1339 Donoso
Das erste führte mich zur Bewunderung des
Katholizismus, das letztere langsam zu seiner
Liebe.“ — Die reichen staatsmännischen Beob-
achtungen in Frankreich hat Donoso Cortés in
seinen „Briefen über Frankreich“ (1842) nieder-
gelegt, und man kann sagen, daß der Verfall dieses
Landes unter dem Julikönigtum nie mit solchem
Scharfsinn von einem Zeitgenossen erfaßt worden
ist. Uber Louis Philippes Schicksal schrieb er schon
1841: „Ich bin voll Unruhe über ein Königtum,
das in Kraft einer Notwendigkeit und nicht in
Kraft der Prinzipien errichtet wurde.“
Im Jahr 1843 ging durch den Sieg des
Marschalls Narv#ez über Espartero das fran-
zösische Exil zu Ende. Mit der Rückkehr der
Regentin tat sich vor Donoso Cortés eine glän-
zende Zukunft auf. Seine Ankunft in Madrid
glich fast einer Ovation; er wurde mit gewaltigen
Majoritäten in die Cortes gewählt; Maria Chri-
stina ernannte ihn zum Staatsrat und verlieh ihm
den Titel Marquis de Valdegamas; als Unter-
händler der sog. spanischen Heiraten und der fran--
zösischen Allianz wurde er beiderseits mit den
höchsten Ehren ausgezeichnet. Zu größerer Ge-
nugtuung aber gereichte ihm die Aufnahme in die
königliche Geschichtsakademie, die erste literarische
Körperschaft Spaniens. Seine Antrittsrede über
„die Bibel“ und das in ihr grundgelegte Ge-
sellschaftsideal versetzte alle in Staunen und Ent-
zücken: in der Sprache der hl. Theresia und Lud-
wigs von Granada feierte Donoso Cortés mit dem
Stolz des Christen den Sieg über den Unglauben.
Nach der Thronbesteigung Pius' IX. glaubte
auch Donoso Cortés eine Zeitlang, die Stunde
der katholischen Lösung des politischen Problems,
„die unlösbare Allianz zwischen Autorität und
Freiheit“, sei da; aber die entsetzlichen Verbrechen
der römischen Demagogie, die Februarrevolution,
die allseitige Erhebung jener Demokratie, welche
sich mit dem Atheismus und der Anarchie iden-
tifizierte, als Freiheit das Recht der Zügellosig-
keit, als Fortschritt die schrankenlose Korruption
verlangte, bewirkten eine Anderung in seinen poli-
tischen Ideen, welche fortan in einer mehr autori-
tären Regierungsweise das Heil suchten. Wenn
der Herzog de Broglie in der berühmten Kontro-
verse, welche in dieser Wendung ihren Ausgangs-
punkt suchte, behauptete, Donoso Cortés sei in der
Politik ein „Neubekehrter“ infolge der Schrecken
von 1848, so ist nichts irriger. Es konnte sich bei
einem Mann von so gereifter politischer Reflexion
nicht um Schreckenseindrücke handeln; ihm lag
die Rettung der Autorität gegen die Anarchie am
Herzen, der Schutz der höchsten Interessen Gottes, 6/
der Kirche, der Völker gegen die radikale Negation
aller dieser Interessen, aus deren ungebeugter
Verteidigung für den Rest seines Lebens ein
soziales System oder besser eine soziale Syn-
these von weitesttragender Bedeutung für die Aus-
bildung der katholischen Welt= und Gesellschafts--
anschauung entstehen sollte. -
Cortäs. 1340
Dies wurde zuerst offenbar in der Cortessitzung
vom 4. Jan. 1849, angesichts der gegen die Auf-
standsversuche der spanischen Radikalen zu ergrei-
fenden Repressivmaßnahmen, deren Legalität be-
stritten wurde. Seine Rede über die Diktatur
wurde ein Ereignis weit über Spanien hinaus.
„Stände die Frage“, rief Donoso Cortés, „zwi-
schen der Freiheit und der Diktatur, ich würde
ohne Zaudern, wie Sie alle, für die Freiheit
votieren. Aber die Wahl steht zwischen der Dik-
tatur des Aufstands und der der Regierung.“ Im
Namen der Religion und der Gesellschaft erhebt
sich Donoso Cortés gegen den Radikalismus.
„Die Freiheit ist tot.. Nicht am dritten Tag.
nicht im dritten Jahr, vielleicht nicht in drei Jahr-
hunderten wird sie auferstehen. . Die Welt eilt
mit großen Schritten der Aufrichtung des riesen-
haftesten Despotismus und Zerstörungen entgegen,
wie die Menschen sie noch nicht gesehen.“ Es
kann nicht anders sein: es offenbart sich hier ein
Gesetz der Menschheit, ein Gesetz der Geschichte:
die Irreligion führt zum Despotentum. „Nur
eine zweifache Repression ist möglich, die innere
der Religion und die äußere der Politik. In dem
Maß, als das Thermometer der Religion steigt,
sinkt das der Politik; sinkt das der Religion, so
steigt das der Politik, die Tyrannei.“ In großen
geschichtlichen Zügen entrollt der Redner dieses
Fundamentalgesetz der menschheitlichen Entwick-
lung. Freie Völker hat es nur im Schutz der Re-
ligion gegeben. Angesichts des in Waffen star-
renden Europas und der grausigen Zerstörungs-
kämpfe bleibe nur ein Rettungsweg: die Umkehr
zugunsten der Religion. Schon seien durch die
modernen Verkehrsmittel die Schranken des ma-
teriellen Widerstands gebrochen; auch der mora-
lische Widerstand sei in der Zerrissenheit der Geister
unmöglich. „Eine einzige Rettung bleibt vor der
Katastrophe, eine einzige, wenn jeder nach seinen
Kräften an der. Erweckung der heilsamen Reaktion
der Religion arbeiten wollte. Ist sie möglich?
Ja. Ist sie wahrscheinlich? Mit tiefster Be-
trübnis sage ich: Ich halte sie nicht für wahr-
scheinlich. Ich habe Männer gesehen, sie gekannt,
die zum Glauben zurückkehrten, von dem sie sich
entfernt hatten; aber daß ein Volk, welches den
Glauben verloren, ihn wieder erobert hätte, ist
mir unglücklicherweise nicht bekannt.“
Gegen diese letzte Schlußfolgerung, den Ruf
der Verzweiflung an der sozialen Rettung, er-
hoben sich allseits die Männer der Hoffnung und
des sozialen Triumphes der Kirche. Vergebens.
Donoso Cortés hatte eine lang und tief bedachte
Überzeugung ausgesprochen. Dem Grafen Mont-
alembert gegenüber erklärte er den Sieg der philo-
sophischen Zivilisation für unbezweifelbar; dem
Marquis de Blanche-Raffin schrieb er: „Die Ge-
sellschaft ist auf den Tod getroffen; sie wird
sterben, weil sie nicht katholisch und der Katho-
lizismus allein das Leben ist.“ In Rede und
Gegenrede vertiefte sich der Streit. Ein neuer