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In dieser angedeuteten äußern und innern
Gestaltung sind die Domkapitel bis zum Anfang
des 19. Jahrh. bestehen geblieben.
den sog. Reformkonzilien zu Konstanz und Basel
erlassenen Bestimmungen hatten nur den Zweck,
die etwaigen Beschränkungen in der Ausübung
ihrer Rechte zu beseitigen. Allerdings hat das
Konzil von Trient mit seinen Reformdekreten auch
hier nachdrücklichst eingegriffen, namentlich da-
durch, daß das kirchlich normale Verhältnis zum
Bischof wiederhergestellt wurde; indes blieben die
Verfassung und der Kern der Organisation un-
berührt. Auch die religiöse und politische Verände-
rung Deutschlands infolge der Reformation
wirkte nur numerisch vermindernd auf sie einz ihre
Gestaltung und politische Bedeutung wurden nicht
nur nicht gefährdet, sondern erhielten in den Be-
stimmungen des Westfälischen Friedens feste staats-
rechtliche Garantien. Erst mit den Veränderungen,
welche infolge der französischen Revolution gegen
Ende des 18. und in den ersten Dezennien des
19. Jahrh. fast in allen Ländern des europäischen
Staatensystems eintraten, erfolgte eine vollstän-
dige Umwandlung derselben, vornehmlich in
Deutschland.
Mit der Säkularisation der geistlichen Fürsten-
tümer durch den Reichsdeputationshaupt-
schluß hatten auch die Domkapitel ohne weiteres
ihre bisherige politische Bedeutung verloren. Mit
der Einziehung ihres Vermögensbestandes war
auch die materielle Grundlage weggefallen, auf
der ihre Verfassung und innere Einrichtung be-
ruhte. Den einzelnen Mitgliedern waren freilich
in dieser Weise noch nicht sofort die Existenzmittel
genommen; nach 8§ 53 sollten ihnen ja neun
Zehntel ihrer Einkünfte belassen bleiben, und mit
der Bestimmung, nach der sie einstweilen den
Kirchendienst wie bisher fortsetzen sollten, wurde
im § 62 wenigstens indirekt die Zusicherung er-
teilt, daß in ihrem bisherigen Zustand bis zu einer
neuen Dihzesaneinrichtung überhaupt eine Ver-
änderung nicht eintreten würde. Da jedoch die
gesetzlich bestimmten Pensionen oder Susten-
tationsquoten unregelmäßig und in willkürlich
vermindertem Maß oder gar nicht gezahlt wurden,
so blieb den Domkapitularen namentlich auch der
so dunkeln Existenzfrage ihrer Korporation gegen-
über nichts anderes übrig, als ihre Wirksamkeit
einzustellen und sich tatsächlich aufzulösen. Wenn
deshalb eine vollständige Aufhebung auch nicht
unmittelbar durch den Reichsdeputationshaupt-
schluß dekretiert wurde, so geschah sie doch in Ver-
anlassung und infolge desselben. Darum entspricht
es auch der tatsächlichen Lage nicht, in Anknüpfung
an den hierauf bezüglichen Ausdruck im § 35 von
einer Beibehaltung der Domkapitel zu sprechen; es
handelt sich vielmehr um eine wahre und wirkliche
Wiederherstellung, die dann auch mit der in Aus-
sicht gestellten und durch die Territorialverschie-
bungen notwendig gewordenen neuen Diözesan-
einrichtung erfolgte.
Domkapitel.
Die aufR
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Zunächst war ja dieselbe eine Reichsangelegen-
heit; es gehörte daher auch zur Kompetenz der
eichsgesetzgebung, die Ausstattungsleistungen,
welche den einzelnen Landesherren für die ihnen
zugefallenen kirchlichen Güter nach § 35 auferlegt
waren, näher zu bestimmen. Es wurden dem-
gemäß behufs Abschließung eines Reichskonkordats
mit dem päpstlichen Stuhl auch Verhandlungen
angeknüpft. Dieselben blieben jedoch ohne Er-
folg und waren mit der Abdankung des Kaisers
Franz II. (6. Aug. 1806) und der Auflösung
des deutschen Reichs überhaupt unmöglich ge-
worden.
Hiernach konnte diese Angelegenheit nur auf
dem Weg besonderer Vereinbarungen zwischen dem
Papst und den einzelnen souveränen Fürsten ge-
ordnet werden. Von Bayern und dann von Würt-
temberg sowie den übrigen Rheinbund staaten
geschahen zu dem Ende die ersten Schritte. Trotz
des anfangs günstigen Verlaufs der Verhand-
lungen kam es dennoch zu keinem endgültigen Ab-
schluß, da ein solcher im Jahr 1807 durch das
Eingreifen Napoleons vereitelt wurde. Während
der nun folgenden kriegerischen Zeiten konnte
selbstoerständlich an eine Wiederaufnahme und
Fortführung der so schroff abgebrochenen Ver-
handlungen nicht gedacht werden.
Aber auch nach Beendigung der Freiheitskriege
und der definitiven politischen Neugestaltung
Deutschlands erlitten dieselben bei einigen Staaten
noch längere Verzögerungen. Hauptgrund davon
waren die Schwierigkeiten bei der damaligen
Zerrüttung ihrer Finanzen den materiellen Ver-
pflichtungen nach gesetzlicher Vorschrift gerecht zu
werden. Das mit Bayern abgeschlossene Kon-
kordat konnte schon unter dem 26. Mai 1818
publiziert werden, wogegen die Verhandlungen
mit Preußen erst im Jahr 1821 zu einem end-
lichen Ergebnis führten, das den Inhalt der
Bulle De salute animarum vom 16. Juli 1821
bildet. Bald darauf war auch eine Vereinbarung
bezüglich der Oberrheinischen Kirchenprovinz er-
zielt; die darauf beruhenden Bestimmungen sind
in der Bulle Provida sollersque vom 16. Aug.
1821 enthalten und in der später erlassenen Bulle
Ad dominici gregis custodiam vom 11. April
1827 ergänzt worden. Die Verhandlungen, welche
Papst Pius VII. mit dem König von Hannover
begonnen hatte, wurden unter Leo XII. beendet;
es erfolgte die Publikation des Resultats der-
selben in der Bulle Impensa Romanorum ponti-
ficum vom 26. März 1824.
2. Diese Vereinbarungen bilden nun das
Rechtsfundament, auf dem die veränderte Ver-
fassung und Organisation der wiederhergestellten
Domkapitel des jetzigen Deutschen Reichs be-
ruhen, während die österreichischen, welche
ja von der Säkularisation nicht berührt wurden,
in ihrer früheren Gestaltung und mit den Ver-
änderungen, die unter der Einwirkung der jose-
phinischen Gesetzgebung eingetreten sind, bestehen