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findet.“ Kurz, das Buch sei wahr, und nach der
vom Verfasser beantragten lehramtlichen Prüfung
würden nur wenige Stilkorrekturen vorzuneh-
men sein.
Donoso Cortés selbst sollte weder den Brief
Pius' IX. noch das offiziöse Urteil der Civilta
mehr lesen noch über die an letzteres sich an-
knüpfende Polemik über die „Berechtigung des
freien Laienapostolats in der Kirche“ sich betrüben.
Am Abend des 3. Mai 1853 hatte ein schweres
Herzleiden ihn hingerafft; er war noch nicht
44 Jahre alt. Seine Leiden und letzten Augen-
blicke waren die eines christlichen Märtyrers,
sagt Montalembert. Seine letzten Worte waren:
„Mein Gott, ich bin deine Kreatur; du hast ge-
sagt: Ich werde alles an mich ziehen; ziehe mich,
nimm mich.“ Auf den Bericht des Minister-
präsidenten Francisco de Lersundi verfügte Isa-
bella die Ubertragung seiner Leiche nach Madrid,
„um öffentlich Zeugnis abzulegen für die Größe
und Wertschätzung der unvergleichlichen Dienste,
die er während seines Lebens der Religion, der
Gesellschaft, der Monarchie durch seine unschätz-
baren Talente und seine erprobte Loyalität ge-
leistet“.
Donoso Cortes war Idealpolitiker: Genie,
Charakteranlage, Lebensschicksale haben inmitten
seiner realpolitischen Diplomatenlaufbahn die
Grundrichtung seines Geistes immer tiefer be-
gründet und in seltener Vollendung ausgestaltet.
Als Idealpolitiker muß Donoso Cortés, will man
gerecht urteilen, gewürdigt werden. So schwer es
ist, einem Mann gerecht zu werden, der als letztes
Kriterium seiner Spekulation an eine Reihenfolge
von Ereignissen appellierte, deren unerwarteter
Verwirklichung er selbst bis zu einem gewissen
Grad angewohnt, so notwendig erscheint es, vor-
ab unsere Kritik gegen eine doppelte An-
schauungsweise zu verwahren. Unseres Erachtens
hat man fehlgegriffen mit der Behauptung, Do-
noso Cortés sei das Haupt der pessimistischen
Schule unter den modernen Katholiken, aber auch
mit der andern Behauptung, in ihm trete die ka-
tholische Weltanschauung uns am reinsten und
vollendetsten entgegen. Wir halten beide Be-
Donoso Cortés.
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Sieg des Christentums über die rationalistisch-
sozialistische Gesellschaft; er hielt diesen Sieg vom
„Übernatürlichen“ Standpunkt für „möglich“,
für seine Person aber nicht „wahrscheinlich“. „Ich
glaube“, sagte er, „an den natürlichen Sieg des
Bösen über das Gute und an den übernatürlichen
Triumph Gottes über das Böse mittels einer
direkten, persönlichen und souveränen Aktion.“
Die Ausdrücke „persönlich“ und „übernatürlich“,
auf die es hier ankommt, finden in einem Brief
an L. Beuillot (11. April 1850) folgende Er-
läuterung: „Ich habe nicht die letzte Katastrophe
der Welt angekündigt; ich habe einfach ganz laut
ausgesprochen, was jeder in der Stille sich selbst
sagt: Die Dinge nehmen einen schlimmen Ver-
lauf; wenn sie den innehalten, so werden wir bei
einem Kataklysmus enden. Der Mensch kann sich
selbst retten, wer zweifelt daran? Aber die Be-
dingung ist, daß er es will; und mir scheint, daß
er es nicht will. Wohl, wenn der Mensch sich nicht
retten will, so glaube ich nicht, Gott werde ihn
gegen seinen Willen retten.“ Das ist der präzise
Ausdruck der katholischen Wahrheit, kein Pessi-
mismus.
Donoso Cortés bleibt also wesentlich bei der
elementaren Wahrheit von der Einwirkung der
göttlichen Gnade auf die freien individuellen
Willen zur Rettung des einzelnen wie der den
Entwicklungsgang der Nationen bestimmenden
Mehrheit der Individuen in größeren Volks-
kreisen. Die Rettung der letzteren hielt er nicht
für „wahrscheinlich“ angesichts der von seinen
Zeitgenossen nicht verstandenen, von ihm aber mit
der ganzen Schärfe seines Geistes erfaßten und
vollkommen richtig gewürdigten Bedeutung des
Sozialismus, für ihn der Inkarnation des anti-
christlichen Prinzips in seiner letzten, größten,
weltumfassenden Ausgestaltung. Darin lag eine
Inkonsequenz und ein Fehler: eine Inkonsequenz
mit seinen eigenen Anschauungen von der absolut
freien, nie zu bemessenden Wirksamkeit der Gnade
auf die in ihren Wendungen und Hilfsmitteln
gleichfalls unberechenbare Kraft der menschlichen
Freiheit. Der Fehler ruht darin, die Zukunft,
die voll und ganz immerdar das ewige Geheimnis
hauptungen für Übertreibungen, wenig geeignet Gottes ist, wenn auch nur als „wahrscheinlich"
wie zur Erklärung, so zur objektiven Würdigung für irgend ein Ereignis von alles entscheidender
einer so außergewöhnlichen Persönlichkeit. Ist es Bedeutung prognostizieren zu wollen.
schon an und für sich wenig berechtigt, eine die Es lag in Donoso Cortes' Denkart eine Ten-
Selbstverzweiflung des modernen Nationalismus denz auf das Absolute hin, die sich gegen alle
und seine materialistische Selbstauflösung aus= Transaktion mit den immer wechselnden Er-
drückende Bezeichnung auf eine in denkbar schärf= scheinungen des geschichtlichen Lebens sträubte und
sten Gegensatz hierzu tretende Denkrichtung zu die ihn wie mit unwiderstehlicher Macht zur Ver-
übertragen, so hat es noch weniger Sinn, von teidigung alles dessen aufrief, was ihm gerecht
Pessimismus da zu sprechen, wo es sich um schien, ohne daß er stets die Gefahren und In-
eine tiefgründige Anwendung der Begriffe der konsequenzen einer solchen Tendenz beachtete. Daß
übernatürlichen Wahrheit auf die Beurteilung Geister von so idealer Veranlagung, einmal im
der natürlichen Geistes= und Gesellschaftsentwick= Vollbesitz jener absoluten dogmatischen Wahr-
lung handelt. Donoso Cortés glaubte, im Gegen= heiten, welche allein zur Uberwindung des radi-
satz zu den „Optimisten“ de Maistre, Montalem= kalen Irrtums ausreichen, des Zügels steter Selbst-
bert, de Tocqueville, Don Tosti, nicht an den beschränkungund Maßhaltungumsomehrbedürfen,