Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

1347 
findet.“ Kurz, das Buch sei wahr, und nach der 
vom Verfasser beantragten lehramtlichen Prüfung 
würden nur wenige Stilkorrekturen vorzuneh- 
men sein. 
Donoso Cortés selbst sollte weder den Brief 
Pius' IX. noch das offiziöse Urteil der Civilta 
mehr lesen noch über die an letzteres sich an- 
knüpfende Polemik über die „Berechtigung des 
freien Laienapostolats in der Kirche“ sich betrüben. 
Am Abend des 3. Mai 1853 hatte ein schweres 
Herzleiden ihn hingerafft; er war noch nicht 
44 Jahre alt. Seine Leiden und letzten Augen- 
blicke waren die eines christlichen Märtyrers, 
sagt Montalembert. Seine letzten Worte waren: 
„Mein Gott, ich bin deine Kreatur; du hast ge- 
sagt: Ich werde alles an mich ziehen; ziehe mich, 
nimm mich.“ Auf den Bericht des Minister- 
präsidenten Francisco de Lersundi verfügte Isa- 
bella die Ubertragung seiner Leiche nach Madrid, 
„um öffentlich Zeugnis abzulegen für die Größe 
und Wertschätzung der unvergleichlichen Dienste, 
die er während seines Lebens der Religion, der 
Gesellschaft, der Monarchie durch seine unschätz- 
baren Talente und seine erprobte Loyalität ge- 
leistet“. 
Donoso Cortes war Idealpolitiker: Genie, 
Charakteranlage, Lebensschicksale haben inmitten 
seiner realpolitischen Diplomatenlaufbahn die 
Grundrichtung seines Geistes immer tiefer be- 
gründet und in seltener Vollendung ausgestaltet. 
Als Idealpolitiker muß Donoso Cortés, will man 
gerecht urteilen, gewürdigt werden. So schwer es 
ist, einem Mann gerecht zu werden, der als letztes 
Kriterium seiner Spekulation an eine Reihenfolge 
von Ereignissen appellierte, deren unerwarteter 
Verwirklichung er selbst bis zu einem gewissen 
Grad angewohnt, so notwendig erscheint es, vor- 
ab unsere Kritik gegen eine doppelte An- 
schauungsweise zu verwahren. Unseres Erachtens 
hat man fehlgegriffen mit der Behauptung, Do- 
noso Cortés sei das Haupt der pessimistischen 
Schule unter den modernen Katholiken, aber auch 
mit der andern Behauptung, in ihm trete die ka- 
tholische Weltanschauung uns am reinsten und 
vollendetsten entgegen. Wir halten beide Be- 
Donoso Cortés. 
1348 
Sieg des Christentums über die rationalistisch- 
sozialistische Gesellschaft; er hielt diesen Sieg vom 
„Übernatürlichen“ Standpunkt für „möglich“, 
für seine Person aber nicht „wahrscheinlich“. „Ich 
glaube“, sagte er, „an den natürlichen Sieg des 
Bösen über das Gute und an den übernatürlichen 
Triumph Gottes über das Böse mittels einer 
direkten, persönlichen und souveränen Aktion.“ 
Die Ausdrücke „persönlich“ und „übernatürlich“, 
auf die es hier ankommt, finden in einem Brief 
an L. Beuillot (11. April 1850) folgende Er- 
läuterung: „Ich habe nicht die letzte Katastrophe 
der Welt angekündigt; ich habe einfach ganz laut 
ausgesprochen, was jeder in der Stille sich selbst 
sagt: Die Dinge nehmen einen schlimmen Ver- 
lauf; wenn sie den innehalten, so werden wir bei 
einem Kataklysmus enden. Der Mensch kann sich 
selbst retten, wer zweifelt daran? Aber die Be- 
dingung ist, daß er es will; und mir scheint, daß 
er es nicht will. Wohl, wenn der Mensch sich nicht 
retten will, so glaube ich nicht, Gott werde ihn 
gegen seinen Willen retten.“ Das ist der präzise 
Ausdruck der katholischen Wahrheit, kein Pessi- 
mismus. 
Donoso Cortés bleibt also wesentlich bei der 
elementaren Wahrheit von der Einwirkung der 
göttlichen Gnade auf die freien individuellen 
Willen zur Rettung des einzelnen wie der den 
Entwicklungsgang der Nationen bestimmenden 
Mehrheit der Individuen in größeren Volks- 
kreisen. Die Rettung der letzteren hielt er nicht 
für „wahrscheinlich“ angesichts der von seinen 
Zeitgenossen nicht verstandenen, von ihm aber mit 
der ganzen Schärfe seines Geistes erfaßten und 
vollkommen richtig gewürdigten Bedeutung des 
Sozialismus, für ihn der Inkarnation des anti- 
christlichen Prinzips in seiner letzten, größten, 
weltumfassenden Ausgestaltung. Darin lag eine 
Inkonsequenz und ein Fehler: eine Inkonsequenz 
mit seinen eigenen Anschauungen von der absolut 
freien, nie zu bemessenden Wirksamkeit der Gnade 
auf die in ihren Wendungen und Hilfsmitteln 
gleichfalls unberechenbare Kraft der menschlichen 
Freiheit. Der Fehler ruht darin, die Zukunft, 
die voll und ganz immerdar das ewige Geheimnis 
  
hauptungen für Übertreibungen, wenig geeignet Gottes ist, wenn auch nur als „wahrscheinlich" 
wie zur Erklärung, so zur objektiven Würdigung für irgend ein Ereignis von alles entscheidender 
einer so außergewöhnlichen Persönlichkeit. Ist es Bedeutung prognostizieren zu wollen. 
schon an und für sich wenig berechtigt, eine die Es lag in Donoso Cortes' Denkart eine Ten- 
Selbstverzweiflung des modernen Nationalismus denz auf das Absolute hin, die sich gegen alle 
und seine materialistische Selbstauflösung aus= Transaktion mit den immer wechselnden Er- 
drückende Bezeichnung auf eine in denkbar schärf= scheinungen des geschichtlichen Lebens sträubte und 
sten Gegensatz hierzu tretende Denkrichtung zu die ihn wie mit unwiderstehlicher Macht zur Ver- 
übertragen, so hat es noch weniger Sinn, von teidigung alles dessen aufrief, was ihm gerecht 
Pessimismus da zu sprechen, wo es sich um schien, ohne daß er stets die Gefahren und In- 
eine tiefgründige Anwendung der Begriffe der konsequenzen einer solchen Tendenz beachtete. Daß 
übernatürlichen Wahrheit auf die Beurteilung Geister von so idealer Veranlagung, einmal im 
der natürlichen Geistes= und Gesellschaftsentwick= Vollbesitz jener absoluten dogmatischen Wahr- 
lung handelt. Donoso Cortés glaubte, im Gegen= heiten, welche allein zur Uberwindung des radi- 
satz zu den „Optimisten“ de Maistre, Montalem= kalen Irrtums ausreichen, des Zügels steter Selbst- 
bert, de Tocqueville, Don Tosti, nicht an den beschränkungund Maßhaltungumsomehrbedürfen,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.