97
agere potest, mit wenigen Ausnahmen keine
Stellvertreter der Parteien zugelassen; doch durften
in dem neueren Verfahren CKognitores und
procuratores feierlich bzw. formlos bestellte
Vertreter der Parteien, auftreten. Während ur-
sprünglich der Prokurator als dominus litis, als
die eigentlich prozessierende Partei galt und die
Ergebnisse des Prozesses nur indirekt nach Maß-
gabe des zwischen Partei und Prokurator bestehen-
den Vertragsverhältnisses auf erstere übertragen
werden konnten, wurde später dem Urteil eine
unmittelbare Wirksamkeit für und gegen den do-
minus ermöglicht. Rechtsgelehrter brauchte der
Prokurator nicht zu sein, vielmehr wurde im all-
gemeinen jedermann zur Prokuratur zugelassen;
tatsächlich wurde dieselbe jedoch meist nur von
Advokaten ausgeübt. Eine gerichtsverfassungs-
mäßige Stellung hatte die Prokuratur nicht; doch
wurden in der Kaiserzeit an verschiedenen Ge-
richten öffentliche Prokuratoren angestellt, welche
unter der Disziplinargewalt des Gerichtspräsi-
denten standen.
III. Das Kanonische Recht anerkannte aus-
drücklich das Recht der Parteien, ihre Sache
durch Advokaten bei Gericht vortragen zu lassen,
unbeschadet ihrer Besugnis, den Prozeß in Selbst-
person zu führen; doch konnte der Nichter einer
Partei, welche zu einem gehörigen Vortrag außer-
stande war, aufgeben, sich durch eine andere ge-
eignete Persönlichkeit vertreten zu lassen. Im
wesentlichen basierten die Bestimmungen des kano-
nischen Rechts auf den Grundsätzen des römi-
schen Rechts, an welchen es nur wenige Anderungen
traf (insbesondere bezüglich der Zulassung zur
Advokatur und Prokuratur). Es entwickelte sich
eine Zweiteilung des Sachwalterberufs in Advo-
katur und Prokuratur in der Weise, daß dem
Prokurator die mündliche Verhandlung, dem Advo-
katen die Rechtsausführung und die Abfassung der
Schriftsätze oblag. Auch im kanonischen Recht
wurde der Advokatenstand ausdrücklich als ein
notwendiges Glied der Rechtspflege anerkannt:
in omni judicio quattuor personas necesse
est semper adesse, i. e. iudices electos, ac-
cusatores idoneos, defensores congruos
atque testes legitimos (Decr. Grat. c. 1, C.IV,
qu. 4). Bezüglich der Fähigkeit zur Prokuratur
war der Satz aufgestellt, daß regulariter, qui
non prohibetur expresse ad exercendum
Procurationis officium, idoneus debeat repu-
tari. — Während im allgemeinen (wie teilweise
schon nach römischem Recht) den Geistlichen die
Ausübung der Advokatur und Prokuratur bei
Strafe verboten war: elerici ... coram saecu-
lari iudice advocati in negotiis saecularibus
fieri non praesumant (c. 1—4 X ne clerici
vel monachi saecularibus negotüis se im-
misceant III 50), gestattete das kanonische Recht
doch Ausnahmen, insbesondere für hilfsbedürftige
Personen: nisi propriam causam vel ecclesiae
suae fuerint prosecuti aut pro miserabilibus
Staatslexikon. I. 3. Aufl.
Advokatur.
98
forte personis, quae proprias causas ad-
ministrare non possunt — vel si necessitas
immineat, pro personis Coniunctis aut misera-
bilibus (c. 1 et 3 X de postulando 1 37).—
Überhaupt ging es von dem Prinzip aus, daß die
Obrigkeit sich der causae viduarum et orpha-
norum annehmen und den defensionis propriae
desolatis auxilio et qui suis actibus adesse
Pro aetatis infirmitate non possunt, für recht-
lichen Beistand sorgen müsse. Besondere Für-
sorge ward auch der armen Prozeßpartei ge-
widmet (s. d. Art. Armenrecht). Hervorzuheben ist
noch, daß das kanonische Recht zwar noch das
dominium litis des Prokurators anerkannte, den-
noch aber im allgemeinen freiere Grundsätze be-
züglich der Stellvertretung aufstellte: qui facit
per alium, est perinde ac si faciat per
ipsum, welche in prozessualischer Beziehung im
deutschen Recht zur vollständigen Durchführung
gelangten.
IV. Bei den Deutschen (vgl. im allg. Maurer,
Gesch. des altgermanischen öffentl. mündl. Ge-
richtsverfahrens (18241]; Planck, Das deutsche
Gerichtsverfahren im Mittelalter 1 (18791, 8 30;
Nietzsche, De prolocutoribus (18311; insbes.
Weißler, Gesch. der Rechtsanwaltschaft (19051)
mußten in der ältesten Zeit die Parteien ihre
Sache vor Gericht selbst vertreten. Anwälte wer-
den nirgends erwähnt; dagegen teilt der rö-
mische Geschichtschreiber Florus mit, daß nach Be-
siegung des Varus die Wut der Germanen gegen
die römischen causarum patroni in furchtbarer
Weise zum Ausbruch gekommen sei. In der mero-
wingischen und karolingischen Zeit sind Gewalt-
haber (mandatarl, missi) und Redner (Für-
sprecher, prolocutores) zu unterscheiden. Letztere
werden namentlich erwähnt bei den Westgoten
(welche dieselben nur mit Genehmigung des Rich-
ters zuließen), bei den Burgundern (welche die
Vertretung eines Römers durch einen Burgunder
untersagten) sowie bei den Langobarden (welche
ohne ausdrückliche richterliche Genehmigung nur
Witwen und Waisen die Befugnis einräumten,
einen Fürsprecher anzunehmen). Die Gewalthaber
kamen häufiger vor; sie traten jedoch nur in Zivil-
sachen und auch da bloß ausnahmsweise auf, wenn
die Parteien zu erscheinen verhindert waren. Kirchen
und Klöster dagegen ließen sich regelmäßig durch
ihren advocatus als ständigen Beamten vor Ge-
richt vertreten. Auch in den folgenden Jahrhun-
derten waren, wie zahlreiche Stellen des Sachsen-
und Schwabenspiegels zeigen, zu allen Gerichten
Redner oder Fürsprecher (Vorsprecher) zugelassen,
welche für den Kläger und den Beklagten, und
zwar nicht nur in Zivil-, sondern auch in Krimi-
nalsachen, auftreten konnten. Die Bestellung eines
solchen Fürsprechers stand zwar im Willen der
Partei (ein ieglich man mag wolclagen unde
antwurten one fursprechen); sobald sie aber
einen solchen angenommen hatte, mußte sie ihm
allein das Wort überlassen (openbare ne sal die
4