Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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und Blüte. Dann folgte eine neue Unglücksper- 
iode: Südtonkin ging verloren, und die schnelle 
Aufeinanderfolge einer Reihe von Dynastien weist 
auf zerrüttende Kämpfe im Innern und wechsel- 
volle Kriege mit den Mongolen. Die (18.) zweite 
Dynastie Sung (960/1279) stürzte Oktais 
Sohn, Kublai Chan, welcher ganz China unter 
seinem Zepter vereinigte und die (19.) Mongolen- 
dynastie Duan (1279/1367) begründete. Die 
märchenhafte Pracht und Herrlichkeit seines Kaiser- 
sitzes Chanbalik (Peking) schildert der Venezianer 
Marco Polo, der erste Europäer, der China be- 
reiste und von 1274 bis 1291 am Hof in Peking 
wichtige Amter bekleidete. — Eine furchtbare 
Hungersnot (1342) und Zwistigkeiten in der 
Herscchersamile begünstigten eine Empörung in 
iangnan, die mit Vertreibung der Mongolen 
und Begründung einer neuen, einheimischen (20.) 
Dynastie der Ming (1368/1644) endete. Die 
Regierung dieser Familie beschränkte sich meist auf 
das eigentliche China, welches im Lauf des 
16. Jahrh. in dauernde Verbindung mit den 
Völkern des Westens trat: 1522 setzten sich in 
Macao die Portugiesen fest, denen bald die Spa- 
nier und 1607 die Holländer folgten; schon 1583 
wurde durch den Jesuiten Ricci der Grund zur 
katholischen Mission gelegt. 
Um die Wende des 17. Jahrh. fingen die 
Mandschu, ein tungusischer Stamm aus dem 
Amurland, an, dem chinesischen Reich gefährlich 
zu werden. In der Provinz Liautung angesiedelt, 
machten sie sich bald zu Herren dieses Landes, 
mischten sich in die Thronstreitigkeiten Chinas 
und eroberten nach dem freiwilligen Tod des 
letzten Kaisers aus der Ming--Dynastie 1644 
Peking. Ihr Führer Schuntschi, der den Unter- 
richt des berühmten deutschen Jesuiten Adam 
Schall genossen hatte, wurde 1646 Gründer der 
jetzt noch herrschenden Dynastie der Mandschu 
oder Taitsing („große Reinheit"). Bald erreichte 
China seine größte Ausdehnung, als sein Sohn 
Kanghi (1662/1722), ein besonderer Freund und 
Förderer der Jesuiten, die Mongolei, Tibet und 
Formosa unterwarf und 1689 mit den Russen 
einen vorteilhaften Frieden schloß. — Sein zweiter 
Nachfolger, Kianlung (1735/96), war einer 
der bedeutendsten Fürsten, die je über das „himm- 
lische Reich“ geherrscht haben. Ein eifriger För- 
derer der Wissenschaften, legte er großartige Bi- 
bliotheken und Sammlungen an und beschäftigte 
sich selbst viel mit historischen und philosophischen 
Studien sowie mit Poesie. Durch Eroberung der 
Dsungarei und Ostturkestans erweiterte er das 
Reich nach Westen und ordnete die Grenz= und 
Handelsverhältnisse mit Rußland; ebenso voll- 
endete er die Unterwerfung von Tibet, führte 
aber unglückliche Kriege gegen Kotschinchina und 
Birma (1768/70). 1796 legte er die Regierung 
nieder; unter ihm hatte die Macht der Mandschu 
ihren Höhepunkt erreicht. Sein Sohn Kiaking, 
ein argwöhnischer, grausamer Despot, war nicht 
China. 
  
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imstande, den drohenden Verfall des Reichs auf- 
zuhalten. Räuberbanden im Innern und See- 
räuber an den Küsten übten die eigentliche Herr- 
schaft aus, bis es der Regierung 1810 durch be- 
deutende Geldopfer gelang, der Unsicherheit ein 
Ende zu machen. 
Auch unter seinem Nachfolger, Kianlungs 
zweitem Sohn Mianning (1820/50) oder 
Taokuang („Glanz des Verstandes"), dauerten 
die Unruhen im Innern und an den Grenzen fort. 
Er zeigte, wie sein Vater, Abneigung gegen das 
Christentum, und besonders die katholischen Mis- 
sionen hatten mehrfach grausame Verfolgungen zu 
erleiden. Das wichtigste Ereignis unter seiner 
Regierung ist der sog. Opiumkrieg 1840/42. 
Die Englisch-ostindische Kompanie stand schon 
seit 1670 in Beziehungen zu China; 1693 wurde 
ihr Handel auf Kanton beschränkt, wo seit 1757 
ein lebhafter Verkehr stattfand. Der vorteilhaf- 
teste Einfuhrartikel war das Opium. Zwar suchte 
die chinesische Regierung schon lang diesem Gift 
den Eingang ins Land zu wehren, aber alle Maß- 
regeln waren vergeblich: in Tausenden von Zent- 
nern wurde es eingeführt oder eingeschmuggelt. 
Da verlangte der kaiserliche Gouverneur von 
Kanton plötzlich am 13. März 1839 die Aus- 
lieferung aller Opiumvorräte. Als im Anfang 
des nächsten Jahrs ein kaiserliches Edikt jeglichen 
Handel mit den Fremden verbot, antwortete Eng- 
land mit der Kriegserklärung. Der Kampf, der sich 
zunächst um Kanton und die Bocca Tigris (Mün- 
dung des Sikiang) drehte, erlitt mehrfache Unter- 
brechungen, da China in seiner Bedrängnis wieder- 
holt Friedensunterhandlungen anknüpfte, um die- 
selben bald wieder abzubrechen. Endlich gingen 
die Engländer ernsthafter vor: ihre Flotte verließ 
am 21. Aug. 1841 Hongkong, welches schon zu 
Anfang des Jahrs abgetreten worden war, segelte 
nordwärts und eroberte Amoy und Tschusan 
und im Oktober Tschinhai und Ningpo. Im 
Juni des nächsten Jahrs liefen die Engländer in 
den Jangtzekiang ein, nahmen Schanghai und 
Tschingkiang mit Sturm und legten sich Anfang 
August vor Nanking. Jetzt machte sich der Kaiser in 
einem Vertrag zu Nanking vom 29. Aug. 1842 
verbindlich, binnen 4 Jahren 21 Mill. Dollars 
zu zahlen, außer Kanton die Häfen Amoy, Fu- 
tschon, Ningpo und Schanghai dem britischen 
Handel zu öffnen und daselbst britische Konsular= 
agenten zuzulassen. Zugleich wurde den Eng- 
ländern Hongkong und die Regulierung der Ein- 
und Ausfuhrzölle übergeben und ihnen gleiche Be- 
handlung mit den Chinesen versprochen. Wider 
Erwarten öffnete die chinesische Regierung die ge- 
nannten fünf Häfen dem Handel aller Nationen, 
um so den verhaßten Engländern die Vorteile 
des Siegs zu schmälern. Am 3. Juli 1844 erlang- 
ten die Vereinigten Staaten von Amerika einen 
ähnlichen Vertrag, und am 25. Aug. 1845 kam 
auch mit Frankreich ein Handels= und Freund- 
schaftstraktat zustande, welcher unter anderem die
	        
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