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blieben und nur in neuerer Zeit durch das Kon-
kordat vom 18. Aug. 1855 eine beschränkte Modi-
fikation im Sinn der tridentinischen Reform-
dekrete erfahren haben.
UÜberall ist für die Mitglieder der alte Name
canonici beibehalten; aber die Unterscheidung
derselben nach mehreren in sich verschiedenen Kat-
egorien ist bei der gänzlichen Umgestaltung
der Vermögensverhältnisse, mit denen sie ja zu-
sammenhing, fortgefallen. Es gibt nur noch eine
Klasse, die canonici capitulares, welche mit
ihrer Ernennung sofort die gleiche und volle Be-
rechtigung haben, d. h. votum in capitulo,
stallum in choro und eine Präbende, die aller-
dings im Vergleich zu den alten Dompräbenden
außer einer eigenen Wohnung nur in einer be-
stimmten, vom Staat konkordatsmäßig zu lei-
stenden Gelddotation besteht. Die Domkapitel in
den älteren preußischen Provinzen bilden in-
sofern eine Ausnahme, als hier die Unterscheidung
in canonici numerarü oder residentiales und
canonici honorarü oder non residentiales vor-
kommt. Diese letzteren sind von der Residenz-
pflicht wie von der Verpflichtung zum Chordienst
entbunden, haben indes bei etwaiger Anwesenheit
stallum in choro; es steht ihnen das Recht zu,
die volle Domherrenkleidung zu tragen; sie haben
Anspruch auf eine feste, wenngleich geringere
Gelddotation und namentlich auch das Recht zur
Teilnahme an der Bischofswahl. Hiernach sind
sie nichts weniger als bloße Ehrenkanoniker und
wesentlich verschieden von den canonici hono-
rar#, welche in Osterreich und Frankreich bestehen.
In den altpreußischen (mit Ausnahme von
Gnesen) und in den bayrischen Domkapiteln, wie
in den meisten ehemaligen, gibt es zwei Digni-
täten, die des Propstes und die des Dekans.
Dem Proypst als erstem Dignitar steht die Füh-
rung aller Kapitelsangelegenheiten zu, insofern
diese in die äußere Rechtssphäre der Kapitel fallen,
namentlich auch die Verwaltung des Vermögens;
zur Beratung und Erledigung derselben kann er
neben den feststehenden regelmäßigen auch außer-
ordentliche Kapitelssitzungen berufen; als Präsi-
dent hat er die etwaigen Gegenstände zur Be-
sprechung und Beschlußfassung vorzulegen, die ge-
faßten Beschlüsse auszuführen und überhaupt das
Kapitel nach außen zu vertreten, wogegen dem
Dekan als zweitem Dignitar die Leitung jener
Angelegenheiten, die den Pflichtkreis der Kapitel
bilden und sich auf Chor= und Gottesdienst be-
ziehen, zufällt. Im Verhinderungsfall des Propstes
gehen dessen Funktionen auf den Dekan über, und
für den abwesenden oder verhinderten Dekan tritt
der senior capituli ein. Wenn hiernach auch die
Kompetenzkreise beider Dignitare ihrem Inhalt
und ihrer Begrenzung nach mit denen der Pröpste
und Dekane der früheren Zeit sich fast vollständig
decken, so ist doch in ihrer Stellung und in ihrem
rechtlichen Verhältnis zu den übrigen Kapitels-
mitgliedern dadurch eine Anderung eingetreten,
Domkapitel.
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daß keinem von beiden irgendwelche eigene Juris-
diktionalbefugnis zusteht; sie haben nur das Recht,
welches jeder andere Domkapitular auch hat; ihr
votum ist nicht gewichtiger als das ihrer Kollegen,
und nur bei Gleichheit der Stimmen soll die des
Propstes entscheidend sein. Wo immer sie leitend,
ordnend, ausführend auftreten, handeln sie nur
als verantwortliche Organe des gesamten Kapitels;
sie sind keine Vorgesetzte, sondern primi inter
pares. Die Bezeichnung dignitas hat deshalb
auch nicht mehr die Bedeutung, nach der sie iden-
tisch ist mit praelatura oder praepositura; es
soll in ihr nur angedeutet werden, daß dem Träger
derselben eine Präzedenz zusteht.
Hierneben sind in den Domkapiteln der alt-
preußischen Provinzen noch bestimmte Amter
früherer Zeit wieder eingeführt, wie das offücium
theologi und paenitentiarl, aber mit dem Unter-
schied, daß der betreffende Kreis von Obliegen-
heiten nicht bleibend mit einer Präbende verknüpft
ist, sondern einen rein persönlichen Charakter trägt,
indem nach der Bulle De salute animarum der
Bischof irgend einen Domkapitular zum canoni-
cus theologus oder paenitentiarius zu ernennen
hat. Auch ist auf Grund der genannten Bulle
bezüglich der Amtsobliegenheiten des Theologen,
im Gegensatz zu der tridentinischen Bestimmung,
die Anderung eingetreten, daß derselbe nicht mehr
den Bischof bei der Ausübung des kirchlichen Lehr-
amts in der gelehrten wissenschaftlichen, sondern
in der volkstümlichen Form der Schriftauslegung,
der Homilie oder Predigt, vertritt und eben des-
halb als Domprediger (concionator, Kölner
Statuten § 1 und Restitutionsdiplom § 12) fun-
giert. In Bayern soll jedoch, dem Wortlaut des
Konkordats gemäß, ein canonicus theologus
nach den Vorschriften des Konzils von Trient
ernannt werden. Die Amtsobliegenheiten des
Canonicus paenitentiarius sind dieselben ge-
blieben, d. h. er ist heute noch wie früher der
Gehilfe und Stellvertreter des Bischofs in der
Verwaltung des Bußsakraments und in der Hand-
habung der Bußdisziplin. — In gleicher Weise,
wie bei den eben genannten Amtern hervorgehoben
wurde, ist auch das oflcium parochi mit keinem
bestimmten Kanonikat verbunden; nur zeigt sich
bei diesem das Eigentümliche, daß das Kapitel
Inhaber desselben, parochus habitualis ist, zur
Ausübung der pfarrlichen Verrichtungen nun aber
unter Approbation des Bischofs eines seiner Mit-
glieder bestimmt, das dann als vicarius capituli
fungiert und parochus actualis ist. Eine Er-
innerung an die alten praebendae professorales.
lebt noch in der Bestimmung fort, daß je ein
Kanonikat der Domkapitel zu Breslau und Münster
einem Professor in der entsprechenden theologischen
Fakultät an der Universität Breslau und an der
Universität zu Münster übertragen werden soll.
In den Kapiteln der Provinz Hannover und
der Oberrheinischen Kirchenprovinzist bei der Neu-
organisation nur eine Dignität, die eines Dekans,