Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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Minister sind durch die Verfassungen verantwort- 
lich geworden, nicht nur der Krone, wie sie es von 
jeher waren, sondern auch der Volksvertretung 
gegenüber. Damit ist notwendig eine gewisse 
Selbständigkeit der Minister gegenüber der Krone 
gegeben, und daraus folgt die Möglichkeit eines 
häufigeren Wechsels in der Politik der aufein- 
anderfolgenden Ministerien. Treibt man daher 
jene Theorie heute noch auf die Spitze, so wird der 
Beamte zu einem willenlosen Werkzeug, des jewei- 
ligen Ministeriums, zu einem Werkzeug dessen 
Geist sogar der vorgesetzten Behörde unbedingt 
zur Verfügung steht, da ja der Beamte zum in- 
telligenten Gehorsam verpflichtet ist. Die zweite 
Anderung ist eingetreten durch die Ausdehnung 
der staatlichen gewerblichen Betriebe. Der Staat 
hat eine große Anzahl Beamte erhalten, die nie 
oder nur ganz ausnahmsweise obrigkeitliche Funk- 
tionen wahrnehmen und denen fast ausschließlich 
wirtschaftliche Aufgaben obliegen. Zu ihnen ge- 
hören die Post-, Telegraphen- und Eisenbahn- 
beamten. Ebenso gehören hierher die Bergwerks--, 
Forst= und Domänenbeamten; die diesen früher 
obliegenden obrigkeitlichen Befugnisse sind ihnen 
mehr und mehr genommen, so daß auch sie heute 
der großen Mehrzahl nach rein wirtschaftliche 
Beamte sind. Für alle diese kann unmöglich die 
alte Theorie in derselben Schärfe gelten wie für 
eigentliche Regierungsbeamte. Wie daher schon 
heute die richterlichen Beamten gegenüber der staat- 
lichen Disziplin freier gestellt sind, so müssen es 
in Zukunft auch die wirtschaftlichen werden, 
wenn auch nach einer andern Richtung hin. An- 
dernfalls würde eine Beschränkung der Freiheit 
dieser bei weitem zahlreichsten Beamtenklasse und 
eine Zurückdrängung der freien Selbstbestimmung 
des Volks bei den Wahlen in einem Maß statt- 
finden, welches schwere Bedenken hat. 
Zu besonderer Schärfe hat sich diese Frage in 
Preußen zugespitzt. Schon oben wurden die 
zu weitgehenden Ministerialerlasse von 1858 und 
1863 erwähnt. Doch beginnt hier auch bereits 
die Rückbildung. Ein Anklang an die notwendige 
Unterscheidung findet sich zuerst in dem Er- 
laß des Königs an das Staatsministerium vom 
4. Jan. 1882: „Für diejenigen Beamten, welche 
mit der Ausführung Meiner Regierungsakte be- 
traut sind und deshalb ihres Dienstes nach dem 
Disziplinargesetz enthoben werden können, erstreckt 
sich die durch den Diensteid beschworene Pflicht 
auf die Vertretung der Politik Meiner Regierung 
auch bei den Wahlen.“ In der Sitzung des 
deutschen Reichstags vom 24. Jan. 1882 inter- 
pretierte der Reichskanzler Fürst Bismarck diesen 
Erlaß mit den Worten: „Die Ausübung des 
Wahlrechts seitens der Beamten ist vollständig 
frei. Es ist ja ausdrücklich im Erlaß gesagt: „Mir 
liegt es fern, die Freiheit der Wahlen zu beein- 
trächtigen.. Der Erlaß unterscheidet zwischen 
politischen und unpolitischen Beamten. Beiden 
soll die Freiheit, zu wählen, wie sie wollen, gar 
  
Disziplin ufw. 
  
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nicht beschränkt werden. Aber von den politischen 
Beamten spricht Se. Majestät die Meinung aus, 
daß ihr Eid der Treue sie verpflichtet, die Politik 
Meiner Regierung zu vertreten .. Von den un- 
politischen Beamten verlangt Se. Majestät eigent- 
lich nichts. Der Erlaß erwartet, daß sie sich der 
Agitation gegen die Regierung enthalten. Das 
ist eine Forderung des Anstandes. Der Erlaß 
befiehlt nicht, droht nicht# er bringt nur den Eid 
in Erinnerung und überläßt es nun dem Takt 
und dem Gewissen des Beamten, seinen Weg zu 
finden.“ Damit ist der Unterschied zwischen den 
politischen Beamten, also den Ministern, 
Regierungsbeamten, Landräten usw., und den 
wirtschaftlichen Beamten theoretisch ge- 
macht. Die Aufgabe der Zukunft wird sein, ihn 
gesetzlich zu befestigen und den wirtschaftlichen Be- 
amten im politischen Leben eine größere Freiheit 
zu gewährleisten, als sie den politischen Beamten 
zugestanden ist. 
Eine eigenartige Beleuchtung hat die Disziplin 
über die eigentlich politischen Beamten neuer- 
dings in Preußen erhalten. Man hatte bisher 
angenommen, daß solche Beamte, wenn sie ein 
parlamentarisches Mandat angenommen hatten, 
als Abgeordnete in ihrer Abstimmung völlig 
der verfassungsmäßigen Freiheit genössen, obwohl 
sie in ihrer amtlichen Wirksamkeit zur Vertretung 
der Politik der Regierung verpflichtet sind. Die 
Maßreglung von Beamten, welche während des 
Militärkonflikts zu Anfang der sechziger Jahre des 
19. Jahrh. als Abgeordnete im preußischen Ab- 
geordnetenhaus mit der Opposition gestimmthatten, 
war allgemeinem Tadel begegnet und galt schon 
bald nachher als überwundener Standpunkt. Nach- 
dem jedoch im preußischen Abgeordnetenhaus im 
Jahr 1899 eine Reihe von Landräten und Regie- 
rungspräsidenten gegen die Vorlage betreffend 
den Bau eines Mittellandkanals gestimmt hatten, 
wurden sie sämtlich lediglich wegen dieser Stimm- 
abgabe „im Interesse des Dienstes“ ihres Amtes 
enthoben und zur Disposition gestellt. Diese 
Maßregel ist vom politischen Standpunkt aus 
ebenso verfehlt wie vom Standpunkt des parla- 
mentarischen Rechts, und man kann nur hoffen, 
daß sie sich nicht wiederholt, wenn auch die Er- 
klärung des Ministerpräsidenten Fürsten Hohen- 
lohe in der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 
11. Jan. 1900 ihr ausdrücklich den disziplina- 
rischen Charakter hat absprechen wollen. 
Eine sorgfältige, vielfach übereinstimmende 
Ausbildung hat das positive Disziplinar-= 
recht über Beamte erhalten in den Dienstprag- 
matiken und Landesordnungen der verschiedenen 
deutschen Staaten. Der Hauptgesichtspunkt des- 
selben ist ebensosehr das Bestreben, den Gehorsam 
der Beamten gegenüber den vorgesetzten Behörden 
sicherzustellen, als den Beamten gegenüber will- 
kürlichen disziplinarischen Maßreglungen der Be- 
hörden gesetzlichen Schutz zu gewähren. Man 
sand ihn darin, daß man die Absetzung an ein
	        
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