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Geistlichen (Personenstandsgesetz § 67) war nur für
den Fall lebensgefährlicher Erkrankung eines der
Verlobten aufgehoben (Einf.Ges. Art. 46 Nr III).
Eine wirkliche sachliche Errungenschaft war die
im Scheidungsrecht geschaffene, allerdings einge-
schränkte Möglichkeit der bloßen Aufhebung der
ehelichen Gemeinschaft statt der völligen Scheidung.
Dagegen haben die beiden andern Zugeständnisse
nur formale Bedeutung und sind vielfach über-
schätzt worden. Die Abschnittüberschrift „Bürger-
liche Ehe“ kann und will nicht bedeuten, daß es
neben der im Gesetzbuch behandelten bürgerlichen
eine zweite, von ihr verschiedene kirchliche Ehe gebe.
Sie soll besagen, daß hier nur die bürgerliche Seite
der (einen) Ehe geregelt werde. Aber diese bürger-
liche Ehe erschöpft die rechtliche Seite der Ehe
überhaupt, sie will die Ehe im rechtlichen Sinn
sein, wie denn auch das Gesetzbuch im übrigen nur
von der Ehe schlechthin spricht. Danach ist auch
das weitere Zugeständnis, der dem sog. Kaiser-
paragraphen (82) des Personenstandsgesetzes nach-
gebildete § 1588 (8. Titel) zu beurteilen, der
erklärt, daß die kirchlichen Verpflichtungen in An-
sehung der Ehe durch die Vorschriften dieses Ab-
schnitts nicht berührt werden sollen. Es können
unter diesen kirchlichen Verpflichtungen keine andern
als die Vorschriften verstanden sein, die den staat-
lichen nicht widersprechen. Tatsächlich werden im
Gesetzbuch in manchen Punkten kirchliche Bestim-
mungen nicht nur berührt, sondern durchbrochen,
und Ehegatten unter Umständen von Rechtspflichten
entbunden, die zugleich kirchliche Pflichten sind.
Der 8. Titel ist also nur als Höflichkeitsformel zu
bewerten und hat keinen juristischen Inhalt.
3. Die Zivilehe kann, wie schon der geschicht-
liche Uberblick zeigt, von verschiedener rechtlicher
Natur sein. Während der rein katholische Staat
keinen triftigen Grund hat, dem wohlgeordneten
kirchlichen Eherechtssystem ein eigenes zur Seite
oder entgegenzustellen, muß zugegeben werden, daß
der moderne Staat mit konfessionell gemischter
Bevölkerung bezüglich des Eherechts in einer
Zwangslage ist. Wenn gewisse Konfessionen, die
er nach dem Prinzip der Toleranz zuläßt, ent-
weder die eigene Reglung des Eherechts ablehnen
oder nur unzureichende oder unzuträgliche eherecht-
liche Bestimmungen besitzen, ist der Staat ge-
nötigt, ein eigenes Eherecht zu schaffen, da er auf
Grund der Parität z. B. die akatholischen Unter-
tanen nicht der Jurisdiktion der katholischen Kirche
überlassen kann. Wenn so der Staat den Nicht-
katholiken die Eheschließung vor seinem Beamten
ermöglicht, spricht man von relativer Notzivil-
ehe. Sie wird zur absoluten, wenn sie auch Katho-
liken offensteht, denen die kirchliche Eheschließung
verweigert wird. Wenn schon diese letzte Art die
Verachtung der kirchlichen Bestimmungen möglich
macht, so noch mehr die fakultative oder Wahl-
zivilehe, indem sie allen Katholiken wie Nicht-
katholiken die zivile oder kirchliche Eheschließung
freistellt. Immerhin tritt die Wahlzivilehe der
Ehe und Eherecht.
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kirchlichen Ehe nur als gleichberechtigt gegenüber,
während die dritte Art der bürgerlichen Ehe, die
obligatorische oder Zwangszivilehe, die allein-
berechtigte Form der Ehe sein will. Ergibt sich
jene mit einer gewissen Notwendigkeit aus dem
Prinzip der Gewissensfreiheit, so trägt diese einen
geradezu kirchenfeindlichen Charakter; sie bedeutet
die Trennung von Staat und Kirche auf dem
Gebiet des Eherechts. „Indem der Staat das
Rechtsinstitut der Ehe nach seiner Weise regelt,
und zwar erschöpfend, seine Voraussetzungen, seine
Wirkungen und regelmäßig auch seine Endigungs-
gründe, und hiernach allein die Existenz oder Nicht-
existenz einer Ehe beurteilt, läßt er der Kirche von
der rechtlichen Seite der Ehe so gut wie nichts,
höchstens noch ihre moralische Beurteilung und
religiöse Weihe.
Vonm kirchlichen und auch vom sittlichen Stand-
punkt aus betrachtet, ist deshalb das Zivileherecht
ein großes Ubel. Manche kirchlich unerlaubte, ja
ungültige Ehe gestattet es und stellt es mit der
kirchlich erlaubten und gültigen auf eine Stufe;
kirchlich gültige Ehen sind nach ihm unter Um-
ständen nichtig oder anfechtbar und darum trenn-
bar, kirchlich unlösbare Ehen durch Scheidung
lösbar. Es kann nicht geleugnet werden, daß da-
durch der wahre Begriff der Ehe als eines sittlich-
religiösen, heiligen Instituts im Volk allmählich
verwischt und ihre Bedeutung für das Volkswohl
geschwächt wird. Auch dem Prinzip der Gewissens-
freiheit wird die bürgerliche Ehegesetzgebung nicht
gerecht. Denn da sie vom kanonischen Recht nicht
bloß abweicht, sondern in gewissen Fällen seine
Übertretung fordert (z. B. die Fortsetzung der Ehe
trotz kirchenrechtlicher Nichtigkeit, ein Eheschei-
dungsurteil trotz kirchenrechtlicher Untrennbarkeit),
bringt sie Katholiken in Konflikt mit ihrer Kirche
und ihrem Gewissen.
Die Kirche muß gegenüber diesem Zivileherecht
des modernen Staates, wenn sie sich nicht selbst
aufgeben will, auf der weiteren Geltung ihrer Ehe-
gesetzgebung und Ehegerichtsbarkeit für Christen
bestehen. Sie fordert demnach von ihren Gläu-
bigen vor allem die Beobachtung ihrer Ehegesetze
und in strittigen Fällen die Anrufung ihrer Ge-
richte, zumal der Staat in der Regel dies nicht
hindert. Sie duldet aber, ja sie verlangt unter
Umständen, damit die Katholiken nicht der bürger-
lichen Rechtswohltaten verlustig gehen oder straf-
rechtlichen Folgen sich aussetzen, die Befolgung
auch der zivileherechtlichen Bestimmungen und ihre
Geltendmachung im Zidvilprozeß, jedoch nur,
soweit dies ohne Verletzung des christlichen Ehe-
begriffs und der wesentlichen Rechte der Kirche
Möglich ist.
Katholiken haben daher die zivilrechtlichen
Erfordernisse der Eheschließung zu erfüllen, auch
wenn sie über die kirchlichen hinausgehen. Sie
dürfen und sollen, wenn kein kirchliches Ehehinder-
nis vorliegt, die Eingehung der Ehe vor dem
Standesbeamten erklären, wenn das Zivilrecht sie