921
beseitigt werden können, darf man wohl annehmen,
daß auch in der Folgezeit keine Anderung des
Programms, es sei denn unter Verzicht auf prak-
tische Arbeit, eintreten wird. Solang die Boden-
reformbewegung das städtische Privateigentum an
Grund und Boden sowie die ganze Wirtschafts-
verfassung nur innerhalb der durch den natürlichen
Staatszweck bezeichneten Grenzen, nicht durch ab-
solutistische und staatssozialistische Maßnahmen,
beschränken will und nur ein mehr soziales Boden-
recht erstrebt, so lange kann man dieser Bewegung
sympathisch gegenüberstehen. Staat und Kommune
haben denn auch in den letzten Jahren schon zahl-
reiche bodenreformatorische Ideen in ihrer Gesetz-
gebung und ihrer Finanz= und Wirtschaftspolitik
durchzuführen sich bemüht.
Literatur. Werke der Bodenreformer: Henry
George, Progress & Poverty (Neuyork 1880 u. ö.;
deutsch: Fortschritt und Armut (51892r, auch bei
Reclam); Flürscheim, Auf friedlichem Weg (1884,
hier ist er noch Anhänger Georges); ders., Der ein-
zige Rettungsweg (1890); derf., Deutschland in
100 Jahren (1897); Franz Oppenheimer, Die
Siedlungsgenossenschaft (1896); derf., Großgrund-
eigentum u. soziale Frage (1898); Damaschke, B.
(21904); derf., Aufgaben der Gemeindepolitik
(51904); Freese, B. (1907). — Jahrbuch für B.
(Vierteljahrshefte, hrsg. von Damaschke, seit 1905);
Die Zeitschrift: Deutsche Volksstimme (Organ des
Bundes der Bodenreformer, seit 1890).— Kritische
Werke: Cathrein, Das Privateigentum u. seine
Gegner (81896); Diehl, Art. „B.“ im Handwör-
terb. der Staatswissenschaften, 2. Aufl.; E. Jäger,
Die Wohnungsfrage (2 Bde, 1902/03); Ad. Weber,
lber Bodenrente u. Bodenspekulation in der mo-
dernen Stadt (1904); Gutzeit, B. (1907). — Eine
Zusammenstellung der deutschen Bodenreformer-
literatur enthält das Jahrbuch für B. (1. Jahrg.,
234 ff), Nachträge die weiteren Jahrgänge.
lSacher.)]
Bodenzerstückelung s. Grundbesitz.
Bodin, Jean, geb. zu Angers 1530, stu-
dierte die Rechte zu Toulouse, lehrte dann die-
selben dort, bis er 1561 als Advokat nach Paris
übersiedelte. Da er hier gegenüber den Meistern
der Advokatur wie Pasquier, Pithon, Loysel nicht
aufkam, warf er sich auf die damals in höchstem
Ansehen stehenden „gelehrten“ Studien und ver-
öffentlichte 1555 die dem griechischen Dichter
Oppian zugeschriebenen Cynegetica in lateini-
schen Versen mit Kommentar. Als Mann von
Geist, außergewöhnlichen Kenntnissen und großer
Gedächtniskraft fand er bald Zutritt zu den Hof-
kreisen Karls IX. und Einfluß auf den eine ge-
lehrte Unterhaltung suchenden Heinrich III. Der
Neid der Höflinge, wie de Thou berichtet, oder
wahrscheinlicher Bodins Haltung auf den Ge-
neralstaaten zu Blois (1576), wohin ihn die
Provinz Vermandois als Vertreter des tiers-état
gesandt, brachten ihn zwar um die Gunst des
Königs, erhöhten aber sein Ansehen bei dem
Bruder des Königs, dem abenteuernden Herzog
von Alengon, dem Haupt der sog. „Politiker",
Bodenzerstückelung — Bodin.
922
d. h. der höfischen Partei, welche nach den Lehren
des Kanzlers de l'Hôpital und mit den Mitteln
des mediceischen Machiavellismus die religiösen
Wirren lediglich als Versuchsobjekt zur Befesti-
gung und Ausdehnung des höfischen Absolutis-
mus behandelten. Die Bildung der Ligue (1576)
und ihr kraftvolles Auftreten geboten Vorsicht,
Alengon aber erneute die Verbindung der Poli-
tiker mit den Hugenotten, und Bodin wurde ihr
Wortführer, daher die Ungnade. Den Interessen
des tiers-Stat und der Politiker diente Bodin mit
Erfolg. Der König wollte einen Teil seiner Do-
mänen verkaufen; Bodin trat dem entgegen, in-
dem er ausführte, die Domänen seien nicht Pri-
vateigentum des Königs, sondern öffentliches
Eigentum des Volkes, der König sei nur Ver-
walter und Nutznießer (usager). Der tiers-état
stimmte bei, die Veräußerung unterblieb. Klerus
und Adel beschlossen, daß die wichtigsten Geschäfte
der Stände künftig einem engeren Ausschuß über-
lassen werden sollten. Bodin, der hierdurch das
Ansehen der Stände aufs äußerste gefährdet sah,
widersetzte sich an der Spitze des tiers-état mit
aller Kraft diesem Vorhaben, und die beiden an-
dern Stände ließen es daraufhin fallen. Endlich
gelang es Bodin, in der religiösen Frage, welche
die Stände aufs heftigste erregte, für die Poli-
tiker einen Scheinerfolg zu erringen. Die Stände
forderten nämlich den König auf, die Wieder-
herstellung der katholischen Glaubenseinheit Frank-
reichs mit allen gesetzlichen Mitteln zu versuchen;
Bodin wußte es durchzusetzen, daß in die Adresse
der Stände an den König die Worte sans guerre
eingefügt wurden. Das entschiedene Eintreten der
Stände für die Herstellung der katholischen Reli-
gion führte bei der unehrenhaften Haltung Hein-
richs III. zu den neuen Bürgerkriegen von 1577
und 1580 ohne Besserung der Lage des Hofs und
zu größerer Unzufriedenheit der Parteien. Alencon
blieb der Abenteurerei treu. Das Projekt der
niederländischen Insurgenten, ihn zum König zu
erklären — er hatte den Titel Herzog von Bra-
bant seit 1582 —, dann die phantastische Braut-
fahrt nach England, um Elisabeth zu freien, hatten
auch Bodin nach diesen Ländern geführt. Alle
Gunsterweise des Herzogs, alle Aussichten der
Politikerschwanden mitdem Tod Alengons (1584).
Es blieb Bodin nur noch die königliche Proku-
ratur in Laon, wo er nun ständig blieb. Nach
der Ermordung der Guises (23. Dez. 1588)
schloß sich Bodin an die Ligue an, später erklärte
er sich für Heinrich IV. Er starb im Jahr 1596
in Laon an der Pest und wurde seinem letzten
Willen gemäß in der Barfüßerkirche begraben.
Höheren, dauernderen Ruhm als im öffentlichen
Leben erwarb sich Bodin durch sein Hauptwerk:
Les six livres de la République (zuerst Par.
1577), eines der merkwürdigsten Bücher der
Spätrenaissance, in Bezug auf den Inhalt (es
bringt den ersten Versuch einer Staatstheorie im
heutigen Sinn) einzig dastehend, in Bezug auf