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man vor gerichte nicht spreken, sint he vor-
spreken hevet) und durfte ihm höchstens leise
zuflüstern. Uberhaupt war es üblich, sich aus Vor-
sicht eines Fürsprechers zu bedienen, da die Partei
von ihren eigenen Versehen sich nicht wieder er-
holen konnte, und wenn sie einmal selbst gesprochen,
des Fürsprechers ganz entbehren mußte. So bil-
dete sich schließlich der Rechtssatz, daß „niemand,
wer es auch sei. Fürst oder Untertan, sich vor Ge-
richt seines eigenen Mundes zur Ausführung seines
Rechts bedienen dürfe“. Außerdem pflegten in
Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, bei ge-
richtlichen Verkäufen, Schenkungen, Traditionen
die Verhandlungen durch Fürsprecher geführt zu
werden. Die Partei durfte sich einen Für-
sprecher regelmäßig aus dem Gerichtsumstande
oder auch aus den Schöffen selbst frei wählen,
welcher ihr dann nach ihrem Antrag von dem
Richter für die Dauer der ganzen Sitzung zu-
geteilt wurde (die richtere sal tu vorspreken
geven, svene man aller erst bedet unde
nenen anderen); eine Ablehnung war ohne trif-
tigen Grund nicht statthaft. Nachdem sich der
Fürsprecher an das Gericht angedingt, d. h. die
Erlaubnis zum Vortrag erbeten und die dem Für-
sprecher gestatteten Rechte und Freiheiten aus-
bedungen hatte, durfte er in Anwesenheit und nach
Beratungmitder Partei für diesedas Wortsprechen,
d. h. deren Sache dem Gericht vortragen und um
das Urteil bitten. In Kriminalsachen beschränkte
sich die Verteidigung meist darauf, daß der Für-
sprecher die Unschuld des Angeklagten versicherte
und um Gnade für denselben bat. Die Für-
sprecher bildeten zu dieser Zeit noch keinen eigenen
Stand. Im allgemeinen konnte jeder freie, un-
bescholtene, großjährige Mann als Fürsprecher
fungieren, dagegen waren Geistliche und Weiber
hierzu unfähig. Erst im 15. Jahrh. fing man
Advokatur.
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V. Einen bedeutenden Umschwung brachte die
Mezeption des römischen Rechts und des rö-
misch-kanonischen Prozeßverfahrens in Deutschland
betreffs der Stellung der Advokaten hervor. Nach
Wegfall der volkstümlichen Schöffengerichte und
Besetzung der Gerichte mit römisch gebildeten Ju-
risten ergab sich für die Parteien die Notwendigkeit,
Personen, die des neuen Rechts und des neuen
Verfahrens kundig waren, als Anwälte zu bestellen.
Es bildete sich ein rechtsgelehrter Anwaltsstand,
welcher namentlich in der Reichskammergerichts-
ordnung von 1495 und später 1555 gesetzlich
organisiert wurde. An dem Reichskammergericht
waren (und zwar durch das Gericht selbst) 12 Ad-
vokaten angestellt, sowie 30 Prokuratoren, die
aus den Advokaten gewählt wurden; später wurde
zeitweise eine größere Zahl zugelassen. Die Par-
teien konnten die Prozeßschriften nach Belieben
auch auswärts fertigen lassen, dagegen nur durch
Prokuratoren solche einreichen und überhaupt An-
träge bei Gericht stellen. Doch war es den Fürsten,
Prälaten, Grafen, Herren, Reichsstädten und
Reichsrittern als Vorrecht gestattet, durch eigene
Abgeordnete ihre Sache vor dem Kammergericht
führen zu lassen. Während der Prokurator die
Prozeßgeschäfte zu führen hatte, war der Advokat
nur zur Anfertigung der Schriftsätze befugt. Die
Advokatur bildete die Vorstufe zur Prokuratur.
Die Kammergerichtsanwälte waren der strengen
Aufsicht und Disziplin des Gerichts unterstellt,
welches auf die schon im römischen Recht zulässigen
Strafen gegen sie erkennen konnte. Bei Antritt
ihres Amts hatten sie für dessen ganze Dauer einen
Eid (s. Reichskammergerichtsordnung von 1555
1 64) zu leisten, „daß sie die Partheyen, dero
Sachen sie zu handeln annehmen, mit gantzen ond
rechten Treuen meynen, in solchen Sachen nach
ihrem besten Verständniß den Partheyen zu gut
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an, bei den einzelnen Gerichten beeidigte Für= mit Fleiß handeln, ond darin wissentlich keinerley
sprecher in bestimmter Zahl anzustellen, an Falsch, Gefährde noch Unrecht brauchen, auch mit
welche allerdings die Parteien nicht gebunden denen Partheyen kein Vorgeding oder Vorwort,
waren. Die Gewalthaber, deren Gebrauch in ein Theil von den Sachen, deren Advokaten sie
Zivilsachen allgemein geworden war, hatten die sind, zu haben oder zu erwarten, machen, dazu
Partei, welcher sie ebenbürtig sein mußten, vor Heimlichkeit ond Befehl, so sie von den Partheyen
Gericht, sei es allein, sei es unter Zuziehung eines empfahen, oder Unterricht der Sachen, die sie von
Fürsprechers, zu vertreten. Auch sie bildeten an= ihnen selbst merken werden, ihren Partheyen zum
fänglich keinen geschlossenen Stand; erst im Schaden Niemanden offenbahren, das Gericht ond
16. und 17. Jahrh. wurden bei jedem Gericht die Gerichtspersonen ehren, fördern, Ehrbarkeit
Prokuratoren angestellt, welche jedoch von den vor Gericht brauchen ond Lästerung bei Poen nach
Advokaten streng geschieden waren: „Die Advo= Ermeßigung des Gerichts sich enthalten, auch die
katen sollen auch in den Sachen nit Procuratores Partheyen über den Sold oder Lohn, der ihnen
oder die Procuratores Advokaten, sondern die= nach laut der Ordnung über das Cammer-Gericht
selben zwei unterschiedliche Ampt sein.“ Noch gebühret, mit Mehrung oder anderm Geding nicht
seien erwähnt die in dieser Periode vorkommenden beschwehren oder erhöhen, und ob des Soldes oder
Warner und Anweiser, welche den Für= Lohns halben zwischen ihnen ond denen Partheyen
sprecher wegen etwaiger Fehler in seinem Vortrag Irrung oder Spän entständen, da soll es bleiben
zu warnen und ihm für letzteren Anweisungen zu bei dem Cammer-Richter ond Urtheilern, die er
erteilen hatten. Die Warner pflegten namentlich zu ihm nehmen oder denen er das befehlen wird,
den Fürsten und Fürstenmäßigen, die Anweiser ond wie sie durch dieselbe entschieden werden, daß
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außerdem auch den Witwen, Waisen und Geist= sie daran begnügig sein ond es darbey beruhen
lichen gestattet zu werden. lassen, sich auch der Sachen, so sie angenommen