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1799 trat er in das Tribunat, wo er den be-
ginnenden Absolutismus der neuen Herrschaft,
namentlich die von Bonaparte gewünschten
Spezialgerichte, bekämpfte. Doch wurde er schon
im März 1802 wieder ausgeschieden. Im Jahr
1803 kam er nach Weimar, wo er mit Goethe,
Wieland und Schiller verkehrte und namentlich
an seinem erst 1824/30 erschienenen Hauptwerk
über Religion arbeitete. — Seine Flugschrift
De F’esprit de conquéte et de T’usurpation
(1813) bedeutete den vollständigen Bruch mit dem
ersten Kaiserreich. Als die Bourbonen durch die
zwingende Gewalt der Umstände zurückgeführt
wurden, begrüßte sie Constant, der erst 1814 nach
Paris zurückkehrte, als die unbestrittene Familie,
la famille incontestée. Der Weg zu den Bour-
bons ging durch den Salon der Madame Réca-
mier wie auch der Rückweg zu Napoleon wäh-
rend der Herrschaft der 100 Tage (1815). Noch
am 18. März hatte Benjamin Constant den zu-
rückkehrenden Kaiser als Attila und Dschingis-Chan
bezeichnet, und schon im April wurde er dessen
Staatsrat und bearbeitete auf Fouchks Empfeh-
lung die sog. Konstitution des Maifelds, acte
additionnel aux constitutions de T’empire
(22. April 1815). In ihr waren die Bestim-
mungen der kaiserlichen Verfassung mit jenen der
Charte von 1814 verschmolzen. Nach Waterloo
wurde Constant von der royalistisch gesinnten sog.
Chambre introuvable wieder auf die Verban-
nungsliste gesetzt, jedoch von Decazes, damals
Polizeiminister, daraus gestrichen. — Seit den
Ergänzungswahlen von 1817 begann die In-
szenierung der „zweiten Revolution“ durch die sog.
Unabhängigen, Indépendants; sie sammelten sich
um Benjamin Constant, den „Schulmeister der
Freiheit“, welcher in zahlreichen Flugschriften und
Zeitungsartikeln, namentlich in der 1819 gegrün-
deten Minerve, unter dem Deckmantel des libe-
ralen Konstitutionalismus jede politische und so-
ziale Befestigung der Restauration bekämpfte.
Seit der Ermordung des Herzogs von Berry, am
13. Febr. 1820, wurden die Maßregeln der Re-
gierung sehr verschärft. Napoleons Tod (5. Mai
1821) führte der Opposition ein neues Element,
das militärische, zu. Benjamin Constant trug
nächst Laffitte wohl am meisten dazu bei, die ver-
schiedenartigen gegnerischen Elemente zu einer
kompakten antibourbonischen Opposition zu ver-
einigen, unter steigender Förderung der revolutio-
nären Exzesse in und außer den Kammern. In
den ersten Jahren nach dem Tod Ludwigs XVIII.
(Sept. 1824) schien eine versöhnlichere Stimmung
einzutreten; jedoch auch die Julirevolution
beließ Constant in der gewohnten Opposition.
Er befand sich unter jenen etwa 50 Abgeordneten,
die am 30. Juli 1830 im Palais Bourbon den
Herzog von Orléans, die „beste der Republiken“,
nach Paris beriefen, um die Befugnisse eines
Reichsstatthalters auszuüben und die nationalen
Farben aufrechtzuerhalten. Die Fortsetzung der
Constant de Rebecque.
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Opposition gegen das Julikönigtum ließ Louis
Philippe bestehen und versüßte sie mit einem Ge-
schenk von 200 000 Franken. Enttäuschungen des
politischen und literarischen Ehrgeizes, schwere
Spielverluste, Aufregungen und Unruhen beschleu-
nigten Constants Ende (8. Dez. 1830). Die
Kammer dekretierte für ihn einen Platz im
Pantheon.
Constant war kein Charakter, weder in sittlicher
noch in politischer noch in wirtschaftlicher Hinsicht.
Sola inconstantia constans, hatte ihm sein
Gegner Loyson (gest. 1820) ins Stammbuch ge-
schrieben. Constant hat auf dem langen Weg vom
Ancien Régime und der ersten Revolution bis
zum Julikönigtum und der zweiten Revolution
letzterer gedient; ihre Häupter haben mit Geld,
Ehren, Nachruhm nicht gekargt: er imponierte
dem rohen Republikanismus eines Manuel, Ge-
neral Foy, Lafayette durch seine überlegenen
Kenntnisse und jenen höfischen Schliff, den er in
braunschweigischen Hofdiensten (1793) und im
Gefolge des Kronprinzen von Schweden (1818)
gewonnen. Er wurde ihr Führer und das Haupt
der liberalen Schule und gilt bis heute unter den
Epigonen auch in Deutschland noch als Stern
erster Größe. Über die lebhafte Abneigung seiner
Jugend gegen jede soziale Gewalt ist er nie hin-
ausgekommen, seine Politik blieb eine rein nega-
tive; man bezeichnet sie am besten mit dem einen
Wort: Zurückdrängung der Autorität. Er be-
trachtete die Regierung, welches auch ihre Form
war, als ein notwendiges ÜUbel, das man auf die
engsten Grenzen zurückdrängen müsse.
Dahin zielte vor allem seine Verteidigung des
konstitutionellen Systems im Sirnn der
liberalen Revolution. Will man diese Verteidi-
gung würdigen, so darf man den Konstitutionalis-
mus ansich nicht mit der liberalen Verfassungs-
mache seit 1815 verwechseln. Das moderne Ver-
fassungswesen richtet sich gegen die Unterdrückung
bzw. Verkümmerung der Volksrechte und Frei-
heit; es ist eine Fortsetzung jenes langen Kampfs
gegen den Absolutismus der Fürstengewalt, dem
die Reformation dadurch die unheilvollste Bedeu-
tung gab, daß sie mit dem Besitz der unum-
schränkten zeitlichen Gewalt das oberste Kirchen-
regiment verband. Gegen das Ancien Régime,
die höchstentwickelte Form des nachreformatori-
schen Absolutismus — das Mittelalter kannte
nur vorübergehende Kämpfe gegen den Cäsaris-
mus —, erhob sich die Revolution von 1789;
gegen die napoleonische Militärdiktatur erstanden
im Anschluß an die Charte (4. Juni 1814) in
Frankreich und vielfach in den europäischen Kon-
tinentalstaaten, in Deutschland seit 1818 (Baden)
die modernen Verfassungsbewegungen. Es wurde
für dieselben das größte Unglück, daß sich allent-
halben die alten Revolutionäre, späteren „Libe-
ralen“, dieser Volksbewegungen bemächtigten, um
mit ihrer Hilfe einen Konstitutionalismus oder
besser Parlamentarismus zu schaffen, der ihnen