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Die Hamburg-Amerika-Linie und der Norddeutsche
Loyd, in deren Händen sich der größte Teil der
deutschen Handelsflotte (hinsichtlich der Tonnen-
zahl) befindet, sind die größten Reedereien der
Welt. Der größte Teil des deutschen Seeverkehrs
entfällt auf Hamburg, den größten Seehafen des
europäischen Festlands, Altona, Bremen und
Bremerhaven. Der gesamte Seeverkehr Deutsch-
lands mit dem Ausland (1875: 10,7 Mill. R.-T.,
1904: 35,04 Mill., davon 50 % deutsche Flagge)
wird nur von dem Englands, der Union, Italiens
und Frankreichs übertroffen; in Frankreich und
der Union ist der Anteil der eigenen Flagge aber
weit geringer. Etwa ein Drittel des deutschen
Seehandels, der über die Häfen Belgiens und
der Niederlande, entzieht sich übrigens der
statistischen Feststellung. Die natürlichen Binnen-
wasserstraßen, die großen schiffbaren Flüsse
und Ströme, sind in der östlichen Hälfte durch
zahlreiche Kanalanlagen zu einem vollständigen
Netz zusammengeschlossen, im Westen wird durch
den Rhein-Weser-Kanal ein solches Netz ge-
schaffen werden.
Das deutsche Eisenbahnnet (55.000 km)
wird hinsichtlich der Länge der im Betrieb befind-
lichen Bahnen nur von den Vereinigten Staaten
übertroffen. Die Dichtigkeit des Netzes beträgt
11 km auf 100 qkm (in Belgien 25, in Eng-
land 12 km). Relativ wird das Reich in der
Zahl der Postanstalten (1 auf 1 qkm) nur
von der Schweiz und von England, in der Zahl
der Postsendungen relativ von der Schweiz, ab-
solut von den Vereinigten Staaten übertroffen.
Im Telegrammverkehr folgt das Reich erst hinter
Frankreich, England und der Union, bei relativer
Betrachtung auch erst hinter den Niederlanden,
Norwegen und der Schweiz; im Fernsprechwesen
steht nach den Vereinigten Staaten an erster Stelle
das deutsche Seekabelnetz (30 000 km), gegen-
über dem Frankreichs und der Union, vor allem
gegenüber dem Englands unbedeutend.
VI. Die deutschen Schutzgebieke. 1. Togo.
Zum Schutz der an der Togoküste seit 1880 be-
stehenden deutschen Faktoreien wurde das Gebiet
im Juli 1884 von Nachtigal unter deutsche
Schutzherrschaft gestellt. Allmählich dehnte sich
das Protektorat nach Norden aus; 1885 und
1897 fanden Grenzregulierungen mit Frankreich,
1890, 1899 und 1904 mit England statt. —
Togo hat unter allen deutschen Kolonien die am
höchsten entwickelten kulturfähigsten Eingebornen,
dazu sehr günstige geographische Verhältnisse,
welche den Straßen= und Bahnbau sehr erleichtern,
und ist das einzige deutsche Schutzgebiet, das seit
einigen Jahren keines Reichszuschusses bedarf.
Für die Entwicklung nachteilig ist, daß der Haupt-
fluß, der Volta, auf englischem Gebiet mündet.
Die Küstenplätze sind Bagida, Anecho (bis 1905
Kleinpopo) und der Regierungssitz Lome. Die
wichtigsten Ausfuhrartikel sind Kautschuk, Palm-
kerne, Mais (wichtigste Anbaufrucht der Einge-
Deutsches Reich.
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bornen), Rohbaumwolle (der Wert der nach
Deutschland ausgeführten Rohbaumwolle betrug
1906: 165 000 M, 1902 erst: 15.000 M); ein-
geführt werden namentlich Textil- und Filzwaren,
Eisenwaren, einfache Gewerbeerzeugnisse für den
täglichen Gebrauch. An Eisenbahnen bestehen
165 km, die Küstenbahn Lome-Anecho (Hafen-
stadt) und Lome-Misahöhe. Im Bau begriffen
ist eine Bahn Lome-Atakpame (180 km).
2. Kamerun. Obgleich Hamburger Kauf-
leute (Woermann), die Ende der 1860er Jahre
an der Biafrabai Handelsniederlassungen errichtet
hatten, schon seit 1874 den Schutz des Reichs
nachsuchten, schritt die deutsche Regierung doch erst
ein, als den deutschen Interessen von englischer
und französischer Seite Gefahr drohte. Am 14. Juli
1884 hißte der kaiserliche Kommissar Nachtigal
an verschiedenen Punkten der Küste die deutsche
Flagge. Die von englischer Seite geschürten Un-
ruhen, welche bald nach der Besitzergreifung aus-
brachen, wurden mit Hilfe deutscher Kriegsschiffe
schnell unterdrückt. Die endgiltige Unterwerfung
des sich bis an den Tsadsee ausdehnenden Hinter-
landes nahm die weiteren Jahre in Anspruch und
ist infolge der geringen Verkehrswege eigentlich
heute noch nicht ganz vollendet. Kleinere Auf-
stände erforderten all die Jahre hindurch Opfer
an Gut und Blut. Die Abgrenzung gegen den
englischen Besitz erfolgte durch mehrere Verträge
(1885, 1886, 1890, 1893), ebenso gegen den
französischen Besitz (1885, 1894, 1908). —
Kamerun ist infolge seiner geographischen Lage,
von der Biafrabai bis zum Südgestade des Tsad-
sees, für den Handel aus dem Sudan nach der
atlantischen Küste gut befähigt. Die wirtschaft-
liche Bedeutung der Kolonie liegt ferner in den
günstigen Bedingungen für den Plantagenbau an
den fruchtbaren Hängen des Kamerungebirges,
besonders aussichtsreich sind Kautschuk= und Ka-
kaokulturen. Ausgeführt werden Olpalmenpro-
dukte, Kautschuk, Kakao und Elfenbein, die Ein-
fuhrartikel sind die gleichen wie in Togo. Der
Hauptort ist Duala, an der Mündung des Wuri,
Sitz des Gouverneurs das 1000 m hoch gelegene
Busa. Eisenbahnen sind im Bau von Duala nach
dem Manengubagebirge (Nordwestbahn, 160 km;
die Fortsetzung nach dem viehreichen Adamaua
ist projektiert) und von Duala nach dem schiffbaren
Teil des Njongflusses bei Widimenge (Südbahn,
350 km).
3. Deutsch-Ostafrika. Ende 1884 drang
eine von der Ostafrikanischen Gesellschaft (damals
„Gesellschaft für deutsche Kolonisation“) ausge-
sandte Expedition unter K. Peters, Graf J. Pfeil
u. a. in das Hinterland der Sansibarküste ein und
schloß Verträge mit den Eingebornen in Usagara,
Useguhu, Nguru und Ukami ab, auf Grund deren
diese ihr Gebiet mit allen Staats= und Hoheits-
rechten an die Gesellschaft abtraten. Am 27. Febr.
1885 wurden diese Erwerbungen unter den Schutz
des Deutschen Reichs gestellt. Da der Sultan von