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Glaubens, das, einmal erweckt, belebt, zu vollem
übernatürlichem Leben durch die übernatürliche
Gabe der Wissenschaft und Erkenntnis gebracht,
die natürliche Intuition reinigte, klärte, über sich
selbst erhob. Man kann sagen, daß solche Durch-
dringung und Vermählung natürlicher und über-
natürlicher Erkenntnis und Wahrheit allein zu
jenem Tiefblick in die historische Ausgestaltung der
göttlichen Idee mit dem Menschengeschlecht, den
Völkern und den einzelnen zu befähigen imstande
ist, den wir mit dem Begriff der „Divination“
bezeichnen. Donoso Cortes verfuhr dabei, wie sich
aus einer genauen Beobachtung seiner Beweis-
führung ergibt, mehr analhtisch als synthetisch,
indem er auf dem Weg der Induktion, selten auf
dem der Deduktion, auf die Notwendigkeit einer
göttlichen Autorität, göttlichen wie menschlichen
Autorität für die Gesellschaften schloß. Fehl-
schlüsse, die man gesucht und in einigen Fällen
auch gefunden, beweisen hier gegen die Gabe der
Divination ebensowenig etwas, wie menschliche
Irrungen und Schwächen etwas gegen den gött-
lichen Charakter und die Realität des christlichen
Lebens beweisen.
Fassen wir unser Urteil über Donoso Cortés
und seine Bedeutung zusammen, so möchten wir
in Kürze sagen: Donoso Cortés ist der erste ge-
wesen, der das Wesen des Sozialismus, seine
weltgeschichtliche Bedeutung, seine die gegenwär-
tige Gesellschaftsverfassung auflösende Gewalt,
die totale Ohnmacht aller bloß natürlichen ge-
sellschaftlichen Kräfte zu seiner berwindung ohne
die übernatürliche Macht der Kirche erkannt,
ausgesprochen und mit fast wunderbarer Geistes-
überlegenheit seinen Zeitgenossen klar zu machen
bestrebt war. Sein Fehler war die Uberschätzung
des sozialistischen Problems an sich und die Unter-
schätzung der gegen den sozialen Umsturz unter
der Führung der Kirche sich sammelnden gesell-
schaftlichen Kräfte der Erhaltung. Dieser Fehler
ruhte in seiner zu abstrakten, fast mathematischen
Beurteilungsweise der konkreten, stets sich neu
bildenden sozialen Organismen, ein Fehler indes,
der weder seine persönliche Charaktergröße, die
selbstloseste Hingabe an die Lehre, das Leben und
das Wirken der Kirche mindern noch den Ruhm
des lebenslangen harten Kampfes für den Triumph
der Kirche beeinträchtigen kann, der aber darum
nicht minder ein Fehler schwerwiegender Art für
die prinzipielle Anschauungsweise über den Sozia-
lismus bildet und leicht ein Fehler des Verhaltens
im Kampf gegen denselben werden kann. Die
Überwindung des Sozialismus ist das Geheimnis
der Kirche, die unantastbare Grundlage für die
weltumfassende Größe ihrer Zukunft, für die
Rettung des Geschlechtes in der Grundverfassung
seines sozialen Bestehens, vielleicht nicht der gegen-
wärtigen Generationen, vielleicht nicht für diese
Nation, für jenes Einzelvolk, vielleicht nicht für
diese oder jene Form politischer Organisation,
aber sicherlich für alles, was im Bund mit der
Donoso Cortss.
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Kirche sich retten und neu gestalken lassen will.
Wir gehen nicht weiter in der Kritik dessen, der
jene Erhebung der sozialistischen Demagogie an-
kündigte, deren noch immer in ungeahntem Um-
fang steigende Entwicklung wir sehen, deren
erschütternde Wirklichkeit in Lehre und Tat uns
demütigt. Hätte Gott seine Tage verlängert, so
wäre Donoso Cortés eher als irgend einer seiner
Zeitgenossen berufen gewesen, mit sicherer Hand
den ehrenvollen Weg vorzuzeichnen, den die ka-
tholische Schule gleichweit von den gefährlichen
Illusionen Giobertis wie der sozialistischen Demo-
kratie Lamennais' im festeren Anschluß an die
Lehren, Weisungen und Mahnungen Roms zu
gehen hat.
So berechtigt das Bedauern demnach erscheint,
von einem solchen Mann verhältnismäßig wenige
literarische Denkmale seiner geistigen Arbeit
und Forschung zu besitzen, da er nur schrieb und
nur schreiben wollte, wenn eine besondere Pflicht
es ihm nahezulegen schien, und nie aufhörte, die
Unvollkommenheit dessen, was von ihm in der
Offentlichkeit erschien, zu beklagen, so reicht doch
das wenige gelegentlich Veröffentlichte und später
Gesammelte hin, um bei den kommenden christ-
lichen Generationen, wie Montalembert sagt, der
reinen und sich selbst vergessenden Seele eines
Mannes „ein frommes und zartes Angedenken zu
sichern“, der ihnen „unter der blendend schönen
Form seltener Originalität einige Fragmente der
ewigen Wahrheit hinterlassen, die mit dem unaus-
löschlichen Gepräge des Genies, des Glaubens und
der Demut bezeichnet sind“.
Für die Arbeiten seiner Jugend bis zu seinem
Wirken in Caceres und zu seinem Eintritt ins po-
litische Leben sind wir auf die Angaben seines
Schülers Gavino Tejado (Noticia biografica de
Don Juan Cortés, Madrid 1854) angewiesen. Be-
sonders wäre für diese Periode eine Sammlung
seiner ersten literar. u. polit. Arbeiten im Piloto.
Heraldo usw. angezeigt; die politische „Denkschrift"
an Ferdinand VII. über die spanische Thronfolge-
ordnung wäre in diese Sammlung aufzunehmen in
Verbindung mit der Antrittsrede zu Caceres. Vom
Augenblick seines Eintritts ins parlamentarische
Leben an (1839) bis zu seinem Tod hat Louis
Venillot eine Auswahl seiner Reden, Publikationen
und Schriften, wie sie in spanischen und französi-
schen Ausgaben erschienen, veranstaltet (Oeuvres
de Donoso Cortés, 3 Bde, Par. 2 1862 lmit Bild
u. Faksimilel); dieselbe beginnt mit einem Artikel
über die Orientfrage (aus dem Piloto, 1839) und
schließt mit dem Essai sur le socialisme; sie ent-
hält alle in unserer Darstellung angeführten Schrif-
ten, zum Teil mit wertvollen Einleitungen und bei
den prinzipiell wichtigsten mit Anmerkungen, die
einen ausreichenden Einblick in die seit 1849 an-
hebende Polemik gestatten. Da diese Ausgabe auf
Anregung und mit Unterstützung der Familie
Donoso Cortes' entstanden ist und Veuillot in der
größeren seiner Ausgabe vorangehenden „Einlei-
tung“ Familienbriefe benutzen konnte, so hat die-
selbe einen besondern Wert. Aus letzteren geht her-
vor (S. Xx u. XLf), daß Donoso Cortes