Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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Reuß älterer Linie dagegen abgelehnt wurde. Dem 
am 18. Aug. 1866 zu Berlin unterzeichneten Ver- 
trag trat am 21. Aug. auch Mecklenburg, am 
3. Sept. das Großherzogtum Hessen, am 26. Sept. 
Reuß älterer Linie, am 8. Okt. Sachsen-Meiningen 
und am 21. Okt. das Königreich Sachsen bei, 
Hessen-Darmstadt merkwürdigerweise nur mit 
seinen nördlich des Mains gelegenen Gebietsteilen, 
wozu später auch noch die zu Rheinhessen gehörigen 
Orte Kastel und Kostheim gerechnet wurden. Da 
die süddeutschen Staaten in ihren Friedensver- 
trägen, Luxemburg und Limburg aber im Londoner 
Vertrag vom 11. Mai 1867 die Auflösung des 
Deutschen Bundes und die Gründung des Nord- 
deutschen Bundes anerkannten, so blieb Liechten- 
stein der einzige Gegner, mit dem Preußen nicht 
förmlich Frieden schloß. 
Der genannte Berliner Vertrag vom 18. Aug. 
1866 enthielt die Vereinbarung eines Schutz- 
und Trutzbündnisses auf ein Jahr und nahm 
innerhalb dieses Jahrs den Abschluß eines festen 
Bundesverhältnisses in Aussicht. Als Grundlage 
diente der Entwurf zu einer neuen Bundesver- 
fassung, welche Graf v. Bismarck am 10. Juni 
1866 den deutschen Regierungen mitgeteilt hatte. 
Auf Grund des Wahlgesetzes vom Jahr 1849 
ordneten nun die verbündeten Regierungen Wahlen 
für einen Reichstag zur Beratung der Verfassung 
und der Einrichtungen des Norddeutschen Bundes 
an und sandten Bevollmächtigte zu den am 15.Dez. 
in Berlin eröffneten Konferenzen ab, um den von 
der preußischen Regierung vorgelegten Entwurf 
einer Bundesverfassung zu beraten. Die Be- 
ratungen wurden geheim gehalten und führten 
am 18. Jan. 1867 zur Annahme des Verfassungs- 
entwurfs, der dem am 12. Febr. gewählten und 
am 24. Febr. in Berlin zusammengetretenen 
Reichstag vorgelegt und von diesem am 16. April 
1867 auch im großen und ganzen mit 230 gegen 
53 Stimmen angenommen wurde. Die Vertreter 
der verbündeten Regierungen stimmten sofort dem 
Entwurf zu, der alsdann den gesetzgebenden Ge- 
walten der beteiligten Staaten zur verfassungs- 
mäßigen Genehmigung vorgelegt und am 25. Juni 
(mit Geltung vom 1. Juli) in den Einzelstaaten 
als Landesgesetz veröffentlicht wurde. Nun erst 
erfolgte die Bekanntmachung in dem Bundesgesetz- 
blatt vom 1. Aug. durch ein sog. Publikandum 
vom 26. Juli. Der Geburtstag des Nord- 
deutschen Bundes füällt daher auf den 
1. Juli 1867. 
Da die süddeutschen Staaten den im Prager 
Frieden vorgesehenen völker= oder staatsrechtlichen 
Verein nicht gründeten, auch keine irgendwie 
geartete Verbindung mit Osterreich suchten, so 
folgten sie naturgemäß immer mehr der An- 
ziehungskraft des Norddeutschen Bundes. Dieser 
Prozeß wurde noch beschleunigt durch den Ab- 
schluß zweier weiterer Verträge, nämlich eines 
Schutz= und Trutzbündnisses zur Erhaltung der 
Unverletzlichkeit ihrer Staatsgebiete, mit der Ver- 
Deutsches Reich. 
  
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pflichtung, beim Eintritt des Bündnisfalls ihre 
Truppen unter preußische Führung zu stellen; 
ferner durch Abschluß eines Zollvereinsvertrags 
vom 8. Juli 1867, der die Verlängerung des 
Zollvereins zunächst bis 1878 bestimmte und die 
Zollgesetzgebung einschließlich des Abschlusses von 
Handelsverträgen einem Zollbundesrat unter 
dem Vorsitz Preußens und einem Zollparlament 
(27. April 1868) übertrug. Nachdem sich die 
süddeutschen Staaten so ihrer militärischen und 
wirtschaftlichen Selbständigkeit zugunsten des 
Norddeutschen Bundes entäußert hatten, war der 
förmliche Eintritt in denselben nur noch eine 
Frage der Zeit. 
Die Voraussage bedeutender Staatsmänner, 
daß die Verdrängung Österreichs aus Deutsch- 
land die Franzosen sofort an den Rhein führen 
werde, bewahrheitete sich nur zu schnell. Napoleon, 
dessen selbstmörderische Politik von 1859 und 
1866 an Frankreichs Grenzen zwei National- 
staaten geschaffen hatte, bemerkte zu spät die ganz 
natürlichen Folgen seines Verhaltens. Der leicht- 
sinnig begonnene Kampf gegen den wohlgerüsteten, 
mit den süddeutschen Staaten verbündeten Nord- 
deutschen Bund kostete ihm und seiner Dynastie 
den Thron. Noch während des Kriegs wurden 
Unterhandlungen unter den süddeutschen Staaten 
zu München und daraufhin zwischen diesen und 
Preußen gepflogen. Die Frucht dieser Verhand- 
lungen war zunächst der zwischen dem Norddeut- 
schen Bund einerseits und Baden und Hessen 
anderseits am 15. Nov. 1870 zu Versailles ab- 
geschlossene Vertrag wegen Gründung eines Bundes 
zum Schutz des Bundesgebiets und des innerhalb 
desselben gültigen Rechts sowie zur Pflege der 
Wohlfahrt des deutschen Volks. Diesem schloß sich 
Württemberg durch ein Abkommen zu Berlin am 
25. Nov. unter Vorbehalt besonderer auf Post 
und Telegraphie bezüglicher Rechte an. Bereits 
am 23. Nov. war zwischen dem Norddeutschen 
Bund und dem Königreich Bayern ein Vertrag 
zu Versailles zustande gekommen, durch den letz- 
teres unter zahlreichen zur Sicherung seiner Selb- 
ständigkeit gewahrten Vorbehalten (Reservat- 
rechten) dem Bündnis beitrat. Zugleich erhielt 
die Bundesverfassung durch diesen Vertrag die 
durch die neuen Verhältnisse erforderlichen Ab- 
änderungen. Der neue Bund trat am 1. Jan. 
1871 ins Leben. Auf Vorschlag Bayerns erhielt er 
den Namen „Deutsches Reich“, der Inhaber 
des Bundespräsidiums, der König von Preußen, 
den Titel „Deutscher Kaiser“. Die durch alle 
diese Verhältnisse wörtlich und sachlich veränderte 
Reichsverfassung wurde am 16./20. April 1871 
verkündigt, nachdem die verschiedenen Verträge 
von den Vertretungskörpern des Norddeutschen 
Bundes und der beteiligten Staaten genehmigt 
worden waren. 
5. Das Deutsche Reich. a) Unter Wil- 
helm I. Die Grundlagen des neuen Reichs 
wurden befestigt und erweitert durch Schaffung
	        
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