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welche Irlands Elend durch Ubervölkerung und
Kartoffelnahrung erklärt, statt aus der Geschichte
seines Verhältnisses zu England oder aus dem
Absentismus seiner Hauptkonsumenten, der Grund-
eigentümer, wodurch keine Vervielfältigung der
Beschäftigungsarten entstehen könne. Nichts an-
deres als die englische Zentralisation von Handel
und Industrie der Welt habe die Notwendigkeit
erzeugt, die Theorie einer Ubervölkerung zu lehren,
zugunsten der Reichen und Mächtigen. Wie so oft,
hat Carey auch hier übertrieben und die Möglich-
keit einer partiellen Ubervölkerung, die Richtigkeit
des Satzes, daß die Vermehrung der Menschen
in alten Kulturländern durch die geringere Ver-
mehrung der Nahrungsmittel bedingt ist, nicht
berücksichtigt. Die von Carey einseitig ins Auge
gefaßte weltwirtschaftliche Seite, der zufolge Eng-
land die Weltindustrie zu sehr konzentriere, die
Wirkung der modernen Vermögensrechtsordnung,
wonach die Lage bloß auf Arbeit Angewiesener
eine schrittweise immer traurigere wurde. Das
letzte Gesetz der Preisbildung liegt nicht in An-
gebot und Nachfrage, das nur die Schwankungen
im ganzen Verlauf erklärt; das tiefere Gesetz der
Preisentwicklung liegt in letzter Linie in der
Vermögensrechtsordnung, im Verhältnis von
Besitz und Arbeit, von denen ersterer überwiegend
(soweit er nicht selbst Güterkäufer ist) ein güter-
preissteigerndes, — letztere, die Arbeit, ein ent-
gegengesetztes Streben hat. Malthus hätte ent-
schiedener betonen sollen, wie eine größere wirt-
schaftliche Gerechtigkeit, bessere Stellung der Arbeit,
die Kaufkraft der großen Masse zu heben und da-
mit partielle Ubervölkerung ziemlich weit hinaus-
zurücken imstande sei. Erst die Sozialisten mit
ihrer Kritik des ökonomischen Liberalismus machten
entschiedener darauf aufmerksam, obwohl ihre eige-
nen Vorschläge zu wenig mit den natürlichen
Produktionsbedingungen rechnen (Ad. Wagner,
Grundlegung der polit. Okon. 1 123). Gerade
hier bei den materiellen Dingen zeigt sich die Wahr-
heit, daß es in letzter Linie immer wieder auf das
ethische Noment ankommt, auf christliche Gesinnung
undshristlichen Idealismus, die in edleren Naturen
freiwillige Entsagung zu erregen und zu erhalten
vermögen.
Einen weiteren Vertreter englischer Volkswirt-
schaft bekämpfte Carey in Ricardo, der die
Reihenfolge wirtschaftlicher Erscheinungen fast mit
mathematischer Schärfe ähnlich darlegt, aber immer
unter der beständigen stillschweigenden Voraus-
setzung ausschließlichen wirtschaftlichen Selbstinter-
esses. Ricardos Lehre enthält daher eine scharfe
und abstrakte Formulierung der modernen Stellung
der Arbeit, sie zeigt ihren Gegensatz zum Kapital,
das durch geringe Entlohnung gewinne, während
die Vermehrung der sich anbietenden Arbeitskräfte
den Lohn auf dem notdürftigen Lebensunterhalt
zu halten strebe. Uberdies war Ricardo Freihänd-
ler und verwertete u. a. die schon von Malthus
vorgetragene, von ihm weiter entwickelte Grund-
Carey.
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rententheorie in dem zwischen landed und mo-
ney interest entbrannten Kampf um die Korn-
zölle. In der Heimat Careys dagegen war von
einem Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit
noch wenig zu merken, und die Uberfülle an un-
angebauten Flächen ließ das in den Boden hinein-
gesteckte Kapital als die Hauptsache erscheinen.
Dazu kam der Umstand, daß Carey an Ort und
Stelle den Gang der Moeenkultur historisch ge-
treuer zu schildern in der Lage und somit geneigt
war, die ganze Ricardosche Lehre für unrichtig zu
halten. Bodenprodukte gleicher Menge und Güte,
sagt Ricardo, werden auf Grundstücken von un-
gleicher Fruchtbarkeit mit sehr verschiedenem Ka-
pital= und Arbeitsaufwand produziert, und doch
ist ihr Preis auf demselben Markt regelmäßig
derselbe und steht auf die Dauer mindestens so
hoch, daß auch auf dem unfruchtbaren Boden,
welcher gleichwohl zur Befriedigung des Gesamt-
bedarfs mitbestellt werden muß, die Kosten ver-
gütet werden. Sehr unfruchtbarer Boden braucht
keine Rente abzuwerfen, besserer Boden, welcher
bei Anwendung gleicher Kapitals= und Arbeits-
menge einen größeren Ertrag liefert, gewährt einen
UÜberschuß über die Produktionskosten einschließlich
der durchschnittlichen Zinsen des Betriebs= und
Meliorationskapitals. Dieser Überschuß ist die
Grundrente, in der Regel offenbar um so höher,
je größer die Fruchtbarkeitsdifferenzen zwischen dem
schlechtesten und besten Boden. Diese Grundrente
wird bei Zunahme der Bevölkerung ein stets wach-
sender Teil des Volkseinkommens, das Einkommen
der Grundeigentümer also ein immer größeres
werden. Diese ganze Formulierung war geeignet,
die Gewinne der Grundeigentümer den Gewinnen
der Kapitalisten gegenüber als minder berechtigt,
somit die von den Fabrikanten gewünschte Auf-
hebung der jene schützenden Kornzölle als motiviert
darzustellen. Carey, der die großen amerikanischen
landwirtschaftlichen Verbesserungen vor Augen hat,
sieht auch in der Frage der Grundrente, die er
leugnet, einen lang dauernden Fortschritt und
eine im Verhältnis zum Eigentümer stets günsti-
gere Lage des Bebauers. Nach Carey (Grund-
lagen Kap. 42) vermindert sich die dem Grund-
herrn zufallende Quote. Da die Macht des Men-
schen über die Natur wachse und der Wert sich
nach den Reproduktionskosten richte, so koste die
Herstellung eines Guts später weniger Mühe als
anfangs. Es müsse sich also im Pachtfall der
Eigentümer des Guts mit einer geringeren Quote
begnügen, deren Betrag allerdings infolge steigen-
den Ertrags desselben Grundstücks gestiegen sei.
Das offen gelassene Ende dieser Darstellung ist
die unausgesprochene Annahme, die eben nur in
Amerika, nicht aber in „geschlossenen Ländern“ zu-
trifft, daß sich unbesetztes Land vorfindet, das eben
eine ungünstige Konkurrenz besitzloser Pächter zu
verhüten imstande ist. In Wirklichkeit, also ab-
gesehen von Ausnahmen, wie sie Kolonialländer
mit sich bringen, besteht allerdings die Tendenz