Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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rischen Fürsten. Die Erweiterung der bulgarischen 
Macht erfüllte Serbien mit Eifersucht, dessen 
König Milan, um gleichzeitig innere Wirren, zu 
beschwichtigen, zum Krieg trieb. Binnen zwei 
Wochen war der nun (Nov. 1885) ausbrechende 
Krieg beendet; die überlegene militärische Tüchtig- 
keit der Bulgaren siegte; Osterreichs Intervention 
setzte weiteren kriegerischen Ereignissen ein Ziel. 
Der Friede vom März 1886 zu Bukarest gab 
und nahm keinem Teil etwas. Die Pforte ließ 
sich jetzt dazu herbei, den Fürsten von Bulgarien 
von fünf zu fünf Jahren als Statthalter von Ost- 
rumelien zu bestätigen; Rußland war dadurch 
aber doch nicht ausgesöhnt. Die bulgarische Re- 
gierung nahm nun Ostrumelien wie eine eigene 
Provinz in Verwaltung und ließ dort auch, ge- 
rade wie in Bulgarien, Abgeordnete für die So- 
branje wählen. Rußland kam dann die bald an- 
gezettelte militärische Verschwörung sehr erwünscht, 
welche zur Gefangennehmung des Fürsten und 
seiner Entfernung aus dem Land führte. Die 
Revolution vermochte aber keine neue politische 
Gestaltung herbeizuführen, ja sich nicht einmal 
gegen die treugebliebenen Truppen zu halten. 
Nun trat als Führer der Gegenrevolution jener 
Mann hervor, der neun Jahre lang die Geschicke 
des Landes leiten sollte, der Kammerpräsident 
Stambulow. Fürst Alexander kam im Triumph 
zurück; doch sollte dies nur ein glänzender Abgang 
sein, denn vier Tage nach seiner Rückkehr dankte 
er ab, seinen Posten nach Feststellung der Unver- 
söhnlichkeit Rußlands als unleidlich erkennend. 
Stambulow, Mutkurow und Karawelow über- 
nahmen die Regentschaft, Radoslawow die Bil- 
dung des Kabinetts. Auch diese Wendung ver- 
söhnte Rußland nicht; vielmehr wurden, nachdem 
General Kaulbars vergeblich den Menschikow zu 
spielen gesucht, alle Beziehungen zwischen Sofia 
und St Petersburg abgebrochen. Nun suchten 
russenfreundliche Bulgaren von außen her auf Bul- 
gariens Geschicke einzuwirken; aber die von ihnen 
angezettelten Aufstände schlugen fehl, wenn auch 
die Ablehnung des von der großen Sobranje zum 
Fürsten gewählten dänischen Prinzen Waldemar 
die innern Zustände nicht gerade festigte. Mit 
Eifer trieb Stambulow inzwischen auf ein Defini- 
tivum hin, und nun kam die Wahl des Prinzen 
Ferdinand von Coburg zustande (7. Juli 1887). 
Ferdinand hatte an der Abneigung Rußlands 
gegen Stambulow mitzutragen; auf Betreiben 
dieser Macht versagten die andern Mächte dem 
neuen Fürsten die Bestätigung. Dafür wirkte der 
Rubel im stillen, um Bulgarien nicht zur Ruhe 
kommen zu lassen; das hatte Verschwörungen und 
Attentate auf Stambulow, Beltschew und Vulko- 
witsch zur Folge. Stambulowsetzte in der Sobranje 
durch, nachdem Fürst Ferdinand aus dem erz- 
katholischen Hause Parma die Prinzessin Maria 
Luise geehelicht, daß der Artikel der Verfassung, 
welcher vom Thronfolger orthodoxe Konfession 
forderte, geändert wurde, eine weitere Belebung 
Bulgarien. 
  
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des russischen Zorns. Für die bulgarische Kirche 
und Schule in Mazedonien erlangte Stambulow 
von der Pforte wichtige Zugeständnisse, welche den 
lebhaften Neid Serbiens weckten. Fürst Ferdi- 
nand empfand allmählich das alle andern politi- 
chen Faktoren erdrückende Gewicht des Minister- 
präsidenten Stambulow sehr lästig; zudem machte 
er sich mehr und mehr mit dem Gedanken vertraut, 
daß er, wenn er den Thron behalten wolle — und 
das war sein Streben —, Rußland aussöhnen 
müsse. So wurde zunächst der hauptsächlichste 
Stein des Anstoßes geopfert — Stambulow 
wurde in brüsker Weise entlassen (31. Mai 1894). 
Das Kabinett Stoilow, anfänglich sich so stellend, 
als wolle es Bulgariens Selbständigkeit nach allen 
Seiten, machte sich bald zum Werkzeug Rußlands, 
ließ die alten Verschwörer, die Stambulow im 
Interesse von Bulgariens Unabhängigkeit ent- 
fernt, wieder ins Land — Stambulom fiel als- 
bald durch Mörderhand — und setzte gleichzeitig 
dem Fürsten zu, einen Schritt zu tun, von dem 
die „Begnadigung“ durch Rußland erhofft werden 
könne: der kleine Thronfolger Boris wurde dem 
Schisma ausgeantwortet. Eine Reise Ferdinands 
nach St Petersburg krönte den Umschwung. Tat- 
sächlich wurde jetzt schrittweise der Ehrgeiz des 
Fürsten befriedigt: von Rußland beeinflußt, er- 
kannte die Türkei, dann auch das übrige Europa 
ihn förmlich als Fürsten an, und Rußland gab 
seinen Segen dazu. Osterreich empfand diesen 
Übergang Bulgariens in die Hände Rußlands 
nicht angenehm, um so weniger, als Zerwürfnisse 
mit Ungarn die Serben zu einem engeren An- 
schluß an Bulgarien brachten. 
Mit Rumänien entstand ein Konflikt wegen 
des Übermuts, den das mazedonische Aufruhr- 
komitee selbst an rumänischen Landesangehörigen 
ausließ. Die bulgarische Regierung begünstigte 
mehr und mehr die Tätigkeit dieses Komitees, 
das die Losreißung Mazedoniens von der Türkei 
vorbereitete und 1902 und 1903 einen vollstän- 
digen Kriegsplan durchführte, der die Türkei zu 
umfassenden Maßregeln zwang. Zeitweilig drohte 
deshalb Krieg mit Bulgarien, welches trotz aller 
offenkundigen Tatsachen sich als von der Türkei 
angegriffen hinstellte, aber von Rußland und 
Osterreich in die Schranken zurückgewiesen wurde. 
Nach und nach verschoben sich die Sympathien. 
Zwar hörten die bulgarischen Banden nicht auf, 
Mazedonien schwer heimzusuchen, aber in dem- 
selben Maß, wie sich in Bulgarien selbst und in 
Mazedonien die Feindschaft der Bulgaren gegen 
die Griechen verschärfte, milderte sich der türkisch- 
bulgarische Gegensatz; ja es gelang der bulgarischen 
Regierung durch geschicktes Auftreten, sich in den 
Beziehungen zur Pforte an die Stelle Griechen- 
lands zu bringen, das naturgemäß die Gegen- 
bewegung seiner Stammes= bzw. Sprachgenossen 
in Mazedonien gegen die nach und nach mehr 
griechen= als türkenfeindliche bulgarische Banden- 
bewegung unterstützte. So verwischte sich die Ver- 
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