Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

1003 
linge vorbereitete und die Regierung für Könige, 
die weniger begabt waren, geradezu unmöglich 
machte und damit das siegreiche Vordringen jener 
Demagogie begründete, welche alle öffentlichen 
Freiheiten vollends zerstörte, davon sahen nur 
wenige Zeitgenossen des Königs etwas, und die, 
welche es sahen, wie Fénelon, waren verdächtige, 
gemiedene Männer. Man hat dieser Regierungs- 
weise, die Ludwig XIV. vollendete, den Namen 
Ancien Régime in vollkommen unbegreiflicher 
Weise beigelegt; sie war weder die Regierungsweise 
des alten Frankreichs, noch hatte sie mit derselben 
irgend etwas gemein sie löschte die letzten Spuren 
des alten christlichen Königtums aus, beseitigte 
der Reihe nach alle nationalen Freiheiten und 
Rechte und stellte an die Spitze des Landes einen 
König, den man über das göttliche Gesetz erhob, 
der im Sonnenglanz äußerer Pracht, kriegerischen 
Glanzes, blendender Verführungskünste jene faulen 
innern Zustände schuf, welche, als der Rest christ- 
licher Gegenwirkung erstarb, Dynastie und Land 
und Freiheit und Recht in gleicher Weise ver- 
nichteten. 
Härter und ernster noch muß das Urteil über 
die sozialen Folgen des blinden theologischen 
Idealismus für die absolutistische Staatsgewalt 
lauten. Die Deklaration, daß über den Exzessen 
der weltlichen Gewalt keine andereirdische Autorität 
stehe, daß der König selbst Herr in der Kirche sei, 
schuf die doktrinäre Grundlage für die moderne 
Demagogie, prinzipiellund tatsächlich. Das irdische 
Gemeinwesen und die politische Gewalt bedürfen 
um des Friedens willen einer obersten Leitung: 
entweder der der Päpste oder der Könige oder der 
Völker selbst. Die Verwerfung der internationalen 
Schiedsgewalt der Päpste führt zum Cäsarismus 
oder zur Kommune und zum Sozialismus. Kein 
anderer als Louis Blanc, auf dessen Schultern 
K. Marx und Lassalle standen, schrieb (Histoire 
de la Révolution française 1 [Par. 1847) 
252 f) vor Ausbruch der Februarrevolution: „Die 
politische Tragweite der Deklaration von 1682 
war unabsehbar. Indem man die Könige über 
jede kirchliche Jurisdiktion erhob, indem man den 
Völkern die Garantie nahm, welche ihnen das dem 
Papst bewilligte Recht der Überwachung der zeit- 
lichen Herren dieser Welt verhieß, schien diese 
Deklaration den Thron in eine für alle Stürme 
unerreichbare Höhe zu versetzen. Ludwig XIV. 
war ein Betrogener — hierin war sein Irrtum 
tief, erbarmenswert, denn die absolute Gewalt ist 
eine Chimäre. Einen unverantwortlichen Despo- 
tismus hat es nie gegeben, wird es nie geben. 
Auf welche Stufe von Gewaltsamkeit auch die 
Tyrannei sich erheben mag, gegen sie steht immer 
das Recht der Kontrolle aufrecht. Die Deklaration 
von 1682 änderte kein Haar an dieser Notwendig- 
keit. Darum wechselte sie nur ihre Stelle; vom 
Papst ging sie auf das Parlament, dann auf das 
Volk über. Der Augenblick kam, wo in Frank- 
reich das Bewußtsein erwachte, die Unabhängig- 
Bossuet. 
  
1004 
keit der Könige sei nur die Knechtschaft des Volkes. 
Die Nation erhob sich entrüstet und entwürdigt, 
und an die Stelle der Exkommunikation trat das 
Todesurteil.“ In der Tat, Robespierre (Moni- 
teur vom 3. Dez. 1792) stützte das Todesurteil 
des Konvents mit der Berufung auf diese Kon- 
sequenz der Deklaration. „Es handelt sich hier 
nicht um einen Prozeß“, rief er. „Ludwig ist kein 
Angeklagter, ihr seid keine Richter. Ihr seid nur 
und ihr könnt nichts anderes sein als Volksvertreter. 
Ihr habt kein Urteil für oder gegen einen Menschen 
zu fällen, sondern lediglich eine Maßnahme für 
das öffentliche Wohl zu ergreifen, einen Akt der 
nationalen Providenz auszuüben. Louis muß 
sterben, weil die Nation leben muß.“ 
Auch hinsichtlich der äußern Politik und 
der internationalen Rechtsordnung 
wurde die Deklaration von 1682 verhängnisvoll. 
Die Deklaration erfolgte in einem Augenblick, wo 
Frankreich seine größte Machtstellung im 17. Jahrh. 
einnehmen sollte. Der „große Plan“ Heinrichs IV. 
für die internationale Ordnung, die Politik des 
Gleichgewichts in der europäischen Staatenkon= 
föderation hatte die Probe des Westfälischen Frie- 
dens nicht bestanden, oder besser, er wurde mit 
einer Persönlichkeit wie Ludwig XIV. an der 
Spitze Frankreichs eine Träumerei. Die „Po- 
litik“ Bossuets hat keine der wüsten Kriegsorgien 
des Übermuts, des persönlichen Ehrgeizes, selbst 
niedriger Ranküne verhindert. Als Leibniz (bei 
Henry Martin, Histoire de France XIII (Par. 
(1856ffl 368, seine Denkschrift) den Versuch machte, 
die Waffen Ludwigs gegen die Türken zu wenden 
und als Führer der gemeinsamen Interessen des 
christlichen Europas in Agypten die Vergröße- 
rungen zu suchen, welche dieser König ohne Un- 
gerechtigkeit in Europa nicht suchen konnte, ver- 
hallte seine Stimme gänzlich. Ludwig XIV. folgte 
inzwischen blind dem Instinkt des Cäsarismus, wie 
ihn die Deklaration von 1682 guthieß, und feierte 
seinen Triumph in den maßlosen Demütigungen 
des Papstes. Und das Ende? Im Frieden von 
Utrecht (1713) war Frankreich auf Kosten des 
wirtschaftlichen und politischen Landesruins und 
der Untergrabung der Monarchie um zwei Pro- 
vinzen (Flandern und die Franche-Comté) und 
einige Stadtgebiete (Straßburg, Landau, Dün- 
kirchen) reicher geworden. Bossuet mußte selbst das 
Fazit dieser unseligen Politik ziehen, als er gegen 
Ende des Lebens im schmerzlichen Geständnis 
die Frage beantwortete, ob mit der Deklaration 
dem Königtum ein Dienst erwiesen worden sei. 
„Klarer als der Tag ist erwiesen, daß, wenn man 
zu einem Vergleich jener beiden Anschauungen 
gezwungen wäre, derjenigen, welche das Zeitliche 
der Könige dem Papst unterstellt, und jener, welche 
es dem Volk unterwirft, letzteres unbedingt am 
meisten zu fürchten ist, weil in ihm Laune, Un- 
wissenheit und Leidenschaft vorherrschen. Das hat 
die Erfahrung bewiesen, und unser Jahrhundert 
allein unter denen, welche die Fürsten den Launen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.