Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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und nicht etwa diejenige, welche den Börsenkreisen 
am liebsten war. Dennoch riet im Jahr 1900 
ein hervorragender Fachmann, E. v. Mendels- 
sohn-Bartholdy, der Bankwelt an, sich dem Re- 
gisterzwang zu fügen; er wies damals auch nach, 
daß es nicht richtig sei, das Börsenterminregister 
ein Spielerregister zu nennen. Allein, man folgte 
seinem Ratschlage nicht. Vielmehr wurde u. a. 
immer wieder betont, die bei der Monatsabwicklung 
(Liquidation) gebräuchliche Abrechnungsweise habe 
mit Unrecht zu der Bezeichnung Differenz- 
geschäft geführt. Bei jener Abrechnung werden 
nämlich Wertpapiere und Geld nicht von einem 
Beteiligten zum andern herumgetragen, sondern 
durch Überweisung ausgeglichen; nur der letzte 
Käufer erhält die Ware wirklich, nur der letzte Ver- 
käufer wirklich das Geld. Die dazwischen liegen- 
den Geschäfte aber werden durch die Berechnung 
der Kursdifferenzen erledigt, um die Ultimoliqui- 
dation zu vereinfachen. (S. auch Abschnitt VII.) 
Deshalb glaubte man also immer wieder hervor- 
heben zu können, an der Börse werde nicht etwa 
gewettet oder gespielt, sondern stets um den Besitz- 
wechsel einer Ware gehandelt; das Interesse 
des dabei Beteiligten allein entscheide, ob er ein 
Geschäft wirklich abwickle, oder ob er es durch ein 
Gegengeschäft kompensiere und dann beide Geschäfte 
durch Empfang oder Zahlung von Differenzen 
endgültig erledige. Solcher Auslegung steht aber 
die Tatsache gegenüber, daß sehr viele Termin- 
geschäfte von Spekulanten einzig und allein zu 
dem Endzweck unternommen werden, sie bei der 
nächsten Gelegenheit durch ein Gegengeschäft auf- 
zulösen, welches dem Beteiligten eine günstige 
Kursdifferenz läßt. Man streitet also hier 
vielfach nur um Worte, und zwar ist dies bei der 
in den weitesten Kreisen vorhandenen Unkenntnis 
über die wirkliche Sachlage leicht. 
Für die bedingungslosen Verteidiger der Börse 
bedeutet denn auch die Novelle einen Erfolg, wenn- 
gleich sie sich mit dem Erlangten noch keineswegs 
zufrieden erklären wollen. Die neuen Bestim- 
mungen stellen das Ergebnis eines Kompromisses 
zwischen zwei ganz verschiedenen wirtschaftlichen 
Richtungen dar, den agrarisch gesinnten Konser- 
vativen und den börsenfreundlichen Freisinnigen 
bzw. Liberalen und sind eine Frucht der sog. Block- 
politik. Dabei wurde den Wünschen der Konser- 
vativen scheinbar insofern Rechnung getragen, als 
man das frühere Verbot und die zivilrechtliche 
Nichtigkeit des börsenmäßigen Terminhandels 
in Getreide und Mühlenfabrikaten nicht 
schlank aufhob, sondern gewisse Lieferungsgeschäfte 
in jenen Waren unter bestimmten Bedingungen, 
jedoch nur Firmen gestattete, welche Getreide oder 
Mehl erzeugen oder verarbeiten, oder aber die in 
der Erfüllung ihres Gewerbs mit jenen Erzeug- 
nissen handeln. Dabei wurde der Abschluß ver- 
botener Börsentermingeschäfte in Getreide oder 
Erzeugnissen der Getreidemüllerei (nicht auch in 
Wertpapieren) mit ganz neuen Ordnungsstrafen 
Börse. 
  
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bedacht. Doch untersteht die Getreidebörse in 
dieser Beziehung Kommissionen, welche sich vor- 
nehmlich wieder aus Kreisen der Börse zusammen- 
setzen dürften. 
Ist nun auch in der Novelle die Absicht, bezüg- 
lich der Getreidebörse das Börsentermingeschäft 
auf die wirklich am Getreidemarkt Beteiligten zu 
beschränken, noch erkennbar, so werden doch vom 
Termingeschäft in Wertpapieren die 
Außenseiter keineswegs ausgeschlossen. Vielmehr 
ist die Fähigkeit des deutschen Volks, Termin- 
geschäfte in Effekten zu tätigen, ganz bedeutend 
erweitert worden. Das Börsenregister hat man 
geopfert, um den politischen Block zusammenzu- 
halten, statt etwa durch einfache Strafbestim- 
mungen die Eintragung in jenes Register von den 
Termingeschäfte Eingehenden zu erzwingen. Nun- 
mehr soll ein Börsentermingeschäft vornehmlich 
nur dann verbindlich sein, wenn es zwischen in 
das Handelsregister eingetragenen Kaufleuten ge- 
tätigt wird. Doch ist bezüglich der Sicherheits- 
leistung von andern, nicht in das Handelsregister 
eingetragenen Personen eine wesentliche Abände- 
rung gegen früher getroffen worden. Wenn näm- 
lich ein an und für sich nicht zu Termingeschäften 
Berechtigter einem in das Handelsregister ein- 
getragenen Kaufmann für die Erfüllung eines 
solchen Geschäfts eine Sicherheit (nach im Gesetz 
genau angegebenen Vorschriften) bestellt, so kann 
der Kaufmann aus der Sicherheit auf alle Fälle 
Befriedigung suchen. Daraus ergibt sich, daß 
fürderhin wieder jedermann Termingeschäfte in 
Wertpapieren ohne Schaden für den vermittelnden 
Bankier tätigen kann, sofern er diesem, für den 
etwa möglichen Kursverlust bei der späteren Glatt- 
stellung, eine genügende Sicherheit in Geld oder 
einen Kurswert besitzenden Papieren bestellt. 
Unter der Herrschaft des alten Gesetzes hatte da- 
gegen auch diese Sicherheit zurückgefordert werden 
können, und die Unwirksamkeit erstreckte sich eben- 
falls auf die abgegebenen Schuldanerkenntnisse 
(6 66). Besteht also auch jetzt noch die Möglich- 
keit, den Differenzeinwand unter gewissen Voraus- 
setzungen zu erheben, für die Nichtkaufleute weiter, 
o hat er aber gegen früher doch jene große Ein- 
schränkung erfahren. Ohne Sicherheit macht der 
Bankier keine Geschäfte, und diese Sicherheit ist 
seit dem 1. Juni 1908 unangreifbar, damit aber 
auch der größte Teil der deutschen Bevölkerung 
für die Wertpapierbörse mehr oder weniger „ter- 
minfähig“ geworden. 
Die Begriffsbestimmung des Börsen- 
termingeschäfts wurde in die Novelle nicht 
wieder ausfgenommen, sondern der Rechtsprechung 
für die Beantwortung der Frage, ob ein Börsen- 
termingeschäft vorliegt, freie Hand gelassen. Der 
§ 48 des alten Gesetzes aber hatte darüber be- 
stimmt, daß solche Geschäfte auf eine fest be- 
stimmte Lieferungszeit oder mit einer fest bestimm- 
ten Lieferungsfrist, sodann zu den vom Börsen- 
vorstand für den Terminhandel festgesetzten Ge- 
 
	        
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