Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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damit ein Aufsteigen in den hohen Adel verbunden 
war. Dieses Recht ist mit Auflösung des alten 
Reichs auf die Landesherren übergegangen. Die 
Säkularisationen des Reichsdeputations-Haupt- 
schlusses von 180 3 entfernten die geistlichen Stan- 
desherrschaften aus der Reihe des hohen Adels. 
Sie wurden als bloßes Entschädigungsmaterial 
für weltliche Dynastien benutzt. Dann folgte in 
der Mediatisierung der Standesherren der zweite 
tödliche Schlag gegen die Existenz des hohen Reichs- 
adels. Dadurch entstand in den souveränen deut- 
schen Bundesstaaten eine neue Klasse von Adel, 
die Standesherren oder Mediatisierten, d. h. ehe- 
maliger hoher Adel, welcher nach der Auflösung 
des deutschen Reichs einer Landeshoheit unter- 
worfen wurde. Der gothaische Almanach zählt 
53 standesherrliche Familien mit dem Prädikat 
„Durchlaucht" für die fürstlichen, „Erlaucht“ für 
die Häupter der gräflichen Familien. — Art. 14 
der Deutschen Bundesakte sicherte den Mediati- 
sierten hohen Adel und das Recht der Ebenbürtig- 
keit zu. Die Häupter ihrer Häuser sind die ersten 
Standesherren in dem Staat, zu dem sie gehören. 
Sie und ihre Familie bilden die privilegierteste 
Klasse in demselben, insbesondere in Ansehung der 
Besteuerung. Es sollen ihnen überhaupt jene Rechte 
und Vorzüge zugesichert werden, welche aus ihrem 
Eigentum und dessen ungestörtem Genuß her- 
rühren und nicht zu den hohen Regierungsrechten 
gehören. Diese Sätze der Bundesakte überdauerten 
den Deutschen Bund. Soweit es sich um die Auto- 
nomie des hohen Adels handelt, hat dieselbe sogar 
neuerdings in Art. 57. 58 des Einführungsgesetzes 
zum B.G.B. eine neue reichsgesetzliche Unterlage 
erhalten. So kommt zweifellos dem hohen Adel 
vermöge seiner Vorrechte noch heute die Bedeu- 
tung eines besondern Standes im Rechtssinn zu. 
Freilich haben die veränderten Verhältnisse des 
19. Jahrh. die anfänglich fehlende Grenze zwischen 
regierenden Fürstenhäusern und mediatisierten Fa- 
milien tatsächlich erweitert, und auch in der vorhin 
genannten gesetzlichen Festlegung greift die Auto- 
nomie der regierenden Häuser weiter als diejenige 
der Standesherrlichen. Dazu kommt, daß die 
Erbrechtsgrundsätze der regierenden Familien nicht 
nur den Charakter von Privatfürstenrecht haben, 
sondern auch die Grundlage der Thronfolgeord- 
nung der monarchischen deutschen Bundesstaaten 
bilden. Sie gehören somit auch dem Landesstaats- 
recht an und sind dementsprechend vielfach in die 
Verfassungsurkunden der Einzelstaaten aufge- 
nommen worden. Eine in der Gegenwart lebhaft 
umstrittene Frage ist die, ob die Thronfolgebestim- 
mungen nun ausschließlich staatsrechtlichen Cha- 
rakter haben und mithin durch Staatsgesetz allein 
abgeändert werden können, oder ob sie den Cha- 
rakter als Hausgesetz bewahrt haben, daher zu 
ihrer Anderung auch die Zustimmung aller Agna- 
ten des fürstlichen Hauses erforderlich ist. Die 
wichtigsten Fragen der Hausgesetzgebung des 
hohen Adels, die sich seit dem 14. Jahrh., zum 
Adel. 
  
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Teil als Abwehr gegen das eindringende römische 
Recht, entfaltet hat und deren übereinstimmende 
Sätze eben als Privatfürstenrecht bezeichnet werden, 
betreffen die Hausverfassung und die Reglung 
der Ebenbürtigkeitsfrage. Was die erstere angeht, 
so wurde seit dem 14. Jahrh. die Ausbildung 
einer engeren Familiengenossenschaft an- 
gestrebt und mit der Zeit durchgeführt. Trägerin 
des genossenschaftlichen Verbandes war die Ge- 
samtheit der aus den Agnaten (Verwandten 
gleichen Stammes und Namens) gebildeten Voll- 
genossen. Die wesentlichsten Befugnisse standen 
bei einem nach festen Rechtssätzen bestimmten Ober- 
haupt. Dieses Haupt des Hauses war der regie- 
rende Herr. Das Hausrecht bildete sich einerseits 
aus Hausverordnungen des Familienoberhauptes, 
anderseits aus den Haus= und Stammverträgen, 
Einigungen, Erbverträgen und bezog sich auf 
die Sukzession in das Hausvermögen, auf Erb- 
recht überhaupt, Witwenversorgung, Namen, 
Stand, Rang, Titel, Religion, Mittel zur Er- 
haltung der Einigkeit und verwandtschaftlichen 
Liebe sowie des äußern Glanzes der Familie. 
Mit Rücksicht auf letzteres waren in den Fa- 
milienverträgen und Hausgesetzen Bestimmungen 
enthalten, welche der Zerstücklung des Familien= 
vermögens, der Vererbung der Immobilien auf 
weibliche Verwandte und der Veräußerung außer- 
halb der Familie vorbeugten. Man trachtete 
zur Abwehr des römischen Rechts durch Verzicht- 
leistungen der Töchter, Unteilbarkeit und Un- 
veräußerlichkeit der Stammgüter den Grundbesitz 
und damit den „Lustre und splendor familiae“ 
zu erhalten. 
VI. Der niedere Adel bildete sich, wie oben 
bemerkt, aus den ritterbürtigen und lehnsfähigen 
Familien. Besonders beim Emporkommen des 
Ritterstandes zeigte sich die Macht der Berufs- 
arbeit und Lebensart, welche die verschiedenartigsten 
Elemente zu einem einheitlichen Stand zu ver- 
schmelzen vermochten. Der niedere Adel ist eine 
Schöpfung des Mittelalters, entstanden auf dem 
Weg der Standeserhebung aus Freien und aus 
hörigen Familien durch persönliche Tüchtigkeit: 
aus Freien, die sich dem Waffendienst zu Roß 
widmeten und eigenen Stammsitz hatten, aus 
hörigen Ministerialen, die es durch stehende Be- 
kleidung der höheren Hof= und Kriegsdienste zur 
Ritterlichkeit brachten. — Die Reiterei machte schon 
unter Karl dem Großen einen ansehnlichen Teil 
des Heeres aus; sie bestand aber nicht aus den 
gewöhnlichen Freien, die den Heerbann zu Fuß 
zu leisten hatten. Mit dem Verfall des letzteren 
verloren die Gemeinfreien ihre Waffenfähigkeit. 
An Stelle ihrer persönlichen Kriegsleistung trat 
ihre Abgabenpflichtigkeit, der Kriegsdienst aber 
wurde ein ausschließlicher ehrenvoller Lebensberuf. 
Die Leistung des schwergerüsteten Roßdienstes setzte 
größeren Besitz und eine kriegerische Lebensweise 
voraus. In dieser Lage befanden sich Vasallen 
oder Ministerialen, deren Verwendung im Kriegs-
	        
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