1203
Deutsches Recht s. Recht, deutsches.
Deutsches Reich. I. Geschichte. 1. Mit-
telalter. Durch eine Reihe von Eroberungs-
kriegen hatte Karl der Große die germani-
schen Stämme des europälschen Festlandes unter
seinem Zepter vereinigt und durch eine auf deut-
sches Wesen und römischchristliche Bildung gestützte
Gesetzgebung auf die Bahn höherer Gesittung ge-
lenkt. Aber nur von kurzer Dauer war das ge-
waltige Frankenreich; schon 843 teilte es der Ver-
trag von Verdun in drei Ländermassen. Obwohl
Karls Enkel eine nationale Trennung nicht beab-
sichtigten, schied doch damals schon Lothars Besitz
den romanischen Westen von dem germanischen
Osten, dessen König Ludwig als Beherrscher rein
„deutscher“ Gebiete den Beinamen „der Deutsche“
führte. Nachdem dieser im Vertrag von Mersen
870 die östliche und sein Sohn Ludwig der Jüngere
879 auch die westliche Hälfte Lothringens erworben
hatte, war die nationale Trennung der romanischen
und germanischen Gebiete des ehemaligen Franken-
reichs vollendet: Ostfranken, welches die fünf
Stämme der Südgermanen: Sachsen, Bayern,
Franken, Alamannen und Lothringer, umfaßte,
muß demnach als die älteste Gestaltung eines
selbständigen Deutschlands angesehen werden.
Von den drei Söhnen Ludwigs des Deutschen
vereinigte der jüngste und unfähigste, Karl der
Dicke, von 885 bis 887 noch einmal den Gesamt-
besitz Karls des Großen. Nach seiner Absetzung
zerfiel das Land nach Nationalitäten. In Ost-
franken setzte eine selbständige Entwicklung ein.
Zunächst freilich herrschte noch eine Seitenlinie der
immer mehr entartenden Karolinger. Selbst der
tatkräftigere Arnuls von Kärnten (887/889) konnte
trotz seiner Erfolge gegen die Normannen die alte
Kaisermacht nicht wiederherstellen. Die Regierung
seines unmündigen Sohnes Ludwig des Kindes
besiegelte in Ostfranken den Verfall der innern
Rechtsordnung und der ehedem so gewaltigen
Macht des ersten Kaisers. Zu den innern Wirren
kam die schwere äußere Not: Normannen, Slawen
und Ungarn suchten das Land schwer heim. Da
eine kräftige Zentralgewalt zur Abwehr dieser
Einfälle fehlte, schufen sich die auf sich selbst an-
gewiesenen Stämme eine eigene abwehrkräftige
Macht: die Stammesherzoge hatten ihre alte Be-
deutung und Kraft wieder erlangt. Die Wurzeln
der Entstehung waren freilich völlig andere als die
der früheren Herzoge; das Wesen aber war dasselbe.
Mit dem Aussterben der Karolinger trat die
Erbfolge mehr zurück. Ostfranken wurde ein Wahl-
reich eigentümlichster Art. Man hat die Form
„Erbwahl“ genannt, indem Volkswahl und Erb-
recht gewissermaßen einen Bund eingingen. Kon-
rad I. (911/918) verdankte seine Erhebung in erster
Linie seiner Verwandtschaft zum eben erloschenen
Herrscherhause. Sein Plan, die Reichseinheit durch
Vernichtung der Herzogsgewalt wiederherzustellen,
mißlang völlig. Erst das sächsische Haus (919
bis 1024), das mit Heinrich I. (919/936) den
Deutsches Recht — Deutsches Reich.
1204
Thron bestieg, hat das Verdienst, die Königsge-
walt wieder gekräftigt zu haben, indem Heinrich
scharfsinnig erkannte, daß dies unter den einmal
geschichtlich gewordenen Verhältnissen nur durch
eine Art Bündnis mit den Herzogen möglich sei. So
stellte er Einheit und Umfang des Reichs dadurch
wieder her, daß er von den Herzogen nur die unbe-
dingte Anerkennung seiner königlichen Oberhoheit
verlangte und Lothringen 925 mit Waffengewalt
von Westfranken zurückgewann. Da er auch das
deutsche Ubergewicht über die Dänen und Slawen
erneuerte und den Ungarn 933 eine empfindliche
Niederlage beibrachte, kann man ihn mit Recht
den Begründer des deutschen Reichs nennen. Den
Plan einer einheitlichen Herrschaft und einer star-
ken Königsmacht verwirklichte sein Sohn Otto I.
(936/973). Glücklich überwand er den sich aufs
neue regenden Widerstand der Stammesherzoge
und war mit Erfolg bemüht, sie von der Krone
abhängig zu machen und zu schwächen. Klug be-
rechnend übertrug er erledigte Herzogtümer seinen
Verwandten oder den im Kampf gegen das Her-
zogtumerprobten Freunden. Ihre Machtbeschränkte
er durch Einsetzung ihm zuverlässig ergebener, die
Herzoge überwachender Pfalzgrafen. Den genialen
Scharfblick Ottos I. zeigt der enge Anschluß der
königlichen Gewalt an die geistlichen Fürsten.
In ihnen erkannte er die sicherste Stütze des König-
tums; er fesselte sie an sich durch Verleihung be-
deutsamer Rechte. So war der Bau des König-
tums fest gefügt wie in den Tagen Karls des
Großen. Auch nach außen erneuerte er durch
glückliche Kriege die Machtstellung Karls des
Großen und gewann auf seinem zweiten Zug
nach Italien am 2. Febr. 962 auch die Kaiser-
würde wieder, die seit Arnulf von Kärnten ruhte,
von jetzt an aber bis 1254 mit dem deutschen
Königtum vereinigt blieb. Durch Designation, d.h.
durch einen vom König ausgesprochenen Wunsch,
den Sohn bei der Wahl tunlichst zu berücksichtigen,
suchten die Sachsen und Salier die Krone ihrem
Hause zu erhalten. Die Wahlfkürsten erfüllten bei
den Sachsen und Saliern diesen Wunsch. So
folgte auf Otto I. sein Sohn Otto II. (973/988),
diesem sein Sohn Otto III. (983/1002), die beide
vergeblich ihre Kräfte einsetzten, um die deutsche
Herrschaft über ganz Italien auszudehnen. Be-
sonders Otto III. hing an dem phantastischen
Gedanken, das alte römische Reich wiederherzu-
stellen und Italien mit Rom als Hauptstadt zum
Mittelpunkt eines Weltreichs zu machen. Deutsch-
land sollte darin nur Nebenland sein. Die Festig-
keit des Reichs und seinen Einfluß nach außen,
die dadurch bedeutend gelitten hatten, stellte Hein-
rich II. (1002/24) wieder her. Auch im Innern
schuf er mit Hilse der Kirche Ordnung und Ruhe
— allerdings nicht ohne erhebliche Einbuße an
Macht, denn er mußte den großen Vasallen die
Erblichkeit ihrer Lehen zugestehen.
Als mit Heinrich II. die Familie der sächsischen
Könige ausgestorben war, hatte sich der Gedanke