Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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(Par. 1681 u. 1704), im Sinne der Kunst sach- 
und stilgemäßer Anfertigung von Urkunden der 
Kaiser und Könige, die im Unterschied von den 
Bullen der Päpste und den Bestallungsbriefen von 
Personen geringeren Rangs als Diplome bezeich- 
net wurden. Rechtsverständige, welche mit der 
Ausfertigung von derlei Urkunden befaßt waren, 
hießen gleichfalls Diplomaten. 
2. Diplomatische Schulung. Im Grund 
genommen wäre unter der Kunst der Diplomatie 
nichts anderes zu verstehen als die Art und Weise, 
wie diplomatische Verhandlungen eingeleitet, ge- 
führt und zum erwünschten Abschluß gebracht 
werden, wobei jeder Teil für sich das Beste und 
Gewinnreichste zu erhalten und für die Zukunft 
zu sichern sucht. Allein der diplomatische Beruf 
war von jeher vom Zwielicht einer Geheimkunst 
umgeben. Diplomatisch galt als Eigenschafts- 
wort, das, wofern es nicht amtlich gebraucht wurde, 
den Inbegriff von Schlauheit, Glätte und Kunst- 
fertigkeit bezeichnete, die eigenen Gedanken zu ver- 
bergen und die fremden zu erraten, Wahres aber 
nur dann zu sagen, wenn man sicher war, daß das 
Gegenteil davon geglaubt werde. Noch auf dem 
Wiener Kongreß 1814/15 und bis zum Jahr 
1848 war diese Diplomatenschule die tonangebende. 
Herzog Karl August von Weimar, der dieses 
Treiben während des Kongresses in nächster Nähe 
beobachtete, hat damals den Ausspruch getan, die 
Diplomatie sei nicht viel mehr als eine Zunft von 
Exzellenzen mit „Kanzleigehilfen im halbbrüchigen 
Konzept“. Die Maxime der Geheimtuerei, des 
Verschleierns und Vertuschens der Absichten und 
Vorgänge, die sog. Hintertreppenpolitik, gehört 
einer vergangenen Zeit an, wie auch die Meinung, 
daß sich ein richtiger Diplomat durch galante 
Abenteuer, geräuschvolles Auftreten und luxuriöse 
Haushaltung bemerkbar machen müsse. Die Siege 
der Diplomatie werden gegenwärtig zumeist in der 
Stille gewonnen, und als zuverlässiges Kennzeichen 
eines vorzüglichen Diplomaten gilt es, daß er von 
sich und seiner Tätigkeit so wenig als möglich 
reden macht. 
3. Die Amtsführung der Diplomatie ist 
einfach zu kennzeichnen. Sie hat nicht selbst Politik 
zu machen, vielmehr die ihr von den Lenkern der 
auswärtigen Politik erteilten Aufträge genau und 
scharf aufzufassen, alle Momente, Verhältnisse und 
Interessen im Staat ihrer Wirksamkeit aufzusuchen 
und auszunutzen, entgegenstehende Einwände zu 
entkräften oder durch Ermittlung von Gegenkon- 
zessionen auszugleichen, die Ehre und Würde des 
eigenen Staates überall zu wahren, tunlichste 
Zurückhaltung zu beobachten, um nicht zu früh 
gebunden zu sein und allfällige neue Chancen zur 
Erzielung größerer und weiterer Vorteile benutzen 
zu können. Nachsschließlicher Erreichung des Zieles 
hat sie in der getroffenen Vereinbarung alle Punkte 
unzweideutig, unanfechtbar, mit klarer Präzisierung 
der vollen Tragweite festzulegen. Dabei darf 
durchaus kein unredliches Mittel, keine Verschleie- 
Diplomatie, Diplomatisches Korps. 
  
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rung des wahren Tatbestandes und der wahren 
Absicht, nicht Hinterlist, Trug, Bestechung oder 
eine andere schlimme Kunst angewendet werden, 
soll nicht das Werk auf unmoralischem Grund be- 
ruhen und daher auch ohne Anspruch auf Bestand 
und Anerkennung bleiben. In entlegenen Erd- 
teilen, wohin Weisungen und Antworten auf An- 
fragen selten gelangen können, müssen wohl Politik 
und Diplomatie, besondens wenn Gefahr im Ver- 
zug liegt, von derselben Hand geübt und geleitet 
werden, weshalb auch im fernen Osten nur solche 
diplomatische Agenten am Platze sind, deren 
Kennerschaft von Land und Leuten durch vieljährige 
Erfahrung erprobt ist. Die Kunst der Diplomatie 
ist nicht etwas, zu dessen Erlernung bloß guter 
Wille und helle Geistesgaben ausreichen. Un- 
zweifelhaft gehört hierzu eine genaue Kenntnis des 
Völker= und Staatsrechts, der Geschichte und 
Statistik sowie die volle Beherrschung der fremd- 
ländischen Sprachen, auch der orientalischen, die, 
wie z. B. die chinesische, selbst den besten Kennern 
große Schwierigkeiten bereiten. Aber damit ist nur 
der Fonds gegeben, der nirgends fehlen darf. Um 
denselben richtigund rechtzeitig verwenden zu können, 
sind noch andere sehr wichtige Eigenschaften erfor- 
derlich. Der Diplomat muß Menschenkenner sein, 
Personen und Verhältnisse rasch und zutreffend zu 
würdigen verstehen. Natürlich erkennt man schnell 
die hervorstechendsten Eigenschaften einer Persön= 
lichkeit; aber jene genaue Kenntnis eines Charak- 
ters, welche alle Vorzüge und Schwächen heraus- 
findet, ihre jeweilige Stärke und Relation abwägt 
und zu beurteilen vermag, wie die betreffende 
Persönlichkeit in dieser oder jener noch nicht da- 
gewesenen Lage handeln würde, eine solche Fähig- 
keit ist nicht leicht anzutreffen, aber von größtem 
Wert, wenn ein diplomatischer Agent sie besitzt. 
Der Diplomat soll unter allen Umständen eine 
unerschütterliche Ruhe bewahren, gewinnende Um- 
gangsformen besitzen, mit Leichtigkeit und ohne 
Ermüdung seinen repräsentativen Obliegenheiten 
nachkommen und, wie Flassan sagt, ein schönes 
Talent mit einem guten Charakter verbinden. 
Damit ist hinlänglich gesagt, daß zu Diplomaten 
von Distinktion nicht allzu viele Personen sich eignen 
und aus dem sich darbietenden Personal mit großem 
Vorbedacht ausgesucht werden müssen. Man wird 
nur solche Aspiranten zu dieser Karriere zulassen, 
welche die entsprechenden Erwartungenrechtfertigen, 
und später zusehen müssen, was sich als wirklich 
brauchbar für den höheren Dienst herausstellt. 
Man wird überdies den UÜbertritt der effektiven 
Konsularfunktionäre zum diplomatischen Dienst 
nicht grundsätzlich ausschließen, wenn sich im Kon- 
sularkorps vollwertige Elemente für solche Stel- 
lungen, besonders in Ostasien, vorfinden. Man 
darf auch nicht etwa glauben, daß jeder Diplomat 
zu jedem Posten und jeder Art von Verhandlung 
geeignet ist. Es ist nicht dasselbe, ob ein Diplomat 
in Washington, in Paris, in St Petersburg oder in 
Jokohama, Peking usw. zu wirken hat; denn Ver-
	        
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