Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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das demokratische Grundgesetz vom 5. Juni 1849 
vereinbart, welches den Bürgern ausgedehnte 
Freiheit zusicherte und ein umfassendes allgemeines 
Wahlrecht anerkannte. Nach dem Krieg wurden 
nun durch königliche Proklamation vom 28. Jan. 
1852 für eine Gesamtstaatsverfassung folgende 
Grundzüge festgestellt: Der Staat besteht aus 
dem Königreich, dem Herzogtum Schleswig und 
den Herzogtümern Holstein und Lauenburg. 
Jeder Teil hat seine eigene Volksvertretung und 
seine eigenen verantwortlichen Minister; Heer, 
Marine, Finanzen und auswärtige Angelegen- 
heiten aber sollen gemeinsam sein. Dieses Pro- 
gramm fand weder Beifall bei den Eiderdänen 
noch in den Herzogtümern, worauf am 26. Juli 
1854 eine Gesamtstaatsverfassung verkündigt 
wurde, welche einen Reichsrat, von dessen 50 Mil- 
gliedern 20 der König ernennen sollte, einsetzte, 
demselben aber nur bei der Auflage neuer Steuern 
beschließende Stimme einräumte. Als sich dagegen 
eine lebhafte Opposition erhob, entließ der König 
das Gesamtministerium und vereinbarte mit dem 
Reichstag eine zweite gemeinschaftliche Verfassung, 
welche einen Reichsrat mit zwei Kammern (Lands- 
thing und Folkething) und beschließender Stimme 
einsetzte, aber die Herzogtümer unbedingt einer 
dänischen Majorität unterwarf und sie finanziell 
benachteiligte, da man ihre reichen Domänen und 
Domanialeinkünfte ohne Gegenleistung für den 
Gesamtstaat in Anspruch nahm. Die Erklärung 
des Deutschen Bundes, daß diese Verfassung für 
die deutschen Landesteile null und nichtig sei, und 
selbst die Androhung der Bundesexekution hatten 
keine Wirkung auf die eiderdänische Partei, welche 
zunächst die völlige Einverleibung Schleswigs 
erstrebte und dieses Ziel, offenbar in der sichern 
Hoffnung auf fremde Hilfe, blind verfolgte. Am 
30. März 1863 wurden durch königliche Ver- 
ordnung Holstein und Lauenburg gänzlich von 
Dänemark ausgesondert und ihre Verpflichtungen 
für die gemeinsamen Angelegenheiten geregelt, 
und am 9. Nov. nahm der Reichstag eine 
neue Verfassung für Dänemark und Schleswig 
an. Da starb am 15. Nov. ganz unerwartet 
König Friedrich VII., und sein Nachfolger 
Christian IX. sah sich unter dem Druck der er- 
regten Volksmassen genötigt, schon am 18. Nov. 
die Verfassung zu bestätigen. Die holsteinischen 
Stände baten den Bund um Schut für die Rechte 
der Zusammengehörigkeit mit Schleswig; dieser 
erkannte Christian IX. nicht als rechtmäßigen 
Nachfolger für Holstein und Lauenburg an und 
brachte die schon zweimal angedrohte Exekution 
endlich zur Ausführung. Hannoverische und säch- 
sische Truppen besetzten noch im Dez. 1863 Hol- 
stein und Lauenburg, und als Dänemark die For- 
derung Osterreichs und Preußens vom 16. Jan. 
1864, die eiderdänische Verfassung aufzuheben, 
im Vertrauen auf die Hilfe der Großmächte, be- 
sonders Englands, ablehnte, rückte am 1. Febr. 
ein österreichisch-preußisches Heer über die Eider 
Dänemark. 
  
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und eroberte in kurzer Zeit das ganze Festland 
nebst der Insel Alsen. Christian IX. mußte im 
Wiener Frieden vom 30. Okt. 1864 allen seinen 
Rechten und Ansprüchen auf Schleswig-Holstein 
und Lauenburg entsagen; der von den Herzog- 
tümern zu übernehmende Anteil der dänischen 
Staatsschuld wurde auf die hohe Summe von 
29 Millionen Taler festgesetzt. Der auf Napo- 
leons Wunsch in den Prager Frieden (23. Aug. 
1866) ausgenommene Art. 5, nach welchem die 
nördlichen Distrikte von Schleswig an Dänemark 
zurückfallen sollten, wenn ihre Bevölkerung diesen 
Wunsch in freier Abstimmung zu erkennen gäbe, 
wurde durch Ubereinkommen zwischen Deutschland 
und Osterreich am 11. Okt. 1878 aufgehoben. 
Seit dem Krieg beschäftigte sich Dänemark 
hauptsächlich mit Verfassungsänderungen und 
Reorganisation seiner Kriegsmacht. Zunächst han- 
delte es sich darum, die Verfassungsver- 
hältnisse zu vereinfachen, da unmöglich zwei 
Grundgesetze (1849 und 1863) und zwei parla- 
mentarische Versammlungen (Reichstag und Reichs- 
rat) nebeneinander bestehen konnten. Nach längeren 
Verhandlungen kam eine Einigung zustande, nach 
welcher die beiden Kammern des Reichstags, 
Landsthing und Folkething, völlig gleichgestellt 
wurden, worauf der Reichsrat aus dem politischen 
Leben Dänemarks verschwand. Von da ab erlangte 
die Partei der Bauernfreunde (die Linke) im 
Folkething immer mehr Übergewicht über die 
konservative (früher „eiderdänische") Partei. Einer 
Reform des Heers und der Marine (1867) folgte 
1869 ein auf allgemeine Dienstpflicht begründetes 
Wehrgesetz und im Jan. 1873 ein Gesetz über 
die Reorganisation des Heeres. Als aber die Re- 
gierung weitgehende Forderungen für Vermeh- 
rung der Truppen und der Marine und für groß- 
artige Befestigungsbauten stellte, verweigerte die 
Majorität ihre Zustimmung, da sie derartige Ver- 
teidigungsmaßregeln für unnütz und eher eine 
Neutralisierung Dänemarks für erstrebenswert er- 
achtete. Das konservative Ministerium Holstein- 
Holsteinborg machte 1874 einem liberalen Fonnes- 
bech (1875 Estrup) Platz; aber die Neuwahlen 
änderten nichts in der Zusammensetzung des Folke- 
things, welches schließlich nicht nur das Landes- 
verteidigungsgesetz, sondern auch das Budget ab- 
lehnte und 1877 das Ministerium wegen Ver- 
fassungsverletzung in Anklagezustand versetzte, 
woraus durch plötzliche Verordnung ein provisori- 
sches Finanzgesetz erlassen wurde. Da der König 
nicht darauf einging, ein Ministerium aus der 
oppositionellen Kammermehrheit zu berufen, brach 
1881 der Streit von neuem aus, und das Finanz- 
gesetz kam trotz dreizehnmaliger Beratung nicht zu- 
stande. Das Ministerium (Estrup), gestützt auf 
das Landsthing und die Bevölkerung Kopen- 
hagens, regierte ohne gesetzmäßiges Budget und 
begann auch die Befestigung der Hauptstadt, zu- 
nächst von der Seeseite. Auch in den folgenden 
Jahren griff der König zu dem Auskunftsmittel
	        
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