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Montt, unter dem sich ernste soziale Gärungen
zeigten. Seit Mitte 1907 setzte eine schwere, wirt-
schaftliche Krisis ein, die zu umfassenden Anleihe-
versuchen führte und auch, obwohl Chile bis dahin
der beste Zinszahler des spanischen Amerika ge-
wesen war, seinen Kredit im Ausland schwächte.
Dazu trug mit bei die vor allem durch die Kammer
geschaffene Unsicherheit des Bodens, auf dem wegen
der Durchführung großer Staatsunternehmungen
mit dem Ausland verhandelt wurde. Der Bau
der Bahn Arica-La Paz, zu dem sich Chile im
Vertrag von 1904 mit Bolivia verpflichtete, ist
ein Beispiel hierfür.
2. Der Flächeninhalt der Republik be-
trägt 797.000 qkm; die Bevölkerung wurde 1905
auf 3,4 Mill. Köpfe geschätzt, etwa 4 auf 1 qkm.
35% wohnen in Städten; 30—40 % sind Kre-
olen und andere Weiße, 60 % Mischlinge; In-
dianer gibt es nur 50 000. Von den 24 Pro-
vinzen sind am dichtesten bevölkert: Santiago
mit 36, Valparaiso mit 64, Concepcion und
Maule mit 24, am schwächsten Magallänes, Anto-
fagasta und Atacama mit noch nicht 1 Bewoh-
ner auf 1 qkm. Die Deutschen, deren Einwande-
rung 1852 begann, haben sich in den größeren
Städten, besonders aber in den südlichen Pro-
vinzen Valdivia und Llanquihue als Kaufleute,
Handwerker und Ackerbauer angesiedelt. Die Ko-
lonisten, meist Katholiken aus Westfalen und
Schlesien (auch protestantische Württemberger),
haben unter Wahrung ihres nationalen Charakters
schnell und außerordentlich viel zum wirtschaft-
lichen Aufschwung jenes dünn bevölkerten, aber
sehr fruchtbaren Gebiets beigetragen. Die Fran-
zosen wohnen hauptsächlich in Valparaiso, die
Engländer sind in den Minendistrikten des Nor-
dens am zahlreichsten. Von wichtigeren Städten
zählten 1905: Santiago 338 420, Valparaiso
150 962, Talca 44 271, Concepciön 60 676,
Jquique 43 500, Chillan 42 469, Antofagasta
26 445 Einwohner.
3. Die repräsentativ-demokratische Verfas-
sung Chiles beruht auf dem Grundgesetz vom
25. Mai 1833 (modifiziert 13. Aug. 1874). Die
gesetzgebende Gewalt übt ein Nationalkongreß,
welcher aus dem Senat von 32 und der Depu-
tiertenkammer von 94 Mitgliedern (1 auf 15 000
bis 30 000 Einwohner) besteht, von denen die
ersteren von den Provinzen auf 6 (mit hälftiger
Erneuerung alle 3 Jahre), die letzteren von den
Departements auf 3 Jahre direkt gewählt werden.
Das aktive Wahlrecht besitzen alle Chilenen, welche
lesen und schreiben können, das 26. (wenn ver-
heiratet, das 21.) Lebensjahr zurückgelegt haben
und direkte Staatssteuern zahlen. Deputierte
können nur jene Wähler werden, die ein Jahres-
einkommen von 500 Pesos haben, während das
passive Wahlrecht für den Senat von einem Ein-
kommen von 2000 Pesos und dem vollendeten
36. Lebensjahr abhängt. Diäten beziehen weder
Senatoren noch Deputierte.
Chile.
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Die exekutive Gewalt ruht in den Händen eines
Präsidenten (El Jefe Supremo de la Naciön).
Dieser wird vom Volk indirekt auf 5 Jahre ge-
wählt, ist für eine zweite Amtsperiode nicht wähl-
bar und bezieht ein jährliches Einkommen von
18 000 Pesos. Ihm zur Seite steht ein Mini-
sterium von 6 Mitgliedern: für Außeres und
Kulte, für Inneres, für Justiz und Unterricht,
für Finanzen, für Krieg und Marine, für Indu-
strie, öffentliche Arbeiten und Kolonisation. Außer-
dem besteht ein Staatsrat, der aus den Ministern,
je drei Mitgliedern des Senats und der Depu-
tiertenkammer, einem Mitglied der Justizhöfe,
einem geistlichen Würdenträger, einem General
oder Admiral, einem Chef der Finanzbehörde,
je zwei Exministern und Exintendanten usw. zu-
sammengesetzt ist; diesem ist auch die Entschei-
dung von Kompetenzkonflikten der Behörden und
Streitigkeiten bei Gemeindewahlen übertragen.
Behufs der innern Verwaltung ist das
Land in 24 Provinzen geteilt; die Provinzen zer-
fallen wieder in Departements, diese in Sub-
delegationen und diese endlich in Distrikte. An
der Spitze der einzelnen Provinzen stehen Inten-
danten, denen je ein Militärbefehlshaber und
Steuerbeamter beigegeben ist; die Departements
werden, ebenso wie die Territorien, von Gouver-
neuren verwaltet; diesen sind die Subdelegaten
und diesen endlich die Inspektoren unterstellt.
Sämtliche Beamte ernennt die Zentralregierung;
doch hat jedes Departement einen von Bürgern
gewählten Munizipalrat, welcher sich unter Auf-
sicht des Gouverneurs mit dem Polizei= und
Gefängniswesen, dem Straßenbau und andern
Angelegenheiten des Departements befaßt. Die
richterliche Gewalt wird ausgeübt durch einen
obersten Gerichtshof von sieben Mitgliedern in
Santiago, drei Appellationsgerichten, Gerichten in
den Departements und Friedensgerichten in den
Subdelegationen, Distrikten und Gemeinden. Ein
Schwurgericht besteht nur für Preßvergehen.
Sämtliche Richter werden vom Präsidenten auf
Lebenszeit ernannt und sind unabsetzbar.
Die Einnahmen bestehen in den Einfuhrzöllen,
die von fast allen Gegenständen in der Höhe von
4 bis 35% des Wertes erhoben werden, in
Steuern, dem Erlös aus Verpachtung und Ver-
kauf von Ländereien usw. und waren 1907 ver-
anschlagt auf 80 872937 Pesos Gold, 19700000
Pesos Papier, gegenüber einer Ausgabe von
58 796 781 Pesos Gold und 134 830 532
Pesos Papier. Die Staatsschuld belief sich am
31. Dez. 1906 auf 6399 700 Pesos Gold und
147 480 965 Pesos Papier innere und 280 634 400
Pesos Gold äußere Schuld. — Chile hat nomi-
nell Gold-, faktisch Papierwährung. Münz-
einheit ist der Peso nuovo à 100 Centavos
53 M; 1 Peso corriente = 3,05 M.
Maß und Gewicht ist offiziell metrisch, doch sind
auch das englische und das alte spanische System
in Gebrauch.