Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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Wuchers u. dgl. ein Vorteil ist. Daß Carey durch 
seine Angriffe auf Ricardos Lehre von der Grund- 
rente zur Vervollkommnung derselben nach mehre- 
ren Seiten hin, z. B. was den Gang der Boden- 
kultur betrifft, beitrug, wurde schon oben erwähnt. 
Noch sei hingewiesen auf Careys Gegnerschaft 
gegen die Lehre des so lange Zeit allein mächtigen 
ökonomischen Liberalismus. Bei einer Vorgeschichte 
des Umschwungs der wirtschaftlichen Ansichten, der 
sich in Deutschland erst in den 1870er Jahren 
vollzog, wird man auch Careys Lehre, ganz ab- 
gesehen vom Schautzzoll, berücksichtigen müssen. Im 
Gegensatz zum laisser aller sagt Carey (Grund- 
lage Kap. 52): „Nicht das Land ist am besten 
regiert, welches am wenigsten regiert ist, sondern 
dasjenige, in welchem die koordinierende, das 
selbständige Leben und die Bewegung der Glieder 
kombinierende Macht am tätigsten ist im Beseitigen 
derverschiedenen Hindernisse, durch welche diesoziale 
Zirkulation gehemmt werden kann.“ Während 
der Liberalismus mit dem Prinzip des rücksichts- 
losen individuellen Erwerbstriebs die soziale Gra- 
vitation als in lauter Abstoßungen bestehend kon- 
struierte, betont Carey auch die zweite Kraft, welche 
die sozialen Gruppen und die Nationen verbindet 
und die staatliche Gesellschaft zu einer politischen 
Gesamtheit verknüpft, der das Vorhandensein und 
die Beschaffenheit von Arbeitsgelegenheit nicht 
gleichgültig sein kann. Das Manchestertum hatte 
sehr einseitig die Vorteilhaftigkeit geringer Löhne 
für die Industrie schlechthin behauptet; dieselben 
ermöglichen, hieß es, Konkurrenz auf dem Welt- 
markt und Kapitalansammlung seitens der Unter- 
nehmer, was im eigenen wohlverstandenen Interesse 
der Arbeiter selbst liege, denn sonst würden jene 
ja nicht in den Stand gesetzt, die künftig sich zahl- 
reicher anbietenden Arbeiter in ausgedehnteren 
Unternehmungen beschäftigen zu können. Carey 
macht demgegenüber darauf aufmerksam, daß eine 
viel wichtigere Bedingung der Ausdehnung des 
volkswirtschaftlichen Betriebs das Vorhandensein 
kauffähiger Nachfrage sei und gerade diese durch 
bessere Lage der Massen, also durch höhere Löhne, 
gefördert werde, daß ferner die freihändlerische Be- 
rufung auf den Weltmarkt wie auf eine Art un- 
antastbaren Schicksals eine Übertreibung, und 
Schutz der Arbeit gegen ausländische Industrien 
mit geringen Löhnen Pflicht eines geordneten Ge- 
meinwesens sei, da jene Berufung auf die Kon- 
kurrenz auf dem Weltmarkt wohl den einzelnen, 
nicht aber die Gesamtheit bzw. deren Vertreter 
entschuldige. 
Als Gegner des Liberalismus zeigt sich Carey 
auch nach der ethischen Seite der National- 
ökonomie schon zu einer Zeit, wo dies nur ver- 
einzelt geschah, darin, daß er durch Annahme der 
Existenz einer göttlichen Weltordnung und Berück- 
sichtigung derselben die Wichtigkeit der Religion 
auch für die materiellen Interessen zugibt. Dieses, 
wie man sagt, theologische Prinzip in Behandlung 
der Nationalökonomie ist nicht Carey allein, son- 
Casus belli — Chiffrierkunst. 
  
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dern der amerikanischen Nationalökonomie über- 
haupt eigentümlich. Carey ist indessen der katho- 
lischen Anschauungsweise wenig günstig, seine 
Ansichten über die müßigen Mönchsklöster (Grund- 
lagen Kap. 20), über die Aufhebung des Edikts 
von Nantes (Kap. 21), über die Vertreibung der 
spanischen Mauren (Kap. 23) würden sonst anders 
gelautet haben. 
Man mag von Careys Wirtschafts= und Gesell- 
schaftsanschauungen in ihrer Eigenart denken, wie 
man will, man wird Heinr. Pesch (Nationalökono- 
mie 1119051 361) beipflichten, wenn er Careys 
Bedeutung für die ökonomistische Bewegung darin 
findet, daß seine Assoziationsidee, seine Lehre von 
der Zunahme des Anteils der Arbeiter am Pro- 
duktionsertrag mit fortschreitender volkswirtschaft- 
licher Entwicklung ihn ebenso in Gegensatz zur 
individualistischen Auffassung stellen, wie seine 
Abschwenkung vom Freihandelssystem (seit 1837) 
zur strengen Schutzzollpolitik ihn als Gegner der 
manchesterlichen Doktrin kennzeichnet. 
Careys Werke (sämtlich Philadelphia) sind (nach 
Elder) in chronologischer Reihenfolge diese: Essay 
on tbe rate of wages (1835); Harmony of na- 
ture (1836); Principles of political economy 
(3 Bde, 1837,40, deutsch von Adler, 21870); The 
past, the present and the future (1848); Har- 
mony of interests, agricultural, manufacturing 
and commercial (1851); Slave trade, domestic 
and foreign (1853); Principles of social science 
(3 Bde, 1858,60, deutsch von Adler 1863/64); 
Manual of social science (1864); The unity of 
law, as exhibited in the relations of physical, 
social, mental andmoralscience (1873, deutsch von 
Stöpel, 1878). Seine Broschüren sind gesammelt in 
den Miscellaneous papers on the national finan- 
ces, the currency and other economic subjects. 
Literatur. Vgl. Dühring, C.3 Umwälzung 
der Volkswirtschaft (1865); A. Held, C.s Sozial- 
wissenschaft u. das Merkantilsystem (1866); Düh- 
ring, Die Verkleinerer C.s (1867); Adler, Ricardo 
u. C. über die Grundrente (1873); James, Stu- 
dien über den amerikan. Zolltarif (1877); Elder, 
A Memoir of H. C. C. (Philad. 1880); Jenks, C. 
als Nationalökonom (1885); Deuster, Entwicklung 
des amerikan. Zolltarifsystems (Dissert., 1886). 
[Bruder, rev. Weinand.] 
Casus belli s. Krieg. 
Chartistenbewegung s. Sozialismus. 
Chiffrierkunst. 1. Geschichtliches. 
Der Gebrauch einer Geheimschrift — Krypto- 
graphik —, die es nur Eingeweihten ermöglichen 
soll, zur Kenntnis des Inhalts der betreffenden 
Mitteilung zu gelangen, ist sehr alt. So sollen 
sich ihrer die Israeliten bedient haben zur Zeit, 
als sie sich in babylonischer Gefangenschaft be- 
fanden, desgleichen die Agypter und Perser bei 
jenen Mitteilungen, die sie den Reisetauben an- 
vertrauten. Auch den Griechen und Römern 
waren geheimschriftliche Verständigungsmittel 
nicht unbekannt. In den italienischen und deut- 
schen Handelsrepubliken begann infolge der Grün- 
dung von Handelsniederlassungen im Orient die
	        
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