Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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wachen und den verfassungsmäßigen Verkehr 
zwischen der Bürgerschaft und dem Senat zu 
vermitteln. 
Der Senat hat die Leitung und Oberaussicht 
in allen Staatsangelegenheiten, die Vertretung des 
Staates gegen Dritte und nach außen, das Gna- 
denrecht und die Polizeigewalt sowie die voll- 
ziehende Gewalt überhaupt nach Maßgabe der 
Verfassung. Er übt dieselbe teils in seiner Gesamt- 
heit aus teils durch seine für die einzelnen Ver- 
waltungszweige bestehenden Kommissionen, denen 
meist Deputierte der Bürgerschaft beigegeben sind. 
Solche Kommissionen bestehen für die Reichs= und 
auswärtigen Angelegenheiten sowie für Justiz, 
Militärwesen, Handels= und Schiffahrtsangelegen- 
heiten, für kirchliche Angelegenheiten und Unter- 
richtswesen, für Finanzen, für Polizei, für Medi- 
zinalwesen, für Häsen und Eisenbahnen, für Zoll- 
angelegenheiten, für Bauwesen, für Gewerbesachen 
und für Armenpflege. Eine Mitwirkung der 
Bürgerschaft findet besonders bei der Finanzver- 
waltung statt, insofern es sich um Einführung, 
Aufhebung und Veränderung von direkten und 
indirekten Steuern, um den Abschluß von Anleihen 
und um die Feststellung des Staatshaushaltsetats 
handelt. Die Rechnungsführung liegt immer in 
den Händen eines Mitglieds der Bürgerschaft. 
Zum Ressort der Kommission für die auswärtigen 
Angelegenheiten gehört auch das Gesandtschafts- 
und Konsulatswesen. Ein außerordentlicher und 
bevollmächtigter Gesandter (gemeinsamer Vertreter 
der Hansestädte) für Preußen hat seinen Sitz in 
Berlin. 
Im Bundesrat hat Bremen eine Stimme, in 
den Reichstag sendet es einen Abgeordneten. Die 
Bremen. 
  
niedere Administration in der Stadt üben die 
Polizeibehörden; die Polizei und Verwaltung des 
Landgebiets (mit Ausnahme der Schul= und 
Kirchensachen) und die Aufsicht in Deichsachen ist 
einem Senator als „Landherrn“ übertragen. — Die 
Gemeindeangelegenheiten werden in Bremen vom 
Senat (Magistrat) und von der Bürgerschaft 
(Stadtverordnete), in den beiden Hafenstädten 
vom Stadtrat, an dessen Spitze ein Stadtdirektor 
steht, und der Stadtverordnetenversammlung wahr 
genommen. Das Landgebiet ist seit 1878 nach 
preußischem Muster als sich selbst verwaltender 
Kreis mit Bezirksversammlungen eingerichtet. 
  
Bremen gehört in den Bezirk des hanseatischen. 
Oberlandesgerichts zu Hamburg, besitzt selbst 
1 Landgericht, 2 Kammern für Handelssachen und 
je 1 Amtsgericht in Bremen und Bremerhaven. 
Die Richter werden durch einen aus 9 Mitgliedern 
bestehenden Wahlausschuß von Senat, Bürger- 
schaft und Richterkollegium gewählt. 
Die Interessen von Handel und Verkehr vertritt 
der Kaufmannskonvent und die Handelskammer, 
die Interessen des Gewerbewesens der Gewerbe- 
  
  
konvent und die Gewerbekammer, die gleichzeitig 
auch die Rechte und Pflichten einer Handwerks= sichtsbefugnisse kann der Senatauchihnen gegenüber 
kammer hat, die Interessen der Landwirtschaft die | zur Anwendung bringen. Niemand braucht einer 
1036 
Kammer für Landwirtschaft (ein Senatsmitglied, 
der „Landherr“, und 20 praktische Landwirte). 
Alle diese Interessenvertretungen sind gleichzeitig 
in verschiedener Hinsicht staatliche Verwaltungs- 
organe. 
Das Finanzwesen wird von einer Kommis- 
sion beaufsichtigt, die sich aus 3— 4 Senatoren und 
12 Mitgliedern der Bürgerschaft zusammensetzt. 
Die Abrechnung für 190 5/06 weist eine Einnahme 
von 35207774 gegenüber einer Ausgabe von 
43 170 593 M auf. Die Staatsschuld belief sich 
am 1. April 1906 auf 220 695 000 M. 
Laut Militärkonvention vom 27. Juni 
1867 ist das Bremer Truppenkontingent der 
preußischen Armee einverleibt. Die Wehrpflich- 
tigen werden in das Inf.-Reg. Bremen (1. Hanse- 
atisches) Nr 75 eingereiht, welches zur 17. Division 
und zum IX. Armeekorps (Altona) gehört. — Das 
Wappen der freien Stadt Bremen zeigt in rotem 
Feld einen silbernen, schrägrechts liegenden Schlüs- 
sel mit aufwärts gekehrter Schließplatte. Die 
Landesfarben sind Rot-Weiß; die Flagge ist 
abwechselnd je viermal rot und weiß horizontal 
gestreift, hinter zwei Reihen geschichteter Vierecke 
von denselben Farben. Das Wahrzeichen der 
Stadt ist eine Henne mit den Küchlein unter den 
Flügeln, ein Basrelief im Ratskeller. 
4. Religion und Unterricht. Nach der 
Verfassung übt der Senat die Rechte des Staats in 
kirchlichen Angelegenheiten aus; er hat die Ober= 
aufsicht über das Kirchenwesen und über die Ver- 
mögensverwaltung der Kirchen, umfassend „Ab- 
nahme und Zuschreibung aller über solche Ver- 
waltungen geführten Rechnungen“. Zur regel- 
mäßigen Ausübung dieser Befugnisse besteht die 
Senatskommission für kirchliche Angelegenheiten. 
Die Religionsgesellschaften im Staat unterliegen 
seiner Herrschaft, in dieser Richtung bezeichnet als 
„Kirchenhoheit“, ius circa sacra. Aus der Kir- 
chenhoheit folgt das Recht des Staates, über die 
Zulassung neuer Religionsgemeinschaften zu be- 
stimmen. Die im Staat bestehenden Religions- 
gesellschaften haben eine dreifachverschiedene Rechts- 
stellung. Sie können sein 1) öffentlich-rechtliche 
(staatlich als solche anerkannte) Religionsgesell- 
schaften; nur sie haben ein Recht auf Behandlung 
als Kirchen, z. B. auf Ausübung und Schutz 
ihres öffentlichen Gottesdienstes, auf Gewährung 
der in den Steuergesetzen vorgesehenen Befreiung 
ihres Einkommens, ihrer Gebäude von Steuer- 
lasten; solche öffentliche Rechtsstellung hat die 
evangelische Kirche beider Konfessionen und die 
römisch-katholische Kirchengemeinschaft; 2) pri- 
vate Religionsgesellschaften mit Korporations-= 
rechten; solche hat der Senat der israelitischen 
Gemeinde und der Baptistengemeinde verliehen; 
3) Religionsgesellschaften ohne Korporationsrechte. 
Die Rechte öffentlicher Religionsgesellschaften stehen 
den unter Nr 2 und 3 genannten nicht zuz seine Auf-
	        
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