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der Menge überantwortet haben, hat der Beispiele
mehr und in viel größerer Tragik gegen die Per-
sonen der Könige und ihre Gewalt aufzuweisen
als jene sieben Jahrhunderte zusammen, wo die
Gewalt Roms anerkannt war“ (Detense de
IHistoire des variations n. 25). Was bedeutet
dieser Erfahrungsbeweis, ausgedehnt auf die bei-
den folgenden Jahrhunderte!? Beim Ausgang
des 19. Jahrh., dessen Anfang die furchtbarsten
Koalitionskriege der Neuzeit gesehen, in dessen
Verlauf Revolutionen, Allianzen, Kongresse, Li-
guen, nationale Kriege einen fast regelrecht ge-
wordenen Kreislauf in der äußern Staatenge-
schichte darstellen, geht die innere in Konstitutions-
machereien, absolutistischen oder demokratischen
Reaktionen, steigendem Militär= und Steuerdruck,
Wirtschaftskriegen usw. einen analogen Gang.
Hat der von Rußland an der Jahrhundertwende
berufene Friedenskongreß im Haag einen besseren
Ausgang gefunden? Bossuets Politik bietet für
die Stellungnahme der christlichen Welt die schwer-
wiegenden Lehren, daß das Obsiegen des absolu-
tistischen Königtums über die Staats= und Sozial-
ordnung gleichbedeutend ist mit der vollständigen
Lähmung der übrigen Lebensorgane des sozialen
Volksorganismus, daß cäsaristischeVerfolgung und
Bedrängung der Kirche für die Dynastie und das
Land grundstürzend ist, daß die Politik des Gleich-
gewichts unter den Nationen eine Chimäre ist
gegenüber der geringsten nationalistischen Selbst-
überhebung. Für die Lösung des großen Problems,
oder besser der Quadratur der Politik — denn
es handelt sich hier immer nur um approximative
Lösungen — waren Bossuets Wege eine Abirrung,
erklärlich aus jener Charakterschwäche, welche einen
seiner größten zeitgenössischen Bewunderer, Antoine
Arnauld, inmitten der größten Lobsprüche zu der
Klage bewog: „Es bleibt bei ihm ein verumtamen,
von dem er, fürchte ich, Gott wird Rechenschaft
geben müssen: er hat nicht den Mut gefunden, dem
König Vorstellungen zu machen.“
Hinsichtlich der Literatur verweisen wir außer
der bereits erwähnten nach ihrer theologischen
Seite noch auf Wetzer u. Weltes Kirchenlexikon 12
1146 ff. — Leider besitzen wir keine kritische Ge-
samtausgabe der Oeuvres completes de B. Der
Versuch Lebarqs (s. o.) mit Bezug auf die Predigten
hat die Notwendigkeit einer solchen erwiesen; was
die meist jansenistischen bzw. gallikanischen Heraus-
geber sich bei der Drucklegung erlaubt haben, macht
die Vergleichung der ersten Drucke u. der Manu-
skripte, soweit sie nicht verschwunden sind, unerläß-
lich. Die jetzt meistverbreitete Ausgabe der Oeuvres
ist von F. Lachat (Par. 1864 ff) in 30 Bdu#z dieselbe
bietet außer dem Text bibliograph. u. biograph. Ein-
leitungen, zu den Einzelschriften textkritisches Ma-
terial, macht aber die Benediktinerausgabe (Ver-
sailles 1815/19 in 46 Bdn, neue Ausgabe Par.
1859/65 in 30 Bdn) nicht überflüssig. Das in
letzterwähnter Ausgabe befindliche Leben B.s von
Kardinal L. Fr. de Bausset (Bischof von Alais,
gest. 21. Juni 1824) ist in vielen Teilen mit Vor-
sicht zu gebrauchen, da es zur Wiederbelebung eines
Botschafter — Brasilien.
