
sische Zeugen voller Beweis erbracht werden könne, 
sind im neuen Prozeß beim Grundsatz der freien 
richterlichen Beweiswürdigung veraltet, so daß 
nach diesem auch durch einen Zeugen vollstän- 
dige Uberzeugung des Richters herbeigeführt wer- 
den kann. — Keine Art des Beweises, sondern der 
Gegensatz hierzu, wenn Beweis gleich Beweis- 
führung genommen wird, ist die sog. Glaubhaft- 
machung (Bescheinigung, redliche Anzeigung): sie 
besteht in der Herbeiführung richterlicher Vermu- 
tung für die Wahrheit einer Parteibehauptung 
und setzt noch dazu von seiten des Gegners nicht 
notwendig die Bestreitung dieser Tatsache voraus. 
Beweisverfahren. Der ältiere deutsche 
Prozeß zerfällt in drei Abschnitte: im ersten wird 
darüber verhandelt, ob der Beklagte in dieser 
Sache vor diesem Gericht „antworten“ müsse; 
den zweiten bilden die Behauptungen der Par- 
teien in Verbindung mit der Angabe der Be- 
weismittel; hierauf ergeht ein Urteil, in welchem 
entschieden wird, welche Partei beweisen dürfe, 
was zu beweisen sei und womit der Beweis zu 
liefern sei. Wird dieses Urteil nicht gescholten, 
so folgt das Beweisverfahren, indem die im Be- 
weisurteil genannte Person die einzeln bezeich- 
neten Beweismittel vor Gericht bringt, das nur 
mehr darauf zu sehen hat, daß der angebotene und 
Beweis. 
  
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zuerkannte Beweis in der gesetzlichen Form ge- 
führt werde. — Eine solche Trennung des Pro- 
zesses nach der Verschiedenheit des Parteivor- 
bringens war dem römischen Recht fremd, daher 
schloß sich hier der Beweis sogleich an die be- 
strittene Behauptung an, sofern nicht die Vor- 
führung der Beweismittel eine dilatio (Beweis- 
frist) erforderte. Auch das romanische Recht des 
Mittelalters und der Prozeß vor dem Reichs- 
kammergericht wies den Behauptungen der Par- 
teien und ihrem Beweis keine gesonderte Stelle 
an. Dagegen hat sich die Unterscheidung des alt- 
deutschen Prozesses in dem Gerichtsgebrauch der 
Untergerichte, namentlich aber in der Praxis der 
sächsischen Gerichte dem allgemeinen Rechtsbewußt- 
sein entsprechend erhalten und ist dadurch zur 
Grundlage des gemeinrechtlichen Prozesses ge- 
worden. — In diesem folgt auf das erste Ver- 
fahren, in welchem die Parteien ihre Behaup- 
tungen und Gegenbehauptungen aufstellen, das 
Beweisurteil, welches in definitiver Weise den 
Beweissatz und die Beweislast feststellt sowie in 
bedingter Weise das Endurteil enthält, indem die 
Folgen des Gelingens bzw. Mißlingens eines Be- 
weises im voraus festgesetzt werden. Das Beweis- 
verfahren selbst besteht naturgemäß darin, daß die 
Partei zunächst die zu benutzenden Beweismittel 
nennt (Beweisantretung) und dann das Gericht 
den Beweis wirklich erhebt (Beweisaufnahme), 
also die Zeugen verhört, die Urkunden einsieht usw. 
Für alle diese prozessualen Handlungen sind be- 
stimmte Fristen festgesetzt, deren Versäumung die 
Ausschließung mit der betreffenden Handlung nach 
sich zieht. — Im neuen Prozeß ist der Einschnitt 
des Verfahrens, das Beweisurteil, weggefallen; 
die Parteien haben lediglich ihren Beweis bis zum 
Schluß derjenigen mündlichen Verhandlung, auf 
welche das Urteil ergeht, anzutreten, indem sie ihre 
Beweismittel speziell bezeichnen. Das Gericht 
ordnet dann durch Beweisbeschluß die Er- 
hebung der Beweise an, indem es den Gegenstand 
des Beweises und die Beweismittel sowie den 
Termin zur Beweisaufnahme bestimmt, die auch 
vor einem beauftragten oder ersuchten Richter er- 
folgen kann. Das Gericht ist aber an die Auf- 
fassung nicht gebunden, die es von dem Streit- 
stoff gefaßt hatte, als es den Beweisbeschluß er- 
ließ; daher sind mehrere Beweisbeschlüsse in einem 
Prozeß denkbar, und dieser Gerichtsbeschluß er- 
scheint als prozeßleitende Verfügung, nicht aber 
als Urteil, weshalb auch den Parteien gegen ihn 
keinerlei Rechtsmittel zusteht. Nur wenn das von 
der Partei gebrauchte Beweismittel in der Eides- 
zuschiebung an den Gegner besteht oder der Rich- 
ter, wenn unvollständiger Beweis für eine Be- 
hauptung geliefert wurde, einer Partei den Eid 
auferlegt, erfolgt die gerichtliche Entscheidung durch 
Urteil, das in bedingter Form den Prozeß be- 
endigt, indem es die Folgen der Leistung oder 
Nichtleistung der bestimmt fixierten Eidesformel 
so genau als möglich im voraus festsetzt; hier hat
	        
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