Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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Vizekönigreich La Plata geschlagen und nach seiner 
Hauptstadt Charcas (jetzt Chuquisaca oder Sucre) 
benannt wurde. Eingeschlossen zwischen Chile, 
Peru und La Plata, verhielt es sich während der 
Revolution der spanischen Kolonien passiv. Erst 
1825 wurde die Macht der Spanier dortselbst 
vollständig gebrochen. 
Am 6. Aug. 1825 erklärte eine zu Chuquisaca 
zusammengetretene Nationalversammlung Hoch- 
Perun, d. h. die vier Provinzen Charcas (Potofi), 
La Paz, Cochabamba und Santa Cruz mit den 
Desiertas de Atalama für einen unabhängigen 
Staat und ernannte Simon Bolivar zum Präsi- 
denten der neuen Republik. Dieselbe hieß auch 
anfänglich dem Libertador zu Ehren „Republica 
Bolivar“; jedoch wurde auf seinen Wunsch dieser 
Name am 11. Aug. in Bolivia umgewandelt. In 
Chuquisaca, dem Sitz der neuen Regierung, trat 
am 25. Mai 1826 ein zweiter Kongreß zusammen, 
der am 25. Aug. die von Simon Bolivar ent- 
worfene Konstitution, den Code Boliviano, an- 
nahm. Zum lebenslänglichen Präsidenten wählte 
man auf Bolivars Vorschlag den kolumbischen 
General Sucre. Letzterer nahm jedoch die Würde 
nur für zwei Jahre an und verließ schon im April 
1828 das Land, da man ihn monarchischer Ab- 
sichten beschuldigte. Ein neuer, am 3. Aug. 1828 
in Chuquisaca eröffneter Kongreß änderte zunächst 
die Verfassung, die nicht demokratisch genug war, 
in wesentlichen Punkten. Großmarschall Santa 
Cruz nahm nach längeren Wirren am 1. Jan. 
1829 die Präsidentschaft an, beruhigte das Land, 
gab ein neues Gesetzbuch, Codigo Santa Cruz, 
ordnete das Finanzwesen und förderte die Ein- 
wanderung. Sein Hauptziel, die Vereinigung 
Bolivias mit Peru, erreichte er nach dem Sieg 
bei Cuzco (8. Aug. 1835). Eine neue Verfassung 
sollte die Vereinigung der beiden Staaten befestigen. 
Jeder sollte seine Angelegenheiten selbständig be- 
sorgen und der gesamte Bundesstaat einer Zen- 
tralregierung unterworfen sein, die Santa Cruz 
selbst unter dem Namen eines Protektors übernahm. 
Dies gab jedoch Veranlassung zu neuen Empö- 
rungen und Bürgerkriegen, in die auch Argentinien 
und Chile eingriffen. Santa Cruz, am 20. Jan. 
1839 bei Yungay von den Peruanern und den 
mit ihnen verbündeten Chilenen geschlagen, verließ 
das Land; in Peru wurde Gamarra Präsident, 
in Bolivia General Ballivian. 
Fortwährende Parteikämpfe füllen die Ge- 
schichte der nächsten Jahrzehnte und hinderten 
einen gedeihlichen Ausschwung des Landes. Selbst 
die kluge, gemäßigte Regierung des Präsidenten 
José Maria de Acha (1861/65), der durch Ab- 
schluß von Freundschafts-, Handels= und Schiff- 
fahrtsverträgen mit den Vereinigten Staaten 
(2. Nov. 1862) und Belgien (10. Febr. 1863) 
Bolivias Entwicklung zu fördern suchte, konnte 
den Geist der Anarchie nicht unterdrücken. Im 
Febr. 1865 wurde er von dem General Mariano 
Melgarejo verdrängt, der sich zum Diktator auf- 
Bolivia. 
  
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schwang. Ein Grenzstreit mit Chile, der 1863 
über den Besitz der Guanolager und Salpeter- 
felder an der Bai von Mejillones ausgebrochen 
war, wurde durch Vertrag vom 10. Aug. 1866 
dahin entschieden, daß der 24. Grad südlicher 
Breite die Grenze bilden, Bolivia aber von dem 
Gewinn aus den Guanolagern an der Mejil- 
lonesbai die Hälfte an Chile abgeben sollte; auch 
mit Brasilien kam am 27. März 1867 ein Grenz- 
vertrag zu stande. Melgarejo wurde am 20. Juni 
1871 verjagt und im nächsten Jahr ermordet. 
In schnellem Wechsel folgten nun die Präsidenten 
aufeinander. Unter ihnen regierte der General 
Hilarion Daza, der 1876 die Würde mit Gewalt 
an sich gebracht hatte, fast unumschränkt und be- 
reicherte sich durch Mißbrauch seiner Gewalt in 
schamloser Weise. Auch der Krieg mit Chile ent- 
sprang selbstsüchtigen Motiven Dazas, der im An- 
fang des Jahrs 1879 die von den Chilenen aus- 
gebeuteten Salpeterlager Atacamas, entgegen einem 
Vertrag von 1874, mit hohen Steuern belegte, 
und als diese nicht sofort bezahlt wurden, die An- 
lagen konfiszierte. Bei diesem schroffen Vorgehen 
stützte er sich auf ein schon 1873 mit Peru ab- 
geschlossenes geheimes Schutz= und Trutzbündnis, 
überließ jedoch seinem Bundesgenossen die Haupt- 
last der Kriegführung. Die schlecht gerüstete bo- 
livianische Armee, die nur 5000 Mann (darunter 
1000 Offiziere) stark war, vereinigte sich bei Arica 
mit den peruanischen Truppen; Daza aber entzog 
sich feig dem Kampfe und wurde im Dez. 1879 
verjagt. General Campero trat an die Spitze des 
Staats und Heeres, welches die unglücklichen 
Kämpfe bei Tacna (27. Mai 1880) und Arica 
(7. Juni) gänzlich auflösten. Bei seiner innern 
Machtlosigkeit mußte Bolivia nach langen Unter- 
handlungen am 4. Mai 1884 mit Chile in San- 
tiago einen Waffenstillstand auf unbestimmte 
Dauer abschließen, demzufolge Antofagasta, d. h. 
das gesamte westlich der Küstenkordillere gelegene 
Gebiet der bisherigen Provincia Litoral Bolivias, 
158000 qkm mit 22 254 Einwohnern, unter 
chilenischer Verwaltung bleiben, zwischen beiden 
Republiken Handelsfreiheit eingeführt und Arica, 
gleichfalls unter chilenischer Verwaltung, den Bo- 
livianern als Hafen überlassen werden sollte. 
Dieser Vertrag wurde vom Kongreß unter dem 
Druck der Umstände genehmigt. Die Parteikämpfe 
lebten wieder auf, und 1899 schwang sich Oberst 
Pando an die Spitze. Präsident seit 1904 ist 
Jsmael Montes. Mit Brasilien ergaben sich lang- 
wierige Schwierigkeiten wegen streitigen Grenz- 
gebiets. Die Nordamerikaner befestigten ihren 
Einfluß im Land, indem sie wirtschaftlich energischer 
Fuß faßten. 
2. Der Flächeninhalt Bolivias wird auf 
1226260 qkm berechnet, die Bevölkerung 
(1900) auf 1734000, noch nicht 1,4 auf 1 qkm, 
geschätzt. Von den Einwohnern sind ca 60% In- 
dianer, von denen 2450000 frei und unabhängig 
umherschweifen; fast 40 % entfallen auf die Weißen 
30“
	        
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