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gemäßigten Gallikanismus geschrieben wurde. Das-
elbe hat in der von Mich. Feder gefertigten lber-
etzung (4 Bde, Sulzbach 1820/21) weitere Ver-
breitung in Deutschland erlangt. Beiträge zur
Biographie bieten de la Rue, Oraison funêèbre de
B. (Par. 1704); Polignac, Discours prononcé
dans I’Académie française (ebd. 1704); d’'Alem-
bert, Eloges (ebd. 1772); Al. Maffei (Rom 1770);
Burigny, Vie de B. (Par. 1761). Wertvoller, na-
mentlich für die Gesch. B.s, sind die Arbeiten von
Floquet, Etudes sur la vie de B. jusqu'a son
entree en fonctions en qualité de précepteur du
Dauphin (3 Bde, ebd. 1855) u. B. précepteur du
Dauphin et éveque à la cour (ebd. 1864). Über die
polit. Geschichte bieten Aufschluß: Bazin, Histoire
de France sous Louis XIII et Mazarin (4 Bde,
Par. 1846); Topin, Louis XIII et Richelieu (ebd.
1876); vor allem die Mémoires (Instrukt., s. o.
Sp. 1002) von Dreyß (2 Bde, ebd. 1860) u. Saint-
Simon, Mémoires sur le sieche de Louis XIV et
la Régence (Ausgabe von Chéruel, 20 Bde, ebd.
1856/76), hinsichtlich des polit. u. kirchengeschichtl.
Materials mit großer Vorsicht zu gebrauchen; Le-
montey, Essai sur I’établissement monarchique
de Louis XIV (ebd. 1818); Michelet, Louis XIV.
et la Révocation de I’édit de Nantes (ebd. 21875).
— Michtiger sind Clement, La Police sous
Louis XIV (ebd. 21866) u. Gaillardin, Histoire
du regne de Louis XIV (6 Bde, ebd. 187 1/79);
mit Bezug auf B. u. seine polit. Anschauungen:
Nourisson, La Politique de B. (ebd. 1867) u. M.
Delondre, Doctrine philosophique de B. (ebd.
1855); die Tagebücher des Sekretärs B.3 Le Dien
(Mémoires touchant Messire J. B. B., évoque
de Meaux lebd. 1856l), die namentlich über seine
Amtstätigkeit in Meanx verdienstlichen Forschungen
von M. Réaume (Histoire de J. B. B., 3 Bde,
ebd. 1869), dazu Druon, B. à Meaux (ebd. 1900)
u. die großen Kirchengeschichten von Rohrbacher
u. Darras. Über die neuerdings heftig erörterten
Streitfragen der Beziehungen Feuelons zu B. vgl.
die Literatur beim Art. „Fenelon"“. [Weinand.)
Botschafter s. Gesandte.
Bopykott s. Streik.
Brandschatzung s. Kontribution.
Branntweinsteuer s. Steuern.
Brasilien. 1. Geschichte. Brasilien, Föde-
rativ-Republik, Vereinigte Staaten von Brasilien,
wurde im Jahr 1500ntdeckt. 151 Lerhielt das Land
von dem roten Farbholz (Päc do Brazil, d. h. Holz
der glühenden Kohle), welches man dort in Menge
fand, seinen Namen. Portugal benutzte das Land
anfänglich als Deportationsort für Verbrecher
und Juden (1548), welche das von Madeira dort-
hin verpflanzte Zuckerrohr mit Erfolg anbauten.
Die eigentliche Kolonisation begann, als Jo-
hann III. 1532 den ganzen noch zu erobernden
Kontinent in 15 Lehnsfürstentümer teilte; nur
7 kamen wirklich zustande, und diese riefen bald die
Hilfe des Staates an. Nachdem Brasilien 1549
durch päpstliche Entscheidung definitiv den Por-
tugiesen zugesprochen worden war, schickte Jo-
hann III. den ersten Generalgouverneur, den ein-
sichtsvollen Thomas de Souza, dorthin, welcher
an der Bahia de Todos os Santos (Allerheiligen-