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(später in Rivalität mit den Zünften) die Magi-
stratsstellen. — Dem niedern Adel gelang nur
ausnahmsweise die Schließung der Familien zu
Genossenschaften. Dafür gab es hier Ritterbünde,
Adelsgesellschaften und Ganerbschaften, endlich
das wichtige Institut der Familienfidei-
kommisse (s. d. Art.). Besonders seit dem
16. Jahrh. bildete sich für den niedern Adel und
das ihm gleichgestellte städtische Patriziat das Ge-
wohnheitsrecht aus, durch Stiftungen für ewige
Zeit unabänderlich das Schicksal ihres Vermögens
normieren zu dürfen. Um vor Anfechtungen von
seiten des römischen Rechts sicher zu sein, knüpfte
man an das Recht der Novelle 159 an. Die
Sorge für das Stammgut war um so wichtiger,
als durch die Säkularisationen der Reformation
dem Adel viele Gelegenheiten zur Versorgung
seiner nachgebornen Söhne und unverheirateten
Töchter in den reichen, vielfach von ihm selbst do-
tierten Stiften entzogen worden war. Dennoch
ging die Umwandlung aus einem ehemals leben-
dig funktionierenden Organ des öffentlichen Le-
bens in einen bloß ausgezeichneten Geburtsstand
unaufhaltsam vorwärts. In der Blütezeit hatte
er besondere Rechte gehabt, aber nur, weil er be-
sondere Pflichten und Lasten trug. Nun hörten
letztere mehr und mehr auf, ohne daß zunächst die
Vorrechte darunter litten. Im andern Fall würde
die Veränderung der Verhältnisse, die Beseitigung
des Lehnswesens viel größeren Widerstand ge-
sunden haben. — In der Zeit des Absolutis-
mus trat an die Stelle eines unabhängigen Adels
ein immer mehr zentralisiertes Beamtentum. Auf
dieses ging in steigendem Maß der Einfluß des
Adels über. Der Adel selbst ging zu einem großen
Teil in jenem auf. — Nicht bloß die Verände-
rung des Staatswesens, auch die Veränderung
des Kriegswesens trug zu dieser Umgestaltung
bei. Der Lehnsdienst verlor durch die geänderte
Kriegführung und das Überwiegen der Söldner-
heere seine Wichtigkeit. An die Stelle des adligen
Lehnsmannes traten die größtenteils aus den
niedrigsten Volksklassen geworbenen Söldlinge.
Das Ansehen, welches der Adel als der einzige
wehrbare Stand in den Augen der übrigen Stände
haben mußte, kam in Wegfall. Bald verbreitete
sich von Frankreich aus auch das System der
stehenden Heere. Die Dienstpflicht des Adels
verwandelte sich in das hie und da rechtliche, fast
überall faktische Privilegium, die Offiziersstellen
zu bekleiden. An die Stelle des zur Verteidigung
des Vaterlands verpflichteten Ritters trat jetzt der
Edelmann, der sich um ein Offizierspatent be-
werben mußte. Die ritterliche Erziehung wich
der fürstlichen Militärschule, Ritterburg und
Landwehr der Kaserne. Anderseits war der Schutz,
welchen der Lehnsherr seinem Vasallen zu leisten
hatte, durch Ausbildung eines gleichen Unter-
tanenverbandes und einer gleichartigen Staats-
hoheit für den Vasallen nur von einem geringen
ert. Durch die immer weitere Ausdehnung
Adel.
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des Erbrechts in Lehen, durch die zahlreichen
Mitbelehnungen und Eventualbelehnungen ver-
ringerte sich die Wahrscheinlichkeit für die Lehns-
herren, je wieder in den Genuß des Lehens zu
kommen. Zur Besetzung der Mannengerichte
brauchte man die Vasallen so selten, daß sie dar-
über die Kunst, Urteil zu finden, ganz verlernten
und die Funktionen darin den besoldeten Dienern
des Rechts verblieben. An die Stelle des Lehns-
hofes, auf welchem sich die Vasallen um den Herrn
versammelten, trat die stille Kanzlei mit ihren
Aktenstößen, der Grundherr führte nicht mehr
in Person den Vorsitz im Bauerngerichte. Die
Gerichtsbarkeit wurde von einem angestellten,
oft bürgerlichen Patrimonialrichter (Pfleger,
Amtmann) verwaltet. Aus landespolizeilichen
Gründen war besonders in der Zeit nach dem
Dreißigjährigen Krieg bis über die Mitte des
18. Jahrh. die gutsherrliche Polizei erweitert und
befestigt worden. Der Fortfall der landständischen
Verfassung bedingte den Ausfall einer weiteren
öffentlichen Funktion. Die Landstände waren
seit der Mitte des 17. Jahrh. zu völlig will-
fährigen Organen der Landesfürsten herabge-
sunken, welche auf die gnädigsten Propositionen
des Landesfürsten im schlimmsten Fall höch-
stens noch die Kühnheit einer unmaßgeblichsten
und submissesten Vorstellung besaßen. Übrigens
machte ja der abhängige Briefadel (Bullenadel)
einen immer größeren Bestandteil des Adels aus.
Landedelleute, die in Städte zogen, sicherten sich
gegen den Zweifel an ihrer rittermäßigen Her-
kunft durch kaiserliche Urkunden, die den Ubergang
zu jenen Urkunden bildeten, in welchen der Adel
neu verliehen wurde. Um den alten Adel vom
neuen Diplom= oder Briefadel zu unterscheiden,
führte man die Adelsproben (Ahnenprobe, Auf-
schwörung, Filiationsprobe) ein, mittels deren
untersucht wurde, ob der betreffende Mann und
seine Vorfahren adligen Blutes seien. Die An-
forderung an die Zahl der Ahnen wurde immer
höhergestellt. Anfangs verlangte man nur 2 Quar-
tiere, d. h. Adel der Eltern, später 8 und 16 Ahnen.
Es handelte sich meist um Prälaturen, Dom= und
Stiftsherrenstellen und die Aufnahme in Ritter-
orden. Wie der Briefadel, so zeigte auch die Ein-
richtung der landesherrlichen Legitimation den
steigenden Einfluß der fürstlichen Macht. Nur
die reichsständischen Familien haben die legiti-
matio perrescriptum principis als Entstehungs-
grund von Geblüts-, namentlich Erbgangsrechten
niemals anerkannt. Die Adelsinnungen gingen
dadurch in fürstliche Ritterorden über, daß die
Fürsten, indem sie sich selbst an die Spitze von
Gesellschaften stellten, das gegen sie entstandene
Institut zu ihrem Vorteil wandten. Dadurch er-
hielten die Orden ihren modernen Begriff. Mit
dem Lehnswesen wäre eigentlich für den durch
dasselbe getragenen niedern Adel der Anspruch
auf die bisherige politisch hervorragende Stellung
entfallen. Er behielt sie gleichwohl bei. Sie machte