Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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und Mischlinge (Cholos); Neger, Mulatten und 
Zambos sind nur in verschwindend kleiner Zahl 
vorhanden. Die Weißen sind fast ausschließlich 
spanischer Abkunft; Deutsche, Engländer, Fran- 
zosen und Nordamerikaner finden sich in geringer 
Anzahl in den Bergbaudistrikten und größeren 
Städten, wo sie sich als Unternehmer und Kauf- 
leute niedergelassen haben. Die Bevölkerung be- 
kennt sich fast ausnahmslos zur römisch-katholischen 
Kirche; nur wenige sind noch Heiden. Von den 
Departementshauptstädten zählen La Paz 54697, 
Srcre (zugleich Landeshauptstadt) 20 907, Cocha- 
bamba 21 881, Potosi 20 910, Santa Cruz 
15874, Oruro 13575, Tarija 6980, Trinidad 
2556 Einwohner. 
3. Die Verfassung Bolivias beruht auf 
den Prinzipien der repräsentativ-demokratischen 
Republik, in der alle Macht vom Volk ausgeht 
und durch drei getrennte Gewalten, die legislative, 
(xekutive und richterliche, ausgeübt wird. Die 
Verfassung beruht auf der Konstitution von 1826, 
welche 1828, 1831, 1863 und 1880 wesentlich 
abgeändert, April 1898 aufgehoben, aber Okt. 
1899 wieder in Kraft gesetzt wurde. Die gesetz- 
gebende Gewalt liegt in den Händen eines aus 
zwei Kammern (Senat und Deputiertenkammer) 
bestehenden Kongresses. Die mindestens 35 Jahre 
alten Senatoren werden auf 6 Jahre gewählt; 
auch wird der Senat alle Jahre zu einem Drit- 
tel erneuert. Die 75 mindestens 25 Jahre alten 
Deputierten werden auf 4 Jahre gewählt, bei 
zweijähriger Erneuerung der Hälfte der Man- 
date. Die ausübende Gewalt ist einem auf 4 
Jahre gewählten Präsidenten übertragen, welchem 
zwei Vizepräsidenten zur Seite stehen, von denen 
der erste zugleich Präsident des Senats ist. Da- 
neben fungieren 6 dem Kongreß verantwortliche 
Minister: für das Außere und Kultus, Inneres 
und öffentliche Arbeiten, Unterricht und Justiz, 
Kriegswesen, Ackerbau und Finanzen. Zu Ver- 
waltungs zwecken ist die Republick in 8 Depar- 
tements geleilt: La Paz, Chuquisaca (Sucre), 
Cochabamba, Potosi, Santa Cruz, Tarija, Oruro 
und Beni. Jedes Departement zerfällt in durch- 
schnittlich 4 Distrikte (Partidos), diese wieder in 
mehrere Kantone. Als Verwaltungschefs fungieren 
in den Departements die Präfekten, unter ihnen in 
den Distrikten Gouverneure und in den Kantonen 
Korregidoren. Die Rechtspflege ist dem franzö- 
sischen Verfahren nachgebildet, aber ohne das In- 
stitut der Geschwornen. Ein oberster Gerichtshof 
mit vom Kongreß gewählten Richtern befindet sich 
in Sucre, Distriktsgerichtshöfe in den Departe- 
ments, Richter erster Instanz in den Partidos, 
Friedensrichter in den einzelnen Kantonen. Das 
Wappen Bolivias bildet einen ovalen Schild 
mit einer charakteristischen Landschaft (Lama, Berg- 
werk, Pflanzen), golden und blau umrandet mit 
dem Namen des Landes oben und neun Sternen 
unten. Die Nationalfarben sind rot, grün und gelb, 
Kriegs- und Handelsflagge dagegen rot, gelb und 
Bolivia. 
  
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grün, quer geteilt; der mittlere Streifen zeigt das 
gestickte Staatswappen, umgeben von einem grünen 
Lorbeerkranz. 
4. Staatsreligion ist die römisch-katho- 
lische, die öffentliche Ausübung jedes andern Kul- 
tus ist untersagt. Zugleich mit den spanischen Er- 
oberern kamen zahlreiche Missionäre, besonders 
Mercedarier und Dominikaner, in die Länder an 
der Westküste Amerikas: leider hinderte die Grau- 
samkeit der Conquistadores eine ruhige, friedliche 
Tätigkeit der Missionäre. Eine überaus segensreiche 
Wirksamkeit entfalteten später die Jesuiten unter 
den Moros (P. Baraze 1675/1702) und Chi- 
quitos (P. de Arce 1692/1718). Bei ihrer Ver- 
treibung 1767 mußten sie zehn Reduktionen (s. d. 
Art. Argentinien Sp. 352) mit über 20000crchrist- 
lichen Indianern zurücklassen (ogl. Moritz Bach, 
Die Jesuiten und ihre Mission Chiquitos in Süd- 
amerika usw., hrsg. von Kriegk (18430). Obwohl 
in andern Gegenden, wo man die Eingebornen 
zur Ausbeutung der reichen Gold= und Silber- 
minen brauchte, das Christentum nicht so feste 
Wurzeln faßte, rechnete man doch 1651 etwa 
100,000 christliche Indianer in 188 Gemeinden 
und ein Jahrhundert später 242564 in 234 
Pfarreien. Gegenwärtig üben unter den In- 
dianern eine ausgedehnte Seelsorge die Franzis- 
kaner-Observanten, welche 4 Kollegien (zu Tarija, 
Potosi, Tarata und La Paz) und zahlreiche Mis- 
sionen unterhalten. Unter dem Metropoliten in 
Srocre stehen die Suffraganbistümer Cochabamba, 
La Paz und Santa Cruzz ferner ist eine Präfektur 
für den Gran Chaco errichtet. Die Kirche von 
Bolivia war ehemals sehr reich; seitdem aber der 
Staat im Jahr 1826 ihre Güter verkauft hat, 
ist sie verarmt. Der Krieg mit Chile und die fol- 
gende Verwirrung hat 1880 zu einer neuen Be- 
raubung der Kirche geführt. 
Die geistige Kultur steht auf einer sehr 
niedrigen Stufe. Der Unterricht, der aus dem 
eingezogenen Kirchengut aufgebessert und erhalten 
werden sollte, ist sehr dürftig bestellt, und der 
größte Teil der Bevölkerung wächst ohne Schul- 
bildung auf. Von höheren Bildungsanstalten be- 
sitzt Bolivia 3 sog. Universitäten in La Paz, 
Sucre und Cochabamba, aus denen nur Juristen 
hervorgehen, eine Schule für Architektur und 
Bergbau in La Paz, 4 kirchliche Seminarien, 24 
Kollegien für Wissenschaften und Künste (Real- 
schulen) und 4 höhere Töchterschulen. Eine Lite- 
ratur existiert in Bolivia nicht, die Presse ist noch 
weniger entwickelt. 
Trotz der außerordentlichen Fruchtbarkeit des 
weitaus größten Teils des Landes liegt die Bo- 
denkultur infolge der Trägheit und Unwissen- 
heit der Bevölkerung und des Mangels an Ver- 
kehrswegen ganz danieder. Von volkswirtschaft- 
licher Bedeutung sind nur der Bau der Koka, 
deren Verkauf Regierungsmonopol ist, und die 
Ausfuhr der Chinarinde, die nicht mehr bloß aus 
den Wäldern, sondern seit neuerer Zeit auch
	        
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