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rechtigten katholischen Geistlichen“ erst dann vor-
nehmen lassen durften, wenn eine Bescheinigung
des zuständigen lutherischen Pfarrers beigebracht
war. Diese Härten sind durch das Gesetz vom
29. Dez. 1902 aufgehoben. Seit 1908 können
die Polizei und die Kreisdirektionen den im Her-
zogtum nicht zugelassenen katholischen Geistlichen
in Einzelfällen Amtshandlungen ohne weiteres
gestatten. Bis dahin mußten diese Geistlichen ein
Gelöbnis auf die Gesetze abgeben und dann die
Genehmigung des Ministeriums einholen. Die
Katholiken des Herzogtums sind seit 1834 dem
Bistum Hildesheim aggregiert und bilden das
Dekanat Braunschweig mit den drei Pfarreien
Braunschweig, Wolfenbüttel und Helmstedt. Hier-
zu sind seit neuerer Zeit die Missionsstellen Blan-
kenburg, Harzburg, Holzminden, Schöningen
und Süpplingen gekommen. Die Zahl der katho-
lischen Geistlichen im Herzogtum beträgt 14. Die
Schulen der Katholiken sind nur konzessionierte
Pfarrschulen, erhalten jedoch in den drei Pfarr-
städten staatliche und städtische Zuschüsse.
Für dieevangelisch-lutherische Landes-
kirche ist durch Gesetz vom 31. Mai 1871 die
Synodalverfassung eingeführt. Die Landes-
synode besteht aus 12 geistlichen und 16 welt-
lichen in den 6 General= und Stadtinspektionen
gewählten, 2 geistlichen und 2 weltlichen von der
Kirchenregierung ernannten Mitgliedern, von
denen die Hälfte in vierjährigem Turnus aus-
scheidet. Die Synode tritt ordentlicherweise alle
vier Jahre zusammen; in der Zwischenzeit fungiert
ein aus 5 Mitgliedern bestehender Ausschuß. Be-
sondere Kirchenvertretungen sind die Inspektions-
synoden, die Kirchengemeinderäte und die Kirchen-
gemeindeversammlungen. Die oberste verwal-
tende Kirchenbehörde ist das Konsistorium zu
Wolfenbüttel (Präsident und 6 Mitglieder), dem
6 Generalinspektionen mit je einem Generalsuper-
intendenten und 33 Spezialinspektionen unter-
stellt sind. Ein evangelisch-lutherisches Prediger-
seminar befindet sich in Wolfenbüttel. — Die
reformierte Kirche steht in ihren Angelegenheiten
unabhängig vom Staat unter der Leitung eines
Presbyteriums, das an den Synodalversamm-
lungen der vereinigten reformierten Kirchen Nieder-
sachsens teilnimmt. — Die Juder haben ein
Landesrabbinat zu Braunschweig und vier Syn-
agogen; sie sind den Christen politisch und seit
1848 auch bürgerlich gleichgestellt.
Das Schul= und Unterrichtswesen steht unter
Leitung der Oberschulkommission. Der Volksschul-
unterricht dauert vom 6. bis 14. Jahr und wird
in etwa 440 Schulen erteilt. Berühmt ist die
Carola-Wilhelmina in Braunschweig, die 1745
als höhere humanistisch-technische Lehranstalt ge-
gründet und 1861 in eine Technische Hochschule
umgewandelt wurde. Als Landesuniversität gilt
Göttingen, wohin 1809 die Unterstützungsfonds
der unter westfälischer Herrschaft aufgehobenen
Universität Helmstedt übertragen worden sind.
Braunschweig.
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Die Landesbibliothek befindet sich in Wolfenbüttel
(300 000 Bände und 10 000 Handschriften), ein
herzogliches Museum in Braunschweig.
5. Der Staatshaushalt für 1906/07 zeigt
eine Einnahme von 13 474.000 und eine Ausgabe
von 14 588 300 M; der Etat der Kammerkasse be-
trägt 3 325 340 M. Die Zivilliste (1 125 323 M)
erscheint nicht auf dem Etat der Staatskasse; sie
besteht aus den Einkünften von dem Kammergut
und den Zinsen des Bevernschen Kapitals von
100 000 Talern Gold. Neben dem Staatshaus-
haltsetat besteht noch ein besonderer des vereinigten
Kloster= und Studienfonds, dessen Reinertrag
(1906/07: 1450 900 M) ausschließlich für den
Kultus und die Unterrichtsanstalten verwendet
wird. Die Passiva der Kammerkasse beliefen sich
Ende August 1906 auf 679 549, die der Staats-
kasse auf 28227 960 M, dazu noch 22 566 060 M
Prämienanleihe (20 Taler-Lose), welche in den
Jahren 1869/1924 mit 63.000 000 M durch
Annnitäten von je 1219740 M zurückgezahlt wer-
den. Die Aktiva betrugen 39 944 067 M (beie
dem Kammerkapitalfonds 655 400, bei dem Klo-
sterkapitalfonds 20 952 517 und bei dem Staats-
haushalt 18 336 150), so daß sich die wirk-
liche Schuld auf 11 529 509 (1899/1900 auf
19 135 973 A) belief.
Braunschweig war der einzige deutsche Klein-
staat, der es ablehnte, nach Gründung des Nord-
deutschen Bundes mit Preußen eine Militär-
konvention zu schließen; erst am 18. März 1886
kam eine Vereinbarung zustande. Das herzogliche
Kontingent (das braunschw. Inf.-Reg. Nr 92,
das braunschw. Hus.-Reg. Nr 17, die 2. Batt.
des Feld-Art.-Reg. v. Scharnhorst [1. hannov.)
Nr 46) ist der 20. Division des X. Armeekorps
(Hannover) zugeteilt.
Literatur. Havemann, Gesch. der Lande B.
u. Lüneburg (3 Bde, 1853/57); Schaumann, Handb.
der Gesch, der Lande Hannover u. B. (1864); Su-
dendorf, Urkundenbuch zur Gesch. der Herzoge von
B. u. Lüneburg (11 Bde, 1859/83); v. Heinemann,
Gesch. von B. u. Hannover (3 Bde, 1882/92);
Köcher, Gesch. von B. u. Hannover 1648/1714
(2 Bde, 1884/95); Hohnstein, Gesch. des Herzogt.
B. (1908); Jahrbuch des Geschichtsvereins für das
Herzogt. B. (seit 1902). — Knoll u. Bode, Das
Herzogt. B., Handb. der ges. Landeskunde (21891);
Andree, B.er Volkskunde (21901); Knoll, Topo=
graphie des Herzogt. B. (1897). — Rhamm, Die
Verfassungsgesetze des Herzogt. B. (1907); ders.,
Neuordnung der Regierungsverhältnisse in B.
(Jahrb. des öffentl. Rechts ([1907|)); Koldewey,
Die Jesuiten u. das Herzogt. B. (1889); Woker,
Gesch. der norddeutschen Franziskaner-Mission
(1881); Cismontanus, Zur Lage der Katholiken
im Herzogt. B. (1900); Beste, Gesch, der braunschw.
Landeskirche von der Reformation bis auf unsere
Tage (1890); v. Schmidt-Phiseldeck, Das evang.
Kirchenrecht des Herzogt. B. (1894); Koldewey,
Gesch, des Schulwesens im Herzogt. B. (1891);
Fricke, Die das Volksschulwesen des Herzogt. B.
betr. Gesetze u. Verordnungen (1892).
Ed. Franz, rev. Sacher.)
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