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linge vorbereitete und die Regierung für Könige,
die weniger begabt waren, geradezu unmöglich
machte und damit das siegreiche Vordringen jener
Demagogie begründete, welche alle öffentlichen
Freiheiten vollends zerstörte, davon sahen nur
wenige Zeitgenossen des Königs etwas, und die,
welche es sahen, wie Fénelon, waren verdächtige,
gemiedene Männer. Man hat dieser Regierungs-
weise, die Ludwig XIV. vollendete, den Namen
Ancien Régime in vollkommen unbegreiflicher
Weise beigelegt; sie war weder die Regierungsweise
des alten Frankreichs, noch hatte sie mit derselben
irgend etwas gemein sie löschte die letzten Spuren
des alten christlichen Königtums aus, beseitigte
der Reihe nach alle nationalen Freiheiten und
Rechte und stellte an die Spitze des Landes einen
König, den man über das göttliche Gesetz erhob,
der im Sonnenglanz äußerer Pracht, kriegerischen
Glanzes, blendender Verführungskünste jene faulen
innern Zustände schuf, welche, als der Rest christ-
licher Gegenwirkung erstarb, Dynastie und Land
und Freiheit und Recht in gleicher Weise ver-
nichteten.
Härter und ernster noch muß das Urteil über
die sozialen Folgen des blinden theologischen
Idealismus für die absolutistische Staatsgewalt
lauten. Die Deklaration, daß über den Exzessen
der weltlichen Gewalt keine andereirdische Autorität
stehe, daß der König selbst Herr in der Kirche sei,
schuf die doktrinäre Grundlage für die moderne
Demagogie, prinzipiellund tatsächlich. Das irdische
Gemeinwesen und die politische Gewalt bedürfen
um des Friedens willen einer obersten Leitung:
entweder der der Päpste oder der Könige oder der
Völker selbst. Die Verwerfung der internationalen
Schiedsgewalt der Päpste führt zum Cäsarismus
oder zur Kommune und zum Sozialismus. Kein
anderer als Louis Blanc, auf dessen Schultern
K. Marx und Lassalle standen, schrieb (Histoire
de la Révolution française 1 [Par. 1847)
252 f) vor Ausbruch der Februarrevolution: „Die
politische Tragweite der Deklaration von 1682
war unabsehbar. Indem man die Könige über
jede kirchliche Jurisdiktion erhob, indem man den
Völkern die Garantie nahm, welche ihnen das dem
Papst bewilligte Recht der Überwachung der zeit-
lichen Herren dieser Welt verhieß, schien diese
Deklaration den Thron in eine für alle Stürme
unerreichbare Höhe zu versetzen. Ludwig XIV.
war ein Betrogener — hierin war sein Irrtum
tief, erbarmenswert, denn die absolute Gewalt ist
eine Chimäre. Einen unverantwortlichen Despo-
tismus hat es nie gegeben, wird es nie geben.
Auf welche Stufe von Gewaltsamkeit auch die
Tyrannei sich erheben mag, gegen sie steht immer
das Recht der Kontrolle aufrecht. Die Deklaration
von 1682 änderte kein Haar an dieser Notwendig-
keit. Darum wechselte sie nur ihre Stelle; vom
Papst ging sie auf das Parlament, dann auf das
Volk über. Der Augenblick kam, wo in Frank-
reich das Bewußtsein erwachte, die Unabhängig-
Bossuet.
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keit der Könige sei nur die Knechtschaft des Volkes.
Die Nation erhob sich entrüstet und entwürdigt,
und an die Stelle der Exkommunikation trat das
Todesurteil.“ In der Tat, Robespierre (Moni-
teur vom 3. Dez. 1792) stützte das Todesurteil
des Konvents mit der Berufung auf diese Kon-
sequenz der Deklaration. „Es handelt sich hier
nicht um einen Prozeß“, rief er. „Ludwig ist kein
Angeklagter, ihr seid keine Richter. Ihr seid nur
und ihr könnt nichts anderes sein als Volksvertreter.
Ihr habt kein Urteil für oder gegen einen Menschen
zu fällen, sondern lediglich eine Maßnahme für
das öffentliche Wohl zu ergreifen, einen Akt der
nationalen Providenz auszuüben. Louis muß
sterben, weil die Nation leben muß.“
Auch hinsichtlich der äußern Politik und
der internationalen Rechtsordnung
wurde die Deklaration von 1682 verhängnisvoll.
Die Deklaration erfolgte in einem Augenblick, wo
Frankreich seine größte Machtstellung im 17. Jahrh.
einnehmen sollte. Der „große Plan“ Heinrichs IV.
für die internationale Ordnung, die Politik des
Gleichgewichts in der europäischen Staatenkon=
föderation hatte die Probe des Westfälischen Frie-
dens nicht bestanden, oder besser, er wurde mit
einer Persönlichkeit wie Ludwig XIV. an der
Spitze Frankreichs eine Träumerei. Die „Po-
litik“ Bossuets hat keine der wüsten Kriegsorgien
des Übermuts, des persönlichen Ehrgeizes, selbst
niedriger Ranküne verhindert. Als Leibniz (bei
Henry Martin, Histoire de France XIII (Par.
(1856ffl 368, seine Denkschrift) den Versuch machte,
die Waffen Ludwigs gegen die Türken zu wenden
und als Führer der gemeinsamen Interessen des
christlichen Europas in Agypten die Vergröße-
rungen zu suchen, welche dieser König ohne Un-
gerechtigkeit in Europa nicht suchen konnte, ver-
hallte seine Stimme gänzlich. Ludwig XIV. folgte
inzwischen blind dem Instinkt des Cäsarismus, wie
ihn die Deklaration von 1682 guthieß, und feierte
seinen Triumph in den maßlosen Demütigungen
des Papstes. Und das Ende? Im Frieden von
Utrecht (1713) war Frankreich auf Kosten des
wirtschaftlichen und politischen Landesruins und
der Untergrabung der Monarchie um zwei Pro-
vinzen (Flandern und die Franche-Comté) und
einige Stadtgebiete (Straßburg, Landau, Dün-
kirchen) reicher geworden. Bossuet mußte selbst das
Fazit dieser unseligen Politik ziehen, als er gegen
Ende des Lebens im schmerzlichen Geständnis
die Frage beantwortete, ob mit der Deklaration
dem Königtum ein Dienst erwiesen worden sei.
„Klarer als der Tag ist erwiesen, daß, wenn man
zu einem Vergleich jener beiden Anschauungen
gezwungen wäre, derjenigen, welche das Zeitliche
der Könige dem Papst unterstellt, und jener, welche
es dem Volk unterwirft, letzteres unbedingt am
meisten zu fürchten ist, weil in ihm Laune, Un-
wissenheit und Leidenschaft vorherrschen. Das hat
die Erfahrung bewiesen, und unser Jahrhundert
allein unter denen, welche die Fürsten den Launen