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Marktgründer von Anbeginn ihren eigenen Un-
freien die Ansiedlung im Marktgebiet gestatteten,
sie aber in ihren Rechtsstreiten nicht unter das
Marktgericht stellten, sondern dem angestammten
Hofrecht unterworfen sein ließen. Sie nahmen also
zwar wirtschaftlich an Handel und Gewerbe des
Marktes teil, waren auch Eigentümer vom Markt-
land, genossen jedoch eine exemte Stellung gegen-
über dem Marktgericht. Besonders war dies auch
hinsichtlich der Ministerialen des Stadtherrn der
Fall. Die selbständig gewordene Bürgerschaft
räumte mit diesen Ausnahmestellungen auf, die oft
selbst nicht dem Interesse der Betroffenen ent-
sprochen haben mochten. Jeder, der Marktland zu
eigen oder zu stadtherrlicher Hofstättenleihe besaß,
galt als Bürger, gleichgültig, ob er Handel oder
Handwerk trieb oder nicht. Nur so erklärt sich
der in allen größeren Städten vorhandene Ein-
schlag von Ministerialenfamilien in den privile-
gierten Geschlechtern. Das mittelalterliche Bürger-
recht war gewiß von Hause aus das Standesrecht
für Handel und Handwerk, seine dingliche Unterlage
machte es jedoch ausdehnungsfähig auch auf andere
Bevölkerungselemente. Aber auch nach einer andern
Richtung vollzog sich der Ausgleich. Der Kern
der Marktansiedler war an allen irgend bedeuten-
deren Orten von Geburt frei. Der Stand der
Ministerialen war in seiner gesamten Wertung seit
der Stauferzeit so sehr gehoben, daß seine Glieder
das Ansehen von Freien genossen. Soweit aber
Hörige anderer Art sich in den Bürgerschaften
fanden, strebten sie danach, aus ihrem hofrecht-
lichen Verband völlig aus= und unter das Markt-
recht zu treten, mit einem Wort, die Freiheit zu
erlangen. Es ist ein äußerst vielgestaltiger und
verschiedenartig verlaufender Prozeß, der in den
mittelalterlichen Städten bald früher bald später
gegenüber dem Stadtherrn wie gegenüber aus-
wärtigen Leibesherren von Stadteingesessenen den
Satz durchsetzte, daß überjähriger Aufenthalt in
der Stadt, wenn der Betreffende nicht seine Un-
freiheitsabgaben weiter entrichtete, frei mache
(Rechtssprichwort: „Stadtluft macht frei“").
Mit seiner Anerkennung erst ist der Bürgerstand
im Rechtssinn eine fertige Sonderschicht im Volks-
ganzen. Zunächst gewiß nur auf Bürger beschränkt,
kam er im endlichen Resultat allen Einwohnern
der Städte zugute und machte diese in Wahrheit
zum Asyl der Freiheit. Im 12. Jahrh. ringt er
sich als eine der ersten Außerungen autonomen
bürgerlichen Lebens los und bricht sich im 13. und
14. Jahrh. mit elementarer Gewalt allüberall
Bahn. Er gab den Städten in den Zeiten eines
allseitigen wirtschaftlichen Aufschwungs eine nie
erlebte Anziehungskraft für das Landvolk auf weit-
hin. Er führte zu dem Institut der Pfahlbürger
(paleburgaere — falsche Bürger, wie „balemunt"“
— betrügerischer Vormund), wonach hörige Bauern
sich in der Stadt die Freiheit erwarben, dann alle
Jahre eine gewisse Zeit in der Stadt zubrachten,
im übrigen aber ihre Landgüter und -höfe bei-
Bürgerstand.
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behielten, von denen sie ihren angebornen Grund-
herrn auf Grund ihrer in der Stadt erlangten Frei-
heit die alten Hörigkeitsabgaben verweigerten. Ein
mehrhundertjähriger Kampf der Fürsten und Ritter
gegen das Pfahlbürgertum wurde durch diese Ent-
wicklung ausgelöst.
Nicht zu verwechseln mit Pfahlbürgertum ist das
Ausbürgertumimwweiteren Sinn. Die fehde-
lustigen Zeiten des 13. Jahrh. haben zuerst dazu.
geführt, daß Bewohner des flachen Landes, einzelne
wie ganze Dorfschaften, in Anlehnung an eine
benachbarte mächtige Stadt den Schutz suchten,
den ihnen das schwache Reich nicht geben konnte.
Die späteren Kämpfe zwischen Fürsten und Städten
ließen letztere selbst zur Stärkung ihrer Stellung
Ausbürgerverträge mit einem mehr oder weniger
weiten Hinterland suchen und finden. Auch
mancher Landritter trat als Ausbürger in Be-
ziehung zu einer Stadt. Die Ausbürger entrich-
teten ein vereinbartes Schirmgeld und erfreuten
sich dafür des Schutzes der Bürgerschaft, der sie so
in einer mehr äußerlichen Weise beigesellt waren.
Doch damit sind wir der innern Entwicklung
des Bürgerrechts an einem Punkte vorausgeeilt.
Im Innern der Stadt ließ sich vielfach die alte
dingliche Grundlage des Bürgerrechts nicht halten.
Durch Aufsaugung und Eingemeindung angren-
zender Gebiete wie fast überall der stadtherrlichen
Fronhofgemeinden verlor das Marktland imengeren
Sinn seine ursprüngliche Bedeutung. Eine Stadt-
erweiterung folgte in den Jahrzehnten der höchsten
Blüte der andern, und jede Hinausschiebung des
Mauerrings brachte neue Bevölkerungselemente
herein. Sie alle wie auch die Schar der in Miete
usw. wohnenden Handwerker wurden von der re-
gierenden Klasse, die den Rat wählte, zu den be-
trächtlichen Steuerlasten herangezogen, galten aber
zunächst nicht als Bürger. Da geriet der alte
Bürgerbegriff ins Wanken. Die neuen Schichten
organisierten sich nach Handwerken in Zünften und
Bruderschaften, und alle Verbote von Stadtherren
und Rat konnten die Zunftbildung nur aufhalten,
nicht unterdrücken. Es entbrannten im 14. und
15. Jahrh. die Zunftaufstände der deutschen Städte,
die zu schweren innern Krisen führten. Eine Ver-
breiterung der Grundlagen des Bürgerrechts und
eine Verdrängung der alten Geschlechter aus ihrer
beherrschenden Stellung in Verwaltung und Rat
war die regelmäßige Folge. Freilich sind die Er-
gebnisse im einzelnen sehr verschieden. In Süd-
deutschland waren die Zünfte im allgemeinen viel
erfolgreicher als in Norddeutschland, wo die aus-
schließliche Ratsfähigkeit dem Patriziat erhalten
blieb. Überall aber sehen wir die ursprüngliche
Grundlage des Bürgerrechts gesprengt. Bürger
ist nicht mehr nur der städtische freie Grundbesitzer,
auch auf Grund von fahrendem Vermögen, auf
Grund eines Handwerks, durch Zahlung einer Ein-
kaufssumme konnte fortan das Bürgerrechterworben
werden. An diesen Grundlagen eines erweiterten
städtischen Bürgerrechts hielt die ganze folgende