Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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von dem universalen Heilmittel, welches Gott 
gegen diese universale Verfaulung in Bereitschaft 
hält.“ Mit dieser Rede und ihrer Ergänzung 
durch die Darlegung der „besondern Lage Spa- 
niens“ (30. Dez. 1850) schloß Donoso Cortés 
seine parlamentarische Laufbahn. 
Seit dem 22. Febr. 1849 war Donoso Cortés 
Gesandter der Königin von Spanien am Berliner 
Hof. Hier, in der unmittelbaren Nähe und Be- 
trachtung der deutschen und slawischen Volks- 
rassen, offenbarte sich in ihm eine andere, noch 
weit seltenere Größe, als es selbst die höchste Kunst 
der Rede ist, wir meinen die außerordentliche 
Gabe der politischen Divination. Etwas Scharf- 
sinnigeres als seine Briefe über „Preußen im 
Jahr 1849“ kann man im Hinblick auf die Er- 
eignisse der damaligen Zeit nicht lesen, besonders 
im Hinblick auf die innere und äußere Politik 
des Berliner Kabinetts seit 1849. In der Per- 
sönlichkeit Friedrich Wilhelms IV. fiel dem Ge- 
sandten eine seltsame Mischung von absoluti- 
stischer und mystischer Rede= und Anschauungs- 
weise inmitten der edelsten Eigenschaften des 
Geistes und Herzens auf. Der Staatsmann kon- 
statierte sofort (26. April 1849), daß eine Ver- 
schiebung der europaäischen Hegemonie von Süden 
nach Norden im Anzug sei: „Das Zepter der euro- 
päischen Diktatur scheint mir den Händen der latei- 
nischen Rassen zugunsten der deutschen und slawi- 
schen Rassen zu entfallen.“ — „Durch den Fort- 
schritt seiner Zivilisation, durch materielle Macht- 
entfaltung, durch den wachsenden Wohlstand, durch 
den Glauben, den Preußen den fremden Mächten 
an seine Bestimmung und an sein Glück einzu- 
flößen verstanden, hält es Deutschlands Schicksal 
in seiner Hand. Die preußische Armee ist die 
treueste und bestdisziplinierte in Europa. Tritt 
ein Mann von Energie an die Spitze der Ge- 
schäfte, so ist diese Armee imstande, das Antlitz 
der Dinge umzugestalten.“ Nach Abweisung der 
Kaiserkrone durch Friedrich Wilhelm IV. erklärte 
Donoso Cortés: „Dringt eines Tags die deutsche 
Einheit durch, dann wird Frankreich offen gegen 
eine Gestaltung der Dinge sich wehren müssen, 
welche logisch in seiner Depossedierung in Elsaß- 
Lothringen enden wird.“ — Alle Wege führen 
zum Kaiserreich; alle Völker gelangen bei ihm 
auf verschiedenen Wegen an.“ Und dann, wenn 
diese Einheit sich vollzogen, „wer wird schließlich 
Herr des weiten Reichs bleiben, die Monarchie 
oder die Demokratie, ein Demagogenklub oder der 
preußische König"? Nach eingehender Kritik der 
Kräfte der Demokratie kündigt Donoso Cortés 
furchtbare, gewaltsame Katastrophen an, wie alle 
europäischen Mächte sie erfahren; das Ende sei 
dunkel, auch dem hellsten Auge nicht erreichbar. 
Der Anfang des Jahrs 1851 findet Donoso 
Cortés auf einem neuen Beobachtungsposten, als 
spanischen Gesandten bei der französischen 
Republik: das Studium seines Lebens, die Zu- 
kunft des Katholizismus, fesselt auch hier sein 
  
Donoso Cortes. 
  
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innerstes Denken. Neue „Briefe über Frankreich“ 
und die Korrespondenz mit dem Grafen Raczynski 
(gest. 1874), damals preußischem Gesandten in 
Madrid, enthalten dessen Resultate. Nur wenige, 
die soziale Lage betreffende Außerungen seien er- 
wähnt: „Hinter den Parteien, die sich abschwächen 
und hinsterben, richtet sich ein atheistischer Pöbel- 
haufe empor; er hat Hunger und Durst; er besitzt 
im allgemeinen Stimmrecht die Keule des Her- 
kules. An dem Tag, und er ist nicht mehr fern, 
wo dieser Haufe seine Kraft mit der radikalen 
Schwäche der Parteien vergleichen wird, wird er 
es müde, diese Keule ferner durch fremde Hände 
dirigieren zu lassen; er wird sie selbst nach den 
Launen seiner Allgewalt handhaben; dieser Tag 
wird den Sturz der mächtigsten Nation der Welt 
in einen Abgrund ohne Namen sehen. Die Menge 
wird tun, was sie immer getan, das einzige, wo- 
zu sie imstande ist, und was sie getan, so oft es 
ihr gelungen ist, auf den Pfaden der Gewalttat 
in die Felder der Geschichte einzubrechen: sie wird 
sich je für den folgenden Tag einen Tyrannen 
küren, einen Götzen für die jeweilige Stunde, 
aus dem Nichts auftauchend, um alles zu sein, 
und ebenso aufhörend, alles zu sein, um im Nichts 
zu verschwinden.“ Am 1. Dez. 1852 schreibt er: 
„Alles verläuft hier in Paris, wie ich es an- 
gekündigt: das Parlament ist tot, seine Führer 
vor Schrecken gebannt, der Präsident Herr der 
Lage. Er wird den Staatsstreich vollführen an 
einem ihm beliebigen Tag, und das bald.“ Vor- 
her hatte er geschrieben: „Der Präsident wird 
triumphieren; aber der Sieg wird weder dem 
Präsidenten noch der Nationalversammlung zu- 
fallen, sondern der Revolution.“ Am 24. Mai 
1852 gibt Donoso Cortés bereits sein Endurteil 
über die Politik Napoleons III. ab, über den Pakt 
des zweiten Kaiserreichs mit der Revolution, und 
kündigt dessen Ende „in einem zweiten Waterloo 
oder besser in einer neuen Schlacht von Novara“ 
an; dem Fall aber wird „der definitive Triumph 
der Revolution folgen, wofern Gott, der uns an 
Wunder gewöhnt hat, ihr nicht auf die eine oder 
andere, aber immer wunderbare Weise ein 
Ziel setzt“. 
Der Kreislauf der Beobachtungen, Studien 
und Erfahrungen, welcher Donoso Cortés auf 
eine von keinem Zeitgenossen erstiegene Höhe ge- 
schichtsphilosophischer Spekulation getragen, nahte 
dem Abschluß. Seine Freunde bestürmten ihn, 
in einem letzten Werk die Synthese von „Kirche 
und Revolution"“ zu vollenden. Noch vor Schluß 
des Jahrs 1850 legte er den Essai sur le ca- 
tholicisme, le libéralisme et le socialisme 
(Madrid u. Paris 1851, deutsch 1854) am Grab 
der hl. Theresia in Alba de Tormes huldigend 
nieder. Das Buch bringt den Erweis für die 
Wahrheit des Satzes, daß gegen den modernen 
Sozialismus kein Heil mehr für die Mensch- 
heit ist als im Katholizismus, durch die Dar- 
legung einer dreifachen These. Der Katholizismus
	        
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