Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

1023 
noch vor Ausbruch des Kriegs. Seine beiden 
Söhne, Heinrich und Wilhelm, teilten 1569 ihr 
Erbe und gründeten die Linien Braunschweig- 
Lüneburg-Dannenberg und Neulüneburg (Han- 
nover). Letztere erlangte 1692 die deutsche Kur- 
würde, kam 1714 auf den englischen Thron und 
regierte von 1815/66 Hannover als Königreich. 
Heinrichs jüngerer Sohn August vereinigte mit 
dem Besitz der Linie Dannenberg Wolfenbüttel, 
das ihm 1635 zugefallen war, und Teile der 
Harburger Erbschaft: er wurde Begründer des 
neuen Hauses Braunschweig-Wolfen- 
büttel. Als dieses 1735 ausstarb, folgte Fer- 
dinand Albrecht II. aus der Linie Braunschweig- 
Bevern. Von da ab erscheint Braunschweig in 
enger Verbindung mit Preußen. Ferdinand Al- 
brechts vierter Sohn, Herzog Ferdinand, ist der 
gefeierte Feldherr des Siebenjährigen Kriegs, der 
Sieger von Krefeld und Minden. Sein Bruder, 
Herzog Karl I., verlegte 1753 die Residenz von 
Wolfenbüttel nach Braunschweig. Dessen Sohn 
Karl Wilhelm Ferdinand führte Preußens Heere 
gegen das republikanische und kaiserliche Frank- 
reich, verlor die Schlacht bei Jena-Auerstedt und 
starb an den erhaltenen Wunden am 10. Nov. 1806 
zu Ottensen. „Das Haus Braunschweig“, dekretierte 
Napoleon, „hat aufgehört zu regieren“, das Land 
wurde nach dem Tilsiter Frieden mit dem König- 
reich Westfalen vereinigt. Friedrich Wilhelm, der 
jüngste Sohn des Herzogs Karl Wilhelm Ferdi- 
nand, der 1805 von seinem Oheim Friedrich Au- 
gust das Fürstentum Ols in Schlesien geerbt hatte, 
führte 1809 seine sog. Schwarze Schar aus Böhmen 
über Braunschweig bis an die Wesermündung und 
entkam nach England; am 16. Juni 1815 fiel er 
bei Quatrebras, nachdem er Ende 1813 sein Her- 
zogtum wieder erhalten hatte. Über seine unmün- 
digen Kinder führte der Prinzregent (nachmalige 
König Georg IV.) von England die Vormund- 
schaft, und der Graf Münster leitete 8 Jahre lang 
von London aus die Verwaltung des Landes, bis 
1820 die „erneuerte Landschaftsordnung“ zustande 
kam. Karl II., welcher am 23. Okt. 1823 die 
Regierung antrat, überließ seinem Bruder Wil- 
helm das Fürstentum Ols; er machte sich durch 
seine Willkürherrschaft bald so verhaßt, daß er 
1830 Braunschweig verlassen mußte (gest. 18. Aug. 
1873 in Genf). 
Sein Bruder Wilhelm übernahm mit Bei- 
stimmung der Agnaten und des Deutschen Bundes 
vom 20. April 1831 ab die Regierung des Lan- 
des, welches am 13. Okt. 1832 durch eine Ver- 
einbarung zwischen einer ständischen Kommission 
und der Regierung die Repräsentativverfassung 
erhielt. Die Bewegung des Jahrs 1848 nahm 
in Braunschweig, welches seit dem 1. Jan. 1844 
dem deutschen Zollverein angehörte, einen ruhigen 
Verlauf: Offentlichkeit und Mündlichkeit der 
Rechtspflege, Geschwornengerichte, Preffreiheit, 
freiere Gestaltung des Gemeindewesens und Ab- 
änderungen der Verfassung von 1832 wurden ge- 
Braunschweig. 
  
1024 
währt; 1850 folgte eine neue Gerichtsverfassung, 
eine revidierte Städte= und die erste freie Land- 
gemeindeordnung, 1851 ein neues Wahlgesetz und 
1864 Gewerbefreiheit. Im Jahr 1866 suchte die 
Regierung eine neutrale Haltung anzunehmen; 
aber das Auftreten des preußischen Gesandten 
nötigte sie, am 6. Juli ein Bündnis mit der sieg- 
reichen Macht einzugehen. Am 18. Aug. 1866 
erklärte Braunschweig seinen Beitritt zum Nord- 
deutschen Bunde, nahm 1870/71 ruhmreichen 
Anteil am Krieg gegen Frankreich und wurde 
Glied des Deutschen Reichs, obwohl sich der 
Herzog auch jetzt noch weigerte, die schon 1869 
in Aussicht genommene Militärkonvention mit 
Preußen abzuschließen. — Da Herzog Wilhelm 
der Letzte seines Hauses war, beschäftigte seit den 
Ereignissen des Jahres 1866 die Frage der Erb- 
folge lebhaft die Bevölkerung des Landes. Schon 
1871 verhandelte der Landtag über das künftige 
Schicksal des Herzogtums; in der Annahme einer 
möglichen Vereinigung mit Preußen verkaufte 
Braunschweig 1873 seine Staatseisenbahnen und 
verwendete den Erlös (30 Mill. J teils zur Be- 
zahlung der Staatsschulden, teils zur Dotierung 
der Kreise und Gemeinden. Durch Vertrag vom 
9. Juli 1874 wurde das sowohl Preußen wie 
Braunschweig zustehende Gebiet des Kommunion= 
Unterharzes geteilt; der Betrieb der Hüttenwerke 
blieb jedoch gemeinsam. Nach dem 1878 erfolgten 
Tod König Georgs V. beschäftigte sich der Land- 
tag von neuem mit der Erbfolgefrage, und am 
16. Febr. 1879 kam das sog. Regentschaftsgesetz 
zustande. In der Nacht vom 17. auf den 18. 
Okt. 1884 starb Herzog Wilhelm auf Schloß 
Sibyllenort in Schlesien, und ein Regent- 
schaftsrat, bestehend aus den drei stimm- 
führenden Mitgliedern des Ministeriums, dem 
Landtagspräsidenten und dem Präsidenten des 
Oberlandesgerichts, übernahm die Regierung. Der 
nächstberechtigte Erbe, der Herzog Ernst August 
von Cumberland, der Sohn des Königs Georg V. 
von Hannover, ergriff zwar sofort durch Patent 
vom 18. Okt. 1884 Besitz vom Herzogtum und 
zeigte dies den deutschen Fürsten mit dem Be- 
merken an, er wolle die deutsche Reichsverfassung 
anerkennen; doch der Regentschaftsrat beachtete 
diese Proklamation nicht. Auch ein Zirkular des 
Herzogs an die deutschen Fürsten und freien und 
Hansestädte vom 4. Nov. 1884 blieb ohne Er- 
folg. Man erkannte zwar durchweg an, daß 
staatsrechtlich die Sukzession des Herzogs wohl 
begründet sei; indessen hielt man an der Vor- 
stellung fest, daß sich der Herzog als Haupt der 
Welfenpartei noch mit Preußen im Krieg be- 
finde und daher seine Nachfolge mit dem Frieden 
und der Sicherheit des Reichs nicht verträglich 
sei. Nach längeren Verhandlungen wurde am 
30. Juni 1885 durch die Erklärung des Staats- 
ministers Grafen Görtz-Wrisberg im braun- 
schweigischen Landtag die Anwartschaft des Herzogs 
beseitigt und derselbe auf Bayerns Antrag durch
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.