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gedeihliche Entwicklung des Landes. Dazu kam
1850 ein Krieg mit dem argentinischen Diktator
Rosas wegen der freien Schiffahrt auf dem La
Plata, der durch den Sieg bei Monte Caseros am
3. Febr. 1852 und den Sturz des Diktators zu-
gunsten der Verbündeten entschieden wurde. Von
jetzt an wurde die Finanzlage besser, Handel und
Verkehr hoben sich, und die liberale Kolonial-
politik des Ministeriums Olinda (1857 und 1862)
suchte besonders die deutsche Einwanderung zu
fördern und ließ sich die Hebung der Industrie
und des Nationalwohlstands angelegen sein. 1864
unternahm Brasilien mit Erfolg eine bewaffnete
Intervention in Uruguay, wurde aber infolge-
dessen in einen Krieg mit dem Präsidenten Lopez
von Paraguay verwickelt, den es in Verbindung
mit Argentinien und Uruguay (Tripelallianz vom
8. Mai 1865 zu Buenos Aires) führte. Bei der
schwachen Unterstützung von seiten der Verbündeten
nahm derselbe einen nur langsamen Fortgang,
kostete Brasilien ungeheure Opfer an Geld und
Blut und endete erst nach 6 Jahren mit der
Niederlage und dem Tod des Diktators Lopez in
der Schlacht bei Aquidaban am 1. März 1870.
Dieser unerwartet günstige Ausgang des
Kampfes sicherte nicht nur die Schiffahrt auf
dem La Plata, sondern vermehrte auch das An-
sehen und den Einfluß Brasiliens in Südamerika
und blieb nicht ohne günstige Folgen für die
iunere Entwicklung des Kaiserreichs. Die Finan-
zen waren allerdings zerrüttet, und die jährlichen
Budgets zeigten ein immer höheres Defizit, aber
es machte sich doch auf allen Gebieten ein Fort-
schritt bemerkbar, den eine verständig liberale Re-
gierung auf jede Weise zu fördern suchte. Von
hoher Wichtigkeit für die Weiterentwicklung des
Landes sind die Gesetze über die Sklavenemanzi-
pation (1871 und 1888, s. unten) und das neue
Wahlgesetz vom 28. Dez. 1880. Dieses ge-
währte auch Nichtkatholiken, naturalisierten Aus-
ländern und freigelassenen Negern gleiche politische
Rechte mit den Brasilianern, führte statt der in-
direkten die direkte Wahl ein und beschränkte das
aktive Wahlrecht auf diejenigen, welche lesen und
schreiben und außerdem eine Rente oder einen
sichern Erwerb nachweisen können. Die ersten
Wahlen nach dem neuen Gesetz im Okt. 1881
fielen im liberalen Sinn aus; jedoch hatte auch
das aus dieser Mehrheit hervorgegangene Mini-
sterium, ebenso wie die folgenden, nur kurzen
Bestand, da keines der Zerrüttung der Finanzen
abzuhelfen vermochte. Dagegen gelang es der
Regierung, die Bewegung zugunsten der Sklaven-
emanzipation im Fluß zu erhalten und zu einem
günstigen Ende zu führen.
Die Negersklaverei in Brasilien datiert
aus der ersten Zeit der portugiesischen Kolonial=
herrschaft; daneben bestand die Sklaverei der in-
dianischen Eingebornen. Zwar wurde auf Ver-
anlassung der Jesuiten am 6. Juni 1755 ein
Gesetz erlassen, wodurch die Eingebornen für frei
Brasilien.
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und die Eingewanderten für gleichberechtigt er-
klärt wurden, aber die Sklaveneinfuhr stieg von
Jahr zu Jahr. Auch nachdem England 1826
einen Vertrag erzwungen hatte, demzufolge der
Sklavenhandel nach drei Jahren für ungesetzlich
gelten und als Seeräuberei bestraft werden sollte,
nahm er einen immer bedeutenderen Aufschwung
und beschäftigte ungeheure Kapitalien, bis das
entschiedene Auftreten Englands 1850 wirksamere
Maßregeln der brasilianischen Regierung hervor-
rief. Seit 1851 hörte nun allerdings der äußere
Sklavenhandel auf, dafür fand aber im Lande
ein reger Austausch der Arbeitskräfte des Nordens
und Südens, also ein reger Binnenhandel mit
Sklaven, Eingang, der an Grausamkeit und
Härte dem früheren nichts nachgab. Erst am
28. Sept. 1871 kam ein Gesetz zustande, welches
den ersten Schritt zur Befreiung der Sklaven be-
deutete. Nach diesem sog. Abolitionsgesetz sollten
in Zukunft alle von Sklavinnen gebornen Kinder
und alle an jenem Tag der Krone, dem Staat
und der Kirche gehörenden Sklaven frei sein.
Das Gesetz verbürgte also ein allmähliches Aus-
sterben der Sklaverei; um dieses zu beschleunigen,
wurde ein staatlicher Emanzipationsfonds ge-
gründet, aus dessen Erträgen Sklaven (1873 noch
1 600000) freigekauft werden sollten. Zugleich
bemächtigte sich die öffentliche Meinung der Frage;
aber die Gegner waren noch zu stark. Der all-
gemeinen Bewegung konnte sich das Parlament
nicht länger verschließen: am 9. Mai 1888 wurde
von der Deputiertenkammer und am 14. Mai
vom Senat die Aufhebung der Sklaverei aus-
gesprochen. Noch kurz vor dem entscheidenden
Beschluß, am 5. Mai 1888, richtete der Heilige
Vater an die Bischöfe Brasiliens eine Enzyklika,
worin er sie aufforderte, das begonnene Befrei-
ungswerk möglichst zu unterstützen. Diese Be-
freiung der bisherigen Sklaven bedeutete nun frei-
lich für viele der Feigelassenen zunächst eine be-
deutende Verschlechterung ihrer Lage, was mit
ihrer Arbeitsunlust nicht am wenigsten zusammen-
hing. Unter den Pflanzern, denen die Arbeiter
in dieser Weise genommen worden, nahm die
Gärung zu. Doa die Zentralregierung die Zügel
zu straff anzog, regte sich auch im Militär wach-
sende Unzufriedenheit, die zur Revolution führte,
als einige mißliebige Trupp schiebungsmaß
regeln durchgeführt werden sollten (Verlegung
einiger Bataillone aus Rio de Janeiro an die
Grenze). Die Truppen meuterten in der Haupt-
stadt am 15. Nov. 1889; der Marschall da Fon-
seca übernahm die parlamentarische Regierung,
verhaftete die Minister und sandte den Kaiser
zwangsweise nebst Familie nach Europa. Die
Republik der Vereinigten Staaten von Brasilien
war gegründet, die letzte (Schein-) Monarchie
in Amerika zerstört. Am 10. Jan. 1890 wurde
von den ganz nach Comteschen Grundsätzen han-
delnden maßgebenden Gewalten die Trennung
von Kirche und Staat erklärt, das Wahlrecht