Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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jahr zurückgelegt und seit einem Jahr im Land 
den Wohnsitz hat. Die auswärtigen Abgeordneten 
erhalten 10 M Diäten und Reisekosten, die in 
Braunschweig wohnenden 5 M. Die Landesver- 
sammlung muß alle 2 Jahre zu einem ordent- 
lichen Landtag von der Regierung berufen werden. 
Sie hat das Recht der Steuerbewilligung, der 
Mitaussicht über das vom Privatbesitz des Re- 
genten geschiedene Kammergut, der Zustimmung 
zu den Gesetzen und des legislatorischen Vor- 
schlags, das Beschwerde= und Petitionsrecht, das 
Recht der Präsentation von zwei Räten des Ober- 
landesgerichts und das der Ministeranklage wegen 
Verfassungsverletzung: die Verhandlung und Ent- 
scheidung darüber ist einem besondern Staats- 
gerichtshof zugewiesen. Sie präsentiert je drei 
Kandidaten für die Stellen des Präsidenten und 
Vizepräsidenten, von denen der Landesherr je 
einen bestätigt (Geschäftsordnung vom 19. April 
1852). — Im deutschen Bundesrat führt Braun- 
schweig zwei Stimmen, für den Reichstag wählt 
es drei Abgeordnete. 
Die oberste Leitung der Staatsverwaltung liegt 
in den Händen des Staatsministeriums, 
das mit drei stimmführenden Mitgliedern besetzt 
ist. Für die Finanzverwaltung sorgen das Finanz= 
kollegium, die Zoll= und Steuerdirektion und die 
herzogliche Kammer in drei Abteilungen für Do- 
mänen, Forsten und Bergwerke. Neben dem 
Staatsministerium besteht eine aus den Ministern, 
den Vorständen der höchsten Behörden und vom 
Herzog ernannten Mitgliedern zusammengesetzte 
Ministerialkommission (Staatsrat) in fünf 
Abteilungen für: innere Landesverwaltung und 
Polizei, Finanzen und Handel, Justiz, geistliche 
und Schulsachen sowie Militärwesen, welche die 
Gesetzentwürfe und andere wichtige Landesange- 
legenheiten zu begutachten hat. Über die zwischen 
dem Staatsministerium und dem Staatserat ent- 
standenen Kompetenzkonflikte entscheidet eine aus 
höheren Justiz= und Verwaltungsbeamten zu- 
sammengesetzte Kommission. — Zum Zweck der 
innern Verwaltung zerfällt das Herzogtum 
in 6 Kreise: Blankenburg, Braunschweig, 
Gandersheim, Helmstedt, Holzminden, Wolfen- 
büttel, in welchen die herzoglichen Kreisdirektionen 
alle zum Wirkungskreis der Staatsgewalt ge- 
hörenden Geschäfte zu besorgen haben, insbeson- 
dere die Landespolizei und die Aufsicht über die 
Gemeindeverwaltung, in bestimmten Fällen unter 
Mitwirkung des Kreisausschusses, des ausführen- 
den Organs des Kreistags. Als ihre Hilfsbeamten 
fungieren die Amtsvögte in den 23 Amtern. 
Ortspolizeibehörden sind die Polizeidirektion zu 
Braunschweig, welche nebst dem dortigen Magi- 
strat unmittelbar dem Ministerium unterstellt ist, 
das Polizeiamt in Wolfenbüttel, die Magistrate 
in den Städten und die Gemeindevorsteher auf 
dem Land. — Zur Pfflege gemeinsamer öffent- 
licher Interessen ist das Land durch die Kreisord- 
nung vom 5. Juni 1871 in 8 Kreiskommunal-= 
Braunschweig. 
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verbände eingeteilt, und zwar umfaßt der Kreis 
Braunschweig 3 (Braunschweig, Riddagshausen- 
Vechelde und Thedinghausen), die andern 5 Kreise 
je einen dieser Kommunalverbände, denen von 
seiten des Staats Dotationen im Gesamtbetrag 
von 15 Mill. M überwiesen worden sind. Die 
Geschäfte der Selbstverwaltung besorgt der Kreis- 
tag oder dessen ausführendes Organ, der Kreis- 
ausschuß. — In den Gemeinden, die ihre 
Angelegenheiten selbst verwalten, bestehen als Ver- 
tretungen und beschließende Organe Stadtver- 
ordnetenversammlungen (Städteordnung vom 
18. Juni 1892) und Gemeinderäte. Verwaltende 
Behörden sind die Magistrate und Gemeindevor- 
stände, vollziehende Organe die Bürgermeister und. 
Gemeindevorsteher. — Dem Oberlandesgericht 
in Braunschweig, wo auch die gerichtliche Diszi- 
plinarbehörde, der Gerichtshof zur Entscheidung 
von Kompetenzstreitigkeiten und die juristische 
Prüfungskommission ihren Sitz haben, ist ein 
Landgericht mit 24 Amtsgerichten unterstellt. 
4. Religion und Unterricht. Die Refor- 
mation fand schon 1521 in der Stadt Braun- 
schweig Aufnahme und wurde 1528 von Bugen- 
hagen durchgeführt. Herzog Heinrich, der letzte 
katholische Fürst des Hauses Braunschweig-Wol- 
fenbüttel, stellte zwar von 1547/68 den katho- 
lischen Gottesdienst wieder her; aber sein Sohn 
und Nachfolger Julius war wieder ein entschie- 
dener Protestant, der unter anderem zur Ausbrei- 
tung der Reformation in seinem Land die Uni- 
versität Helmstedt gründete. Die Klöster, 17 an 
der Zahl, verwandelte er in protestantische Wohl- 
tätigkeitsanstalten, die heute noch bestehen. 
An die Rückkehr des Herzogs Anton Ulrich in 
den Schoß der katholischen Kirche (1710) 
knüpft sich die Gründung zweier katholischen Ge- 
meinden in Braunschweig und Wolfenbüttel, denen 
nach seinem Willen von Anfang an Franziskaner- 
patres vorstanden. Auch seine protestantischen 
Nachfolger duldeten sie weiter und erwiesen ihnen 
sogar mancherlei Wohltaten; die freie Ausübung 
der katholischen Religion im Land selbst aber 
wurde möglichst beschränkt. So durften die katho- 
lischen Geistlichen nach dem herzoglichen Regle- 
ment von 1768 außerhalb der Städte Braun- 
schweig und Wolfenbüttel ohne Erlaubnis der 
lutherischen Pastoren keine Sakramente spenden; 
alle Katholiken mußten an die lutherischen Orts- 
pfarrer Stolgebühren zahlen usw. Die Gesetze 
vom 18. Mai 1864 und 19. Mai 1867 haben 
zwar jene Beschränkungen größtenteils beseitigt, 
jedoch blieben die Katholiken mit Ausnahme der- 
jenigen, welche in den Städten Braunschweig, 
Wolfenbüttel und Helmstedt wohnen, bei den luthe- 
rischen Pfarrämtern eingepfarrt. Dieser Pfarr- 
zwang hatte zur Folge, daß die Katholiken bei 
Geburten, Sterbefällen und Verheiratungen dem 
lutherischen Pfarramt Anzeige machen mußten und 
die Taufe, Beerdigung und Trauung von einem 
„im hiesigen Land zu kirchlichen Handlungen be- 
  
 
	        
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