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ebenso Liechtenstein und Hamburg. Das Ansehen
der Nationalversammlung sank immer mehr. Ihr
Rückgang beschleunigte sich noch durch die Begün-
stigung der angeblich zur Durchführung der Reichs-
verfassung, in Wirklichkeit zur Einführung der
Republik in Baden, der Pfalz und in Sachsen
ausgebrochenen Aufstände. Nachdem viele Staaten
ihre Abgeordneten abgerufen hatten, andere Mit-
glieder freiwillig ausgeschieden waren, sank sie
immer mehr in die Rolle eines revolutionären
Komitees zurück und verlegte ihre Sitzungen nach
Stuttgart (Rumpsparlament), wo sie am 19. Juli
1849 unter vollständiger Teilnahmlosigkeit des
deutschen Volks von der württembergischen Re-
gierung aufgelöst wurde. Dieses klägliche Ende
der mit so großen Ansprüchen eingeführten Ver-
sammlung hatte seinen Grund lediglich in der
vollendeten Unfähigkeit der die Bewegung beherr-
schenden liberal-demokratischen Partei und ihrer
Führer.
Preußen suchte inzwischen die politische Lage
auszunutzen durch das sog. Dreikönigsbündnis,
das die Gründung eines eigenen Bundes mit
Preußen an der Spitze und den Abschluß eines
weiteren Bundes mit Osterreich (Union) zum
Zweck hatte. Obwohl Bayern, Hannover und
Sachsen dem Plan widerstrebten, kam doch am
26. Mai 1849 ein Vertrag zwischen Preußen und
den letzten beiden Staaten auf Grund des Art. 11
der Bundesakte zustande. Die hierauf von Preußen
vorgelegte „Verfassung“ war nur eine abgeschwächte
Ausgabe der Reichsverfassung. Die deutschen Re-
gierungen beeilten sich daher mit dem Beitritt
nicht, obwohl eine Anzahl Mitglieder des Frank-
furter Parlaments auf einer Versammlung in
Gotha (die „Gothaer“") sich für den Entwurf er-
klärten. Bayern, Württemberg, Hessen-Homburg,
Frankfurt, Luxemburg, Holstein, Lauenburg und
Liechtenstein lehnten den Beitritt endgültig ab.
Da sich der Mangel einer starken Zentralgewalt
immer fühlbarer machte, schlossen Osterreich und
Preußen am 30. Sept. 1849 zu Wien eine
Übereinkunft, wonach sie die Ausübung derselben
unter Vorbehalt der Zustimmung sämtlicher Bun-
desstaaten bis zum 1. Mai 1850 übernahmen,
falls sie nicht schon früher an eine definitive Ge-
walt überginge. Nach diesem „Interim“" stellten
sich die beiden Vormächte wieder auf den Boden
des Bundesrechts und übertrugen die Zentral-
gewalt einer aus Vertretern Osterreichs und
Preußensbestehenden Bundeskommission zu Frank-
furt a. M., zu welcher die andern deutschen Staa-
ten Bevollmächtigte entsenden konnten. Der Reichs-
verweser genehmigte dieses Abkommen durch Er-
klärung vom 6. Okt. 1849, womit selbstverständ-
lich ein Verzicht auf seine Würde verbunden war.
Daneben setzte Preußen seine Versuche fort, den
deutschen Bundesstaat mit preußischer Spitze inner-
halb des Deutschen Bundes zustande zu bringen.
Die Bevollmächtigten der dem Dreikönigsbündnis
beigetretenen Staaten (der sog. Verwaltungsrat)
Deutsches Reich.
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beschlossen, unter Widerspruch von Sachsen und
Hannover, Wahlen zu dem sog. Volkshaus aus-
zuschreiben (20. Okt. 1849). Das auf Grund
dieser Wahlen zu Erfurt am 20. März 1850 zu-
sammengetretene Unionsparlament beriet die von
Preußen vorgelegte Verfassung und einige kleinere
Entwürfe und wurde am 29. April 1850 unter
Vorbehalt der Wiedereinberufung geschlossen.
Inzwischen hatten sich die Verhältnisse für die
Durchführung der Union immer ungünstiger ge-
staltet. Hannover war schon am 25. Febr. zu-
rückgetreten, Württemberg war gegen die geplante
Union, die Hansestädte und Sachsen waren nur
der Form nach beim Bündnis. Auch hatte Bayern
dem Berliner Verfassungsentwurf am 27. Febr.
einen andern entgegengesetzt, der von der Zu-
gehörigkeit Osterreichs zu Deutschland ausging
und wesentliche Vorzüge vor dem preußischen ent-
wickelte.
Diese Verhältnisse benutzte Osterreich geschicktund
lud noch während der Dauer des Erfurter Parla-
ments am 26. April sämtliche Bundesstaaten zu
einer außerordentlichen Plenarversammlung nach
Frankfurt, um über die Neugestaltung des Bundes
nach Ablauf des Interims zu beraten. Preußen
berief zwar zur Rettung der Union einen Fürsten-
kongreß nach Berlin (8. Mai 1850), konnte jedoch
seinen Zweck nicht erreichen. In der Bundes-
plenarversammlung, die allerdings nur von elf
Staaten beschickt war, wurde am 7. Aug. der
förmliche Antrag auf Reaktivierung des Bundes-
tags gestellt und angenommen, wobei indessen
ausdrücklich erklärt wurde, daß zu den früheren
Verhältnissen nicht zurückzukehren sei. Auf Grund
dieses Beschlusses richtete Osterreich am 14. Aug.
eine Einladung zur Beschickung des engeren Rats
an sämtliche Bundesstaaten. Preußen antwortete
am 25. Aug. mit einer entschiedenen Weigerung,
welche jedoch die Wiedereröffnung des Bundes-
tags am 2. Sept. nicht verhindern konnte.
Der Bundestag nahm die Leitung der deutschen
Angelegenheiten sofort in die Hand, genehmigte
trotz des Protestes Preußens den Frieden mit
Dänemark und griff dann in die sehr zerfahrenen
Zustände in Kurhessen ein. Daselbst hatte der
Kurfürst wegen seiner Zerwürfnisse mit den
Ständen und Beamten und der tatsächlichen
Steuerverweigerung des Landtags um die Da-
zwischenkunft des Bundes gebeten, dieser die
Bundesexekution erkannt und Bayern mit der
Durchführung derselben beauftragt. Da Preußen
das Land gegen den ausdrücklichen Widerspruch
seines Fürsten unter dem Vorwand „der Wah-
rung einer großen militärischen Verbindungslinie“
ebenfalls teilweise besetzt hatte, so schien ein Zu-
sammenstoß mit dem Bund unvermeidlich (Bron-
zell). Preußen schreckte jedoch vor dem Wagnis
eines Kriegs zurück. Russische Vermittlung hatte
inzwischen eine Zusammenkunft des Kaisers von
Osterreich und des Königs von Preußen in War-
schau herbeigeführt. Eine Verständigung kam da-