Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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hält dies Gerücht durch den Umstand, daß Bodin 
in seinen religionsphilosophischen Gesprächen 
(Heptaplomeres), in welchen die Vertreter der 
verschiedenen Religionen gegeneinander auftreten, 
die Rolle des Juden wohl am besten ausgestattet 
hat. Aber Bodins Absicht in diesem Buche, das 
er selbst nicht zu veröffentlichen wagte, geht offen- 
bar dahin, die Indifferenz alles dessen, was außer 
dem Glauben an Gott, die Vorsehung, das Sitten- 
gesetz in einem Religionssystem enthalten sei, so- 
mit die objektive Gleichberechtigung aller geschicht- 
lich gewordenen Religionen zu erweisen und so 
seine Forderung der Toleranz zu begründen. 
Bodin verleugnet das Christentum, vergißt das 
Evangelium über dem Dekalog, sein Glaubens- 
bekenntnis ist das eines abstrakten Theismus. 
— Der Unglaube schloß aber den Aberglauben 
nicht aus. Derselbe Philosoph, der vor keinem 
Angriff auf die Grundlehren des christlichen Glau- 
bens zurückschreckte, schrieb eine weitläufige Ver- 
teidigung des Hexenglaubens (Oémonomanie), 
wie es denn überhaupt keinem Zweifel unterliegen 
kann, daß die Häupter der antikisierenden Philo- 
sophie des Humanismus an der Verbreitung des 
Heremwahne Anteil gehabt haben. In Bodins 
eschichtsphilosophie spielen die Gestirne sowie 
eine phantastische Zahlenarithmetik eine große 
Rolle; in der „Republik“ versucht er das Lebens- 
alter der Staaten aus den Konjunkturen der Ge- 
stirne zu berechnen! II semble donner, sagt 
Baudrillart, une main à Paracelse et I’autre à 
Montesquieu. 
Im einzelnen ist Bodins politisches Sy- 
stem ebensowohl auf die Grundlage der antiken 
Staatslehre als auf die Folgerungen zurückzu- 
führen, die er aus den politischen Wirren seiner 
Zeit für die Theorie der Politik gewinnen zu 
können glaubt. Vor allem fordert Bodin für 
die oberste öffentliche Gewalt die unbedingte Sou- 
veränität, nicht einmal an die Gesetze gebunden, 
nur durch eidlich bestärkte Verträge mit den Unter- 
tanen — als welche Bodin die modernen Ver- 
fassungsurkunden vielleicht gelten ließe — ver- 
pflichtet. Nur durch seine Verantwortung gegen 
Gott und das natürliche Recht ist der Inhaber 
der obersten Staatsgewalt beschränkt. Während 
aber Bodin die Souveränität nicht gehemmt wissen 
will, auch nicht durch eine Teilnahme von Stän- 
den an der Ausübung der Staatsgewalt, unter- 
wirft er den einzelnen keineswegs unbedingt der 
Staatsgewalt; diese findet ihre Schranke in der 
durch das natürliche Recht dem einzelnen zu- 
gewiesenen Summe von Rechten. Das Eigentum 
beruht auf dem natürlichen Recht, die Staats- 
gewalt kann ohne Zustimmung des einzelnen (oder 
seiner Vertreter) dessen Eigentum nicht antasten, 
also auch keine Steuern erheben. Darauf begrün- 
det Bodin das Recht der Steuerbewilligung der 
Stände, während er grundsätzlich jede Art von 
Repräsentativverfassung verwirft . 1, ch. 9—11). 
Bodin erkennt auch die Notwendigkeit selbstän- 
Bodin. 
  
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diger Kräfte im Gemeinwesen neben der sou- 
veränen Gewalt: er will einen pflichttreuen, auch 
dem königlichen Fiskus gegenüber unbeugsamen 
Richterstand, Reichs= und Provinzialversamm- 
lungen, Korporationen jeder Art mit autonomer 
Freiheit, eine wohlgeordnete Beamtenhierarchie. 
Aber die Korporationen können nur mit Genehmi- 
gung des Souveräns entstehen und unterliegen 
jederzeit dem Auflösungsrecht (1. 3). — In die 
Rechtspflege soll der Souverän nicht eingreifen, 
um sich selbst vor Willkür zu bewahren; sein An- 
sehen verliert überhaupt, wenn er sich zuviel in 
das einzelne der Staatsgeschäfte mengt (I. 4, 
ch. 6). Bodin hat im wesentlichen nur die Ideen 
der Häupter der französischen Magistratur, zu- 
mal der Politiker, wie L'Höpital, Pasquier u. a., 
zu einem theoretischen Ganzen verarbeitet: die 
Monarchie als autoritärer Rechtsstaat, dessen Or- 
gane die Parlamente und die Magistratur, nicht 
aber die Stände sind, dessen Souveränität sich 
auch die Kirche nnterwerfen soll — das ist das 
politische System Bodins. — Ein eigentümlicher 
Gedanke Bodins ist die Erneuerung der römischen 
Zensur in ihrer sittenpolizeilichen Aufgabe, der 
Überwachung des Familienlebens, der Erziehung, 
der Schauspiele usw. Trotz seiner unverhohlenen 
Abneigung gegen die kirchliche Autorität will er 
diese Seite derselben erhalten wissen, indem er die 
Verdienste der Kirche um die Aufrechterhaltung 
des Sittengesetzes im Mittelalter, auch gekrönten 
Häuptern gegenüber, hervorhebt und unter anderem 
auf den hl. Ambrosius und Papst Nikolaus I. 
hinweist (I. 6, ch. 1). 
Verdienstvoll, weil auf einem bis dahin fast 
fremden Gebiet gelegen, sind Bodins Erörterungen 
über die verschiedenen Naturanlagen der einzelnen 
Völker und die dadurch bedingte Relativität der 
Gesetze und staatlichen Einrichtungen (I. 5, ch. 1); 
freilich schmälert Bodin sein Verdienst wieder da- 
durch, daß er die Volkscharaktere in ein künstliches 
Schema einzwängt, wobei wohl die Absicht mit 
unterläuft, den ersten Rang unter den Nationen 
seiner eigenen anzuweisen. — Besonders rühmens- 
wert ist die volkswirtschaftliche Einsicht, 
welche Bodin sowohl in einer kleinen Streitschrift 
über die Ursachen der Teuerung als in den ein- 
schlägigen Kapiteln der „Republik“ (I. 4, ch. 2 
u. 3) an den Tag legt. In jener stellt er als 
die Ursache der Preisrevolution des 16. Jahrh. 
die rasche Bermehrung der Menge der Edelmetalle 
dar und übersieht auch nicht den lebhafteren Aus- 
fuhrhandel, die Anfänge des Bank= und Zins- 
rentenwesens, die Monopole, den unproduktiven 
Luxus, besonders aber die schlechte Münzpolitik. 
Für das Münzwesen zeigt er überhaupt ein über- 
legenes Verständnis. Lebhaft tritt Bodin für die 
Vorteile des aufblühenden Welthandels ein, unter 
anderem auch aus dem idealen Gesichtspunkt der 
friedlichen Annäherung der Nationen. Daneben 
sind bei ihm aber die Anfänge des später in 
Frankreich so scharf ausgeprägten Merkantil-
	        
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