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Häfen wurden dem auswärtigen Handel geöffnet,
Verkehr und Gewerbe nahmen einen lebhaften
Aufschwung, Europäer besuchten das Land und
siedelten sich an. Aber der innere Zwiespalt zwi-
schen den bevorzugten Portugiesen und den Bra-
silianern dauerte fort und fand neue Nahrung in
den verkehrten Maßnahmen der Regierung. Da-
her erweckten die revolutionären Bewegungen, die
seit 1808 Südamerika erschütterten, auch in den
Brasilianern den Wunsch nach voller Selbständig-
keit und Freiheit. Obwohl am 16. Dez. 1815
dem zum Königreich erhobenen Land gleiche Rechte
wie Portugal versprochen wurden und beide Reiche
fortan unter dem Titel: „Vereinigtes Königreich
von Portugal, Algarve und Brasilien“ ein Ganzes
bilden sollten, kam im April 1817 in Pernam-
buco die Unzufriedenheit offen zum Ausbruch. Ein
Soldatenaufstand zu Rio de Janeiro erzwang
Anfang 1821 die portugiesische Konstitution auch
für Brasilien; der Kronprinz Dom Pedro de
Alcantara beschwor sie am 26. Febr. für sich und
seinen Vater Johann VI., welcher darauf am
26. April nach Europa zurückkehrte und seinen
Sohn als Prinzregenten zurückließ. Dieser stellte
sich nun an die Spitze der Bewegung gegen Por-
tugal, welches Brasilien nach wie vor als ab-
hängige Kolonie behandeln wollte. Er weigerte
sich, einem Befehl, der ihn nach Lissabon zurück-
rief, Folge zu leisten, berief ein neues, selbstän-
diges Ministerium (José Bonifacio d'Andrada)
und wurde am 13. Mai 1822 von einer Ver-
sammlung von Abgeordneten zum „immerwäh-
renden Verteidiger Brasiliens“ (Defensor per-
petuo do Brazil) ernannt. Eine konstituierende
Nationalversammlung sprach am 1. Aug. dessel-
ben Jahrs die Trennung Brasiliens vom Mutter-
land aus und erklärte am 12. Okt. den Regenten
Dom Pedrol zum konstitutionellen Kaiser von
Brasilien; seine Krönung fand am 1. Dez. statt.
Diese Gestaltung der Dinge war vornehmlich
ein Werk des revolutionären Freimaurerbundes,
welchem Pedro I. schon als Kronprinz beigetreten
war und als Großmeister angehörte. Nun wollten
die Freimaurer aber auch herrschen, und als der
Kaiser Selbständigkeit zeigte und alle Logen
schließen ließ, da verbündeten sie sich gegen ihn
und suchten ihn zu stürzen. Vergeblich bemühte
er sich, eine Verschmelzung der politischen Par-
teien, der Unitarier (Royalisten) und Liberalen
(Republikaner), anzubahnen. Letztere, unterstützt
von den geheimen Gesellschaften, die überall üppig
wucherten, verlangten die Entfernung aller in
brasilianischen Diensten stehenden Portugiesen;
es kam fortwährend zu Reibungen und schließlich
1823 zum offenen Aufstand. Eine neue National-
versammlung, die der Kaiser einberief, gab am
25. März 1824 dem Land eine hochliberale Ver-
fassung („Brasilianische Konstitution"), welche
alle Privilegien aufhob, in die Hände der Depu-
tierten eine ungewöhnliche Macht legte und den
Kaiser des absoluten Vetos beraubte. Trotz dieser
Brasilien.
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Zugeständnisse brach in Pernambuco ein republi-
kanischer Aufstand aus, der erst mit der Erstür-
mung der Stadt (17. Sept. 1824) durch den Ge-
neral Lima und den englischen Admiral Cochrane
endete. Mit dem Mutterland kam es endlich zu
einem Ausgleich; am 15. Nov. 1825 erkannte
Portugal nach langen Unterhandlungen zu London
und Lissabon die Unabhängigkeit Brasiliens an.
Der Parteihader im Innern dauerte aber unge-
schwächt fort: ein unglücklicher Krieg mit Argen-
tinien (1825/28), welcher die Abtretung der
1823 okkupierten Banda Oriental mit Monte-
video (s. d. Art. Uruguay) zur Folge hatte, die
schlechte Finanzverwaltung, Dom Pedros Be-
mühungen, die Ansprüche seiner Tochter Maria
da Gloria auf den portugiesischen Thron zur
Geltung zu bringen, steigerten die Unzufriedenheit
der Bevölkerung immer mehr. Nach mehrmaligem
erfolglosem Ministerwechsel blieb dem Kaiser kein
anderer Ausweg, als am 7. April 1831 zu-
gunsten seines noch nicht sechsjährigen Sohnes
Dom Pedro (geb. 2. Dez. 1825) abzudanken und
nach Europa zurückzukehren, wo er 1834 starb.
Unter fortwährenden Aufständen und Partei-
kämpfen führte eine Regentschaft aus drei
Mitgliedern die Regierung. Da die Führer der
einzelnen Parteien, nur von persönlichem Ehrgeiz
und Habsucht geleitet, zu Meutereien und Auf-
ständen griffen, um ihre selbstsüchtigen Zwecke zu
erreichen, wurde die politische und finanzielle Zer-
rüttung des Landes immer größer. Um diesem
Zustand ein Ende zu machen, nahm der Kongreß
am 12. Aug. 1834 aus eigener Machtvollkommen-
heit eine Verfassungsänderung in föderalistischem
Sinn vor, durch welche nach dem Muster der
Vereinigten Staaten von Amerika jede Provinz
einen gesetzgebenden Körper erhielt, dessen Wir-
kungskreis sich auf alle kirchlichen, politischen
und munizipalen Einrichtungen erstreckte. Zu-
gleich wurde für die Dauer der Unmündigkeit des
Kaisers ein Regent erwählt und dadurch die be-
drohte Einheit des Reichs und die Erblichkeit der
Monarchie gerettet. Der Parteihaß zeitigte aber
bald wieder neue Kämpfe, bis endlich ein Hand-
streich der liberalen Partei dieser stürmischen Zeit
ein Ende machte.
Mittels einer parlamentarischen Revolution
hob die Deputiertenkammer im Juli 1840 noch
vor Ablauf der verfassungsmäßigen Zeit die Re-
gentschaft auf und erklärte den noch nicht 15jäh-
rigen Kaiser Dom Pedro II. für volljährig. Fort-
währende Streitigkeiten der national-brasiliani-
schen (republikanischen) und derportugiesisch-aristo-
kratischen Partei, welche die Regierung beherrschte,
Empörungen, zumal in den südlichen Pro-
vinzen, Differenzen mit Nordamerika und be-
sonders mit England wegen Erneuerung eines
1845 erloschenen Vertrags über das Durch-
suchungsrecht brasilianischer Schiffe zur Ver-
hinderung der Sklaveneinfuhr und endlich die
immer mehr wachsende Finanznot hinderten eine