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Das letzte endlich ist, daß auch die Betätigung
der Staatsgewalt selbst an bestimmte Regeln ge-
bunden und das öffentliche Recht als eine von
ihrem Ermessen unabhängige Norm anerkannt
werde. Das Interesse der Gesamtheit in Krieg
und Frieden, die Durchführung des staatlichen
Lebens nach seinem ganzen Inhalt erfordert
Unterordnung der einzelnen unter das Ganze und
positive Leistungen für das Ganze. Wie weit soll
nun der einzelne seine Freiheit einschränken, um
dem Ganzen zu dienen? Welches Maß von Last
ist er schuldig, zur Aufrechterhaltung desselben auf
sich zu nehmen? Kriegsdienst und Steuerzahlung
sind die Punkte, an denen zuerst sich hier die
Gegensätze der Interessen begegnen und das Be-
dürfnis einer einseitigem Ermessen entzogenen
Festsetzung wach wird. Mit der volleren Ent-
wicklung des staatlichen Lebens, wo eine ausge-
bildete Verwaltung vorsorgend und abwehrend
nach allen Seiten hin tätig ist, hört das Be-
dürfnis nicht auf, es nimmt nur eine veränderte
Färbung an. Denn nun stehen sich ja nicht mehr
Staatsoberhaupt und Untertan unmittelbar gegen-
über. Ein verzweigtes System von Staatsbeamten
hat sich dazwischen geschoben, an dessen einzelne
Glieder die verschiedenartigen Funktionen verteilt
sind. Die Aufgabe ist nicht mehr, dem nach Er-
weiterung seiner persönlichen Machtfülle strebenden
Oberhaupt einen festen Damm entgegenzustellen,
wohl aber die, eine Bureaukratie, die zu leicht
vergißt, daß der Staat nicht um ihretwillen, son-
dern sie um des Staates willen da ist, in feste
Grenzen zu weisen, soweit immer möglich die
amtliche Zuständigkeit durch Gesetz zu bestimmen,
alle diskretionären Befugnisse zu beseitigen. Gilt
es hier, die rechtliche Freiheit der Bürger gegen
Übergriffe staatlicher Organe zu sichern, so ver-
langt die allseitige Durchführung der Rechts-
ordnung nicht minder, daß auch diese Organe
selbst in ihrer Stellung und Tätigkeit geschützt
und der Willkür von oben entrückt seien. Der ab-
solute Fürst kennt nur Diener, die er annimmt
und entläßt nach seinem Belieben, deren sach-
kundigen Rat er gerne gebraucht, in deren besserem
Wissen, in deren fester Gesinnung er aber nie ein
Hindernis finden will, deren gute Dienste seine
Gnade belohnt, denen aber schlechterdings kein
rechtlicher Anspruch zur Seite stehen soll. Die
Idee des Rechtsstaates fordert Beamte, welche das
Wohl des Ganzen nach eigenem Wissen und Ge-
wissen auch dem Fürsten gegenüber vertreten, deren
amtliche Pflichten und Befugnisse genau geregelt
sind, denen aber auch, solange sie in Ubereinstim-
mung hiermit ihr Amt ausfüllen, ein Recht auf die
aus diesem Amte fließenden Vorteile zukommt.
Das also ist es, was den Absolutismus über-
windet: Anerkennung einer der Willkür der Staats-
gewalt entrückten Rechtsordnung nach allen den
Richtungen, welche sie in sich faßt. Welches aber
sind nun die Mittel, die zu diesem Ziel hinführen
oder das jedesmal Erreichte sicherzustellen im-
Absolutismus.
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stande sind? Wenn man sich der ungeheuerlichen
Überspannung königlicher Macht erinnert, welcher
die Theoretiker des Absolutismus das Wort
redeten, so wird man schon allein in der theore-
tischen Anerkennung von eigenen Rechten der
Staatsbürger ein Großes erblicken. Und je mehr
dieselbe nicht nur von einzelnen verfochten wird,
sondern in das allgemeine Bewußtsein über-
gegangen ist, desto mehr wird sie sich auch bereits
als wirksamer Faktor erweisen. Alsdann aber
wird man dabei nicht stehen bleiben. Jeden
Augenblick kann aufflammende Leidenschaft oder
der Zug eines einseitigen Interesses die unver-
kürzte Macht des Staatsoberhaupts zur Ver-
letzung der nur theoretisch gezogenen Schranken
hinführen. Einen weiteren Schritt in der gleichen
Richtung bezeichnet die Vorstellung, daß das Ver-
hältnis zwischen Fürst und Volk ein Rechtsver-
hältnis sei. Sie liegt jener Theorie zugrunde,
der man bereits auf den Ständeversammlungen
des 15. Jahrh. begegnet und welche in der
Streitliteratur der folgenden Jahrhunderte un-
aufhörlich wiederkehrt: daß der Staat aus einem
Vertrag entstanden sei, in welchem das Volk die
Gewalt, deren ursprünglicher Träger es gewesen,
auf den Fürsten übertragen habe. Aber die Theorie
führte nicht weit, denn während die einen daraus
die Folgerung ableiteten, daß das Volk die Gewalt
jederzeit wieder zurückfordern könne, oder daß der
Fürst nur so viel an Rechten besitze, als ihm da-
mals übertragen worden sei, behaupteten, wie
oben angeführt, die andern, vielmehr habe sich das
Volk durch jenen Vertrag endgültig seiner Macht
entäußert und der absoluten Herrschaft des Fürsten
unterworfen.
Eine andere Streitfrage, welche hiermit eng
zusammenhing, ja in der Begründung der Ant-
wort gewöhnlich darauf zurückleitete, reicht in
der deutschen Literatur noch bis ins 19. Jahrh.
hinein; es ist die von der Pflicht des bedingten
oder unbedingten (passiven) Gehorsams (dgl.
Mohl, Geschichte und Literatur der Staatswissen-
schaften 1I 320 ff). Die Fragestellung war darum
unpraktisch, weil ja nur mehr in den seltensten
Fällen dem Befehl des Oberhauptes der zum
Gehorsam verpflichtete Untertan gegenüberstand.
Redete man also von der Pflicht eines Ministers,
der zuerst dem Befehl des Oberhauptes Folge zu
geben und das Erforderliche zu seiner Durch-
führung zu veranlassen hat, oder von der der Be-
amten, in deren Hand die Durchführung liegt,
oder endlich von der der Untertanen, gegen deren
rechtliche Freiheit möglicherweise diese Durch-
führung sich kehrt? Die Lösung aber wurde noch
dadurch hinausgeschoben, daß die Vertreter des
bloß bedingten oder verfassungsmäßigen Gehor-
sams meistens so weit gingen, auch den aktiven
Widerstand, die revolutionäre Erhebung gegen
eine die Grenze ihres Rechts überschreitende Re-
gierung für erlaubt und zulässig zu erklären.
Den Anhängern der entgegengesetzten Meinung