Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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Glaubens, das, einmal erweckt, belebt, zu vollem 
übernatürlichem Leben durch die übernatürliche 
Gabe der Wissenschaft und Erkenntnis gebracht, 
die natürliche Intuition reinigte, klärte, über sich 
selbst erhob. Man kann sagen, daß solche Durch- 
dringung und Vermählung natürlicher und über- 
natürlicher Erkenntnis und Wahrheit allein zu 
jenem Tiefblick in die historische Ausgestaltung der 
göttlichen Idee mit dem Menschengeschlecht, den 
Völkern und den einzelnen zu befähigen imstande 
ist, den wir mit dem Begriff der „Divination“ 
bezeichnen. Donoso Cortes verfuhr dabei, wie sich 
aus einer genauen Beobachtung seiner Beweis- 
führung ergibt, mehr analhtisch als synthetisch, 
indem er auf dem Weg der Induktion, selten auf 
dem der Deduktion, auf die Notwendigkeit einer 
göttlichen Autorität, göttlichen wie menschlichen 
Autorität für die Gesellschaften schloß. Fehl- 
schlüsse, die man gesucht und in einigen Fällen 
auch gefunden, beweisen hier gegen die Gabe der 
Divination ebensowenig etwas, wie menschliche 
Irrungen und Schwächen etwas gegen den gött- 
lichen Charakter und die Realität des christlichen 
Lebens beweisen. 
Fassen wir unser Urteil über Donoso Cortés 
und seine Bedeutung zusammen, so möchten wir 
in Kürze sagen: Donoso Cortés ist der erste ge- 
wesen, der das Wesen des Sozialismus, seine 
weltgeschichtliche Bedeutung, seine die gegenwär- 
tige Gesellschaftsverfassung auflösende Gewalt, 
die totale Ohnmacht aller bloß natürlichen ge- 
sellschaftlichen Kräfte zu seiner berwindung ohne 
die übernatürliche Macht der Kirche erkannt, 
ausgesprochen und mit fast wunderbarer Geistes- 
überlegenheit seinen Zeitgenossen klar zu machen 
bestrebt war. Sein Fehler war die Uberschätzung 
des sozialistischen Problems an sich und die Unter- 
schätzung der gegen den sozialen Umsturz unter 
der Führung der Kirche sich sammelnden gesell- 
schaftlichen Kräfte der Erhaltung. Dieser Fehler 
ruhte in seiner zu abstrakten, fast mathematischen 
Beurteilungsweise der konkreten, stets sich neu 
bildenden sozialen Organismen, ein Fehler indes, 
der weder seine persönliche Charaktergröße, die 
selbstloseste Hingabe an die Lehre, das Leben und 
das Wirken der Kirche mindern noch den Ruhm 
des lebenslangen harten Kampfes für den Triumph 
der Kirche beeinträchtigen kann, der aber darum 
nicht minder ein Fehler schwerwiegender Art für 
die prinzipielle Anschauungsweise über den Sozia- 
lismus bildet und leicht ein Fehler des Verhaltens 
im Kampf gegen denselben werden kann. Die 
Überwindung des Sozialismus ist das Geheimnis 
der Kirche, die unantastbare Grundlage für die 
weltumfassende Größe ihrer Zukunft, für die 
Rettung des Geschlechtes in der Grundverfassung 
seines sozialen Bestehens, vielleicht nicht der gegen- 
wärtigen Generationen, vielleicht nicht für diese 
Nation, für jenes Einzelvolk, vielleicht nicht für 
diese oder jene Form politischer Organisation, 
aber sicherlich für alles, was im Bund mit der 
Donoso Cortss. 
  
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Kirche sich retten und neu gestalken lassen will. 
Wir gehen nicht weiter in der Kritik dessen, der 
jene Erhebung der sozialistischen Demagogie an- 
kündigte, deren noch immer in ungeahntem Um- 
fang steigende Entwicklung wir sehen, deren 
erschütternde Wirklichkeit in Lehre und Tat uns 
demütigt. Hätte Gott seine Tage verlängert, so 
wäre Donoso Cortés eher als irgend einer seiner 
Zeitgenossen berufen gewesen, mit sicherer Hand 
den ehrenvollen Weg vorzuzeichnen, den die ka- 
tholische Schule gleichweit von den gefährlichen 
Illusionen Giobertis wie der sozialistischen Demo- 
kratie Lamennais' im festeren Anschluß an die 
Lehren, Weisungen und Mahnungen Roms zu 
gehen hat. 
So berechtigt das Bedauern demnach erscheint, 
von einem solchen Mann verhältnismäßig wenige 
literarische Denkmale seiner geistigen Arbeit 
und Forschung zu besitzen, da er nur schrieb und 
nur schreiben wollte, wenn eine besondere Pflicht 
es ihm nahezulegen schien, und nie aufhörte, die 
Unvollkommenheit dessen, was von ihm in der 
Offentlichkeit erschien, zu beklagen, so reicht doch 
das wenige gelegentlich Veröffentlichte und später 
Gesammelte hin, um bei den kommenden christ- 
lichen Generationen, wie Montalembert sagt, der 
reinen und sich selbst vergessenden Seele eines 
Mannes „ein frommes und zartes Angedenken zu 
sichern“, der ihnen „unter der blendend schönen 
Form seltener Originalität einige Fragmente der 
ewigen Wahrheit hinterlassen, die mit dem unaus- 
löschlichen Gepräge des Genies, des Glaubens und 
der Demut bezeichnet sind“. 
Für die Arbeiten seiner Jugend bis zu seinem 
Wirken in Caceres und zu seinem Eintritt ins po- 
litische Leben sind wir auf die Angaben seines 
Schülers Gavino Tejado (Noticia biografica de 
Don Juan Cortés, Madrid 1854) angewiesen. Be- 
sonders wäre für diese Periode eine Sammlung 
seiner ersten literar. u. polit. Arbeiten im Piloto. 
Heraldo usw. angezeigt; die politische „Denkschrift" 
an Ferdinand VII. über die spanische Thronfolge- 
ordnung wäre in diese Sammlung aufzunehmen in 
Verbindung mit der Antrittsrede zu Caceres. Vom 
Augenblick seines Eintritts ins parlamentarische 
Leben an (1839) bis zu seinem Tod hat Louis 
Venillot eine Auswahl seiner Reden, Publikationen 
und Schriften, wie sie in spanischen und französi- 
schen Ausgaben erschienen, veranstaltet (Oeuvres 
de Donoso Cortés, 3 Bde, Par. 2 1862 lmit Bild 
u. Faksimilel); dieselbe beginnt mit einem Artikel 
über die Orientfrage (aus dem Piloto, 1839) und 
schließt mit dem Essai sur le socialisme; sie ent- 
hält alle in unserer Darstellung angeführten Schrif- 
ten, zum Teil mit wertvollen Einleitungen und bei 
den prinzipiell wichtigsten mit Anmerkungen, die 
einen ausreichenden Einblick in die seit 1849 an- 
hebende Polemik gestatten. Da diese Ausgabe auf 
Anregung und mit Unterstützung der Familie 
Donoso Cortes' entstanden ist und Veuillot in der 
größeren seiner Ausgabe vorangehenden „Einlei- 
tung“ Familienbriefe benutzen konnte, so hat die- 
selbe einen besondern Wert. Aus letzteren geht her- 
vor (S. Xx u. XLf), daß Donoso Cortes 
 
	        
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