1221
durch Sand (23. März 1819) schien diese Auf-
fassung zu bestätigen. Unter dem Druck dieses
Ereignisses versammelten sich im Aug. 1819 auf
Veranlassung Osterreichs die Minister der größeren
deutschen Staaten zu einem Kongreß in Karlsbad,
dessen Vorschläge die Grundlage der am 20. Sept.
1819 vom Bund erlassenen Karlsbader Be-
schlüsse bildeten. Diese enthielten zunächst eine
Exekutionsordnung,stellten die Universitäten unter
Polizeiaussicht, führten die Zensur wieder ein und
schufen die Zentraluntersuchungskommission in
Mainz, welche die Aufgabe hatte, die geheimen
Verbindungen und die in ihnen versteckten dema-
gogischen Umtriebe aufzuspüren.
Die Verantwortung für diesen verhängnisvollen
Rückschritt wird gewöhnlich Osterreich allein zu-
geschoben. Tatsächlich bewegte sich aber Preußen
schon seit längerer Zeit in den nämlichen Bahnen.
Dort folgte auf das Verbot des Tugendbundes
und die Unterdrückung des von Görres geleiteten
„Rheinischen Merkurs“ (1816) der Rücktritt der
Minister Wilhelm v. Humboldt und v. Boyen.
Gerade von Berlin aus fand die Verkündigung
der Karlsbader Beschlüsse am 18. Okt. 1819 in
noch verschärfter Form statt.
Aus den in Karlsbad beschlossenen, 1819 und
1820 in Wien abgehaltenen Ministerkonferenzen
ging die Wiener Schlußakte hervor, das
zweite Grundgesetz des Bundes, das denselben
zwar als einen völkerrechtlichen Verein, nach außen
hin aber als eine in politischer Einheit verbundene
Gesamtmachtbezeichnete. Sie zählte die Angelegen-
heiten auf, über die im Plenum abgestimmt und
über die überhaupt nicht durch Stimmenmehrheit
entschieden werden konnte, setzte das Verfahren bei
Streitigkeiten unter den Bundesmitgliedern fest
und ordnete eine sog. Austrägalinstanz an. Ferner
setzte sie die Bedingungen fest, unter denen die
Bundesversammlung für die Aufrechterhaltung der
innern Ruhe und Ordnung in den Bundesstaaten
Sorge zu tragen hat, bestimmte die Voraussetzungen
der Bundesexekution und traf endlich eingehende
Bestimmungen über die äußere Sicherheit der
Bundesglieder, deren Streitigkeiten mit auswär-
tigen Mächten, Bedrohung durch solche und im
Fall eines Bundeskriegs. Alle diese hauptsächlich
gegen die landständischen Verfassungen gerichteten
Ergänzungen gipfelten in dem Artikel, daß kein
Bundesfürst durch die Landesverfassung in seinen
bundesmäßigen Verpflichtungen gehindert oder
beschränkt werden könne. Der Deutsche Bund war
also nicht lediglich ein politischer Bündnisvertrag,
auch nicht ein reiner Staatenbund, sondern hatte
bis zu einem gewissen Grad einen bundesstaat-
lichen Charakter.
Unzufrieden mit dieser Entwicklung der Dinge
waren außer den Liberalen auch die Mittel= und
Kleinstaaten, die in dem Bundesverhältnis eine
fortwährende Bedrohung ihrer Souveränität er-
blickten und deswegen schon auf bem Wiener Kon-
greß dem Einigungswerk die größten Hindernisse
Deutsches Reich.
1222
in den Weg gelegt hatten. Zur äußerlichen Kenn-
zeichnung ihrer Selbständigkeit hatten sie frei-
sinnige Verfassungen bewilligt und sich dadurch
die Gunst der Liberalen zugezogen, die denn auch
sofort den Schwerpunkt ihrer politischen Tätigkeit
in die mittelstaatlichen Kammern verlegten. Mit
Rücksicht auf die Sachlage wagten sie jedoch nicht,
den Anträgen der Großmächte offenen Widerspruch
entgegenzusetzen. Die liberale Opposition ver-
stummte allmählich auch hier. Da goß 1830 die
französische Julirevolution wieder Ol in das noch
immer glimmende Feuer. Das in Paris gegebene
Beispiel fand in Deutschland Nachahmung und
führte in Kurhessen, Sachsen und Braunschweig
zu den Verfassungen vom Jan. (Sept.) 1831 und
vom Okt. 1832, in Baden zum Erlaß eines libe-
ralen Preßgesetzes vom 28. Juni 1831. Der
Rückschlag ließ jedoch nicht lange auf sich warten:
die auf dem Hambacher Fest (27. Mai 1832)
offen gepredigte Aufforderung zu blutiger Er-
hebung gegen die Staatsgewalt konnte keine ge-
ordnete Regierung ruhig hinnehmen. Ein Bundes-
beschluß vom 28. Juni 1832 wiederholte daher
zunächst den Satz der Schlußakte, daß die gesamte
Staatsgewalt in dem Oberhaupt des Staats ver-
einigt bleiben müsse, und erklärte denselben als
verbindlich für alle Regierungen. Weiter stellte
er in Ausführung der Schlußakte fest: 1) Die
Landstände seien nicht berechtigt, politische For-
derungen durch Verweigerung der nötigen Geld-
mittel durchzusetzen. 2) Die Gesetzgebung der
Bundesstaaten dürfe der Erfüllung bundesstaat-
licher Verpflichtungen nicht hinderlich sein. 8) Zur
Erreichung dieses Zwecks sei eine Kommission für
Überwachung der ständischen Verhandlungen zu
bilden. 4) In letzteren dürfen die Grenzen der
freien Meinungsäußerung nicht überschritten wer-
den. 5) Die Auslegung der Bundes= und Schluß-
akte ist Sache des Bundes (nicht etwa der Einzel-
regierungen). Es erfolgte sodann der Bundes-
beschluß vom 5. Juli 1832, der verschiedene Be-
stimmungen über Zeitschriften, Vereine, Volks-
versammlungen, Abzeichen (Verbot anderer als
der sog. Landesfarben), Auslieferung von Ver-
brechern enthielt, die bestehenden Bestimmungen
über die Universitäten einschärfte und gegenseitige
Hilfe unter den Bundesstaaten zusagte. Nach dem
Frankfurter Attentat (3. April 1833) wurde weiter
durch die Bundesbeschlüsse vom 30. Juni, 18. Aug.
und 10. Okt. 1833 eine Zentralbehörde wegen
eines gegen den Bestand des Deutschen Bundes
und die öffentliche Ordnung in Deutschland ge-
richteten Komplottes eingesetzt, welche bis 1842
in Tätigkeit war. Endlich fanden auf Veran-
lassung Preußens 1834 wiederholte Ministerkon-
ferenzen in Wien statt, welche verschiedene Be-
stimmungen der Schlußakte wieder in Erinnerung
brachten, die Einsetzung einer Kommission zur
Auslegung streitiger Verfassungsbestimmungen be-
schlossen und endlich die Veröffentlichung land-
ständischer Verhandlungen nur nach vorgängiger
39 *