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die Personen, die zur Ausübung der Rechtsanwalt-
schaft zuzulassen sind, von dem Konsul bestimmt.
Vor dem Gewerbegericht und dem Kauf-
mannsgericht werden Rechtsanwälte als Pro-
zeßbevollmächtigte oder Beistände überhaupt nicht
zugelassen.
Für den Zivilprozeß bildet die gesetzliche
Regel der Anwaltszwang, indem die Par-
teien vor den Landgerichten und vor allen Gerichten
höherer Instanz sich durch einen bei dem Prozeß-
gericht zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmäch=
tigten vertreten lassen müssen: Anwaltsprozeß.
Dieser Anwaltszwang bezieht sich sowohl auf die
mündliche Verhandlung als auf die vorbereitenden
Schriftsätze, welche die Unterschrift des Anwalts
enthalten sollen. In der mündlichen Verhandlung
kann jedoch jeder Rechtsanwalt die Ausführung
der Parteirechte und die ihm von dem beim Pro-
zeßgericht zugelassenen Anwalt übertragene Ver-
tretung übernehmen. Insoweit dagegen eine Ver-
tretung durch Anwälte nicht geboten ist (sog.
Parteiprozeß), können die Parteien den
Rechtsstreit selbst oder durch jede prozePfähige
Person als Bevollmächtigten führen und auch mit
jeder prozeßfähigen Person als Beistand erscheinen.
Das Gericht kann übrigens — zur Verhinderung
der Winkeladvokatur — Bedollmächtigte
und Beistände, welche, ohne Rechtsanwälte zu sein,
das mündliche Verhandeln vor Gericht gewerbs-
mäßig betreiben, zurückweisen. Diese Bestimmung
findet jedoch nach der laut Reichsgesetz vom 17. Mai
1898 erfolgten Anderung der Zivilprozeßordnung
auf Personen, denen das mündliche Verhandeln
vor Gericht durch eine seitens der Justizverwaltung
getroffene Anordnung gestattet ist — sog. Rechts-
agenten oder Rechtskonsulenten —. keine
Anwendung. (In solcher Weise wird leider ein
Rechtsanwaltsstand zweiter Ordnung geschaffen,
obwohl ein Bedürfnis hierzu nicht vorliegt, diese
Einrichtung aber schwere wirtschaftliche und sitt-
liche Nachteile im Gefolge haben wird.)
Was das strafrechtliche Verfahren an-
Advokatur.
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bestellt werden Rechtsanwälte, welche von der
vbersten Militärjustizverwaltung ernannt sind.
Von besonderer Wichtigkeit sind die über die
korporative Organisation des Anwaltsstands und
die Handhabung der Disziplin in demselben han-
delnden Bestimmungen, welche die Rechtsanwalts-
ordnung in den Abschnitten über die Anwalts-
kammern sowie das ehrengerichtliche
Verfahren trifft. Die innerhalb eines Ober-
landesgerichtsbezirks zugelassenen Rechtsanwälte
bilden eine Anwaltskammer, die ihren Sitz am
Ort des Oberlandesgerichts und einen durch die
Kammer aus ihren Mitgliedern gewählten Vor-
stand von 9 bis höchstens 15 Mitgliedern hat.
Die Obliegenheiten der Kammer sind: Feststellung
der Geschäftsordnung, Bewilligung der erforder-
lichen Mittel und Bestimmung der Mitgliederbei-
träge, Prüfung der Rechnungslegung des Vor-
stands. Der Geschäftsbereich des Vorstands um-
faßt die Aufsicht über die Pflichterfüllung der
Kammermitglieder und Handhabung der ehren-
gerichtlichen Strafgewalt, Vermittlung von Strei-
tigkeiten von Mitgliedern der Kammer unterein-
ander und mit Auftraggebern, Erstattung von
Gutachten für die Landesjustizverwaltung bzw.
die Gerichte, Verwaltung des Vermögens der
Kammer und jährliche Rechnungslegung. Vorstand
und Kammer sind berechtigt, Vorstellungen und
Anträge im Interesse der Rechtspflege oder der
Rechtsanwaltschaft an die Landesjustizverwaltung
zu richten. Die Beschlüsse werden in den Ver-
sammlungen nach absoluter Stimmenmehrheit ge-
faßt. Die Aufsicht über den Geschäftsbetrieb des
Vorstands führt der Präsident des Oberlandes-
gerichts. Alljährlich hat der Vorsitzende der Lan-
desjustizverwaltung und dem Oberlandesgericht
schriftlichen Bericht über die Tätigkeit der Kam-
mer und des Vorstands zu erstatten. Die ehren-
gerichtlichen Strafen gegen den Rechtsanwalt, wel-
cher die ihm obliegenden Pflichten verletzt, sind:
Warnung, Verweis, Geldstrafe bis zu 3000 M,
Ausschließung von der Rechtsanwaltschaft. Die
langt, so kann sich der Beschuldigte bzw. dessen Bestimmungen, welche in den zur Zuständigkeit
gesetzlicher Vertreter in jeder Lage des Verfahrens der Landgerichte gehörigen Strafsachen gelten,
des Beistands eines Verteidigers bedienen. finden mit wenigen Abweichungen auf das ehren-
Zu Verteidigern können die bei einem deutschen gerichtliche Verfahren Anwendung. Das Ehren-
Gericht zugelassenen Rechtsanwälte sowie die gericht wird gebildet durch fünf Mitglieder des
Rechtslehrer an deutschen Hochschulen gewählt Vorstands der Anwaltskammer mit Einschluß des
werden, andere Personen können nur mit Geneh= Vorsitzenden und dessen Stellvertreters. Die Klage
migung des Gerichts zugelassen werden. Not- /wird durch die Staatsanwaltschaft erhoben, die
wendig ist die Verteidigung in Sachen, welche Voruntersuchung durch einen von dem Oberlandes-
vor dem Reichsgericht in erster Instanz oder vor
dem Schwurgericht zu verhandeln sind; in den
Sachen, welche vor dem Landgericht in erster In-
stanz zu verhandeln sind, dann, wenn der Ange-
gerichtspräsidenten beauftragten Richter geführt.
# Die Hauptverhandlung, welche im wesentlichen auf
dem Grundsatz der Mündlichkeit beruht, ist nicht
öffentlich. Zu jeder dem Angeklagten nachteiligen
schuldigte taub oder stumm ist oder das 16. Lebens- Entscheidung, welche die Schuldfrage betrifft, ist
jahr noch nicht vollendet hat, oder wenn der eines eine Mehrheit von zwei Dritteilen der Stimmen
Verbrechens Beschuldigte die Bestellung eines Ver= erforderlich. Als Rechtsmittel sind zulässig die
teidigers beantragt. Nach § 341 der Militär-Beschwerde an das Oberlandesgericht und die Be-
strafgerichtsordnung werden als Ver= rufung an den Ehrengerichtshof, bestehend aus
teidiger zugelassen und können von Amts wegen dem Präsidenten des Reichsgerichts als Vorsitzen-