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können wir uns nicht verhehlen, daß sie an drei
großen, der heidnischen Weltanschauung wesentlich
angehörigen Fundamentalfehlern gelitten, welche
sämtlich die freie, naturgemäße Entwicklung des
Grundeigentums und der Industrie hemmten und
ohne Aufgeben ihrer falschen Grundlagen durch
kein Palliativ zu beseitigen waren. Das erste Ge-
brechen war der unmittelbare Zusammenhang, ja
die Einheit des Staats= und des Privatrechts,
weil durch sie jede feste, organisch fortschreitende
Begründung des Staats als solchen und die gleich-
zeitige Fixierung eines von allen politischen Wech-
seln unabhängigen, gesicherten individuellen Rechts-
zustandes unmöglich ward; denn die politische
Proskription, d. h. der wandelbare Wille der
Majorität, raubte mit dem Bürgerrecht zugleich
Hab und Gut und verkannte also das natürliche
Recht des Eigentums als einer unerläßlichen Be-
dingung der physischen und geistigen Entwicklung
des Menschen. Nur wo dem Eigentum unbedingt
der Schutz und die Achtung der Gesetze gesichert,
ist, wo es sich mit derselben heiligen Scheu um-
geben sieht, welche die Staatsgewalt selber über
die Parteien und ihre Angriffe erhebt, nur da
kann der Reiz des Eigentumserwerbs diejenige
Spannkraft erlangen, welche erforderlich ist, um
die Bürger zur energischen Tätigkeit und hier-
durch zur wirklichen Beherrschung der Natur zu
führen. Das zweite, noch eingreifendere Grund-
übel war die Sklaverei, welche alle Verhältnisse
und Ideen des Altertums so durchdrungen hatte,
daß selbst die Weisesten und Besten deren innere
Rechtsgültigkeit auch theoretisch nicht mehr be-
zweifelten. Aristoteles sagt in seiner „Politik“
(12, §8§ 14 15);: „Es ist offenbar, daß die einen
von Natur frei und die andern von Natur Sklaven
sind, und daß für die letzteren die Sklaverei ebenso
nützlich als gerecht ist.“ Auch die römischen Ge-
setzesstellen bezeichnen die Sklaverei als eine un-
zweifelhafte Satzung des allgemeinen rationellen
Völkerrechts (82, Inst. 1, 3; 1, 1 in fine D. de
iustitia et iure 1, 2). Der „tugendhafte" Cato
war der größte Sklavenhändler Roms. Diese
Einrichtung, welche allerdings der stolzen Freiheit
der Bürger zu einer vortrefflichen Folie diente,
konnte schon an und für sich nicht dazu beitragen,
Agrargesetzgebung, Agrarpolitik.
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times als mächtiges Gegengewicht geben konnte.“
Diesen drei Grundfehlern der vorchristlichen Staa-
ten ist es zuzuschreiben, daß das Altertum, welches
fast alle denkbaren Formen und Phasen der poli-
tischen und ökonomischen Einrichtungen durchlaufen
hat, die eine echte und gerechte Grundlage des
Staates nicht gefunden hat: die der vollen und
freien Entwicklung aller menschlichen Kräfte in
allen Künsten und Gewerben nach Maßgabe jedes
individuellen Berufs, der vollen Gleichheit im
Prinzip bei der größten Ungleichheit und Mannig-
faltigkeit der Erscheinung, des absoluten bürger-
lichen Rechtsschutzes ohne Rücksicht auf politische
Berechtigung, kurz, die Grundlage der Arbeit
und der persönlichen und bürgerlichen Freiheit
jedes Staatsbürgers, soweit die allgemeinen In-
teressen der Gesamtheit nicht in unmittelbare Kol-
lision mit den Gesamtinteressen der Individuen
treten. — Alle großen Staatsmänner und Gesetz-
geber des Altertums erkannten es als ihre Haupt-
aufgabe, der infolge jener Gründe, der Sklaverei
zumal, sich bildenden Ungleichheit im Besitz und
der dadurch notwendig erzeugten Störung des
Gleichgewichts der am Staatswesen arbeitenden
Kräfte entgegenzutreten, gleichzeitig aber auch den
Bestand der Familie und damit die Wehrkraft
des Landes durch Stammgüter zu sichern. Schon
in der mosaischen Gesetzgebung finden wir die
Anordnung, daß einem jeden streitbaren Mann,
600000 an der Zahl, ein ewiges, unveräußer-
liches Ackergut als ein heiliges Gotteslehen zu-
gewiesen werden sollte, welches nach jedesmal
49 Jahren (im Jubeljahr) frei von allen Schuld-
verbindlichkeiten mit Gebäuden und Zubehör an
den früheren Eigentümer oder dessen Erben zurück-
fallen sollte. Dieses Gesetz (vgl. Lev. Kap. 23
25 27) erwies sich aber als erfolglos und mußte
622 v. Chr. einem späteren Gesetz weichen: man
begnügte sich mit der beschränkteren Bestimmung,
daß in jedem siebten Jahr (dem Sabbatjahr) jedes
unbezahlte Darlehen erloschen sei (Duncker, Gesch.
des Altertums I 532). In Sparta machte
Lykurg durch eine neue Grundverteilung, derzu-
folge er Ackerlose bildete (lob 9000 oder 30.000,
ist ungewiß) und diese mit einer Anzahl Heloten
jedem streitbaren Mann überwies, dem Kampf
das allgemeine Rechtsbewußtsein zu beleben und des Adels gegen das Königtum und der besitzlosen
die egoistische Härte der Menschen zu zähmen; sie Adelsfamilie ein Ende; aber auch diese Einrichtung
mußte aber vor allem den Wert und die Würde hielt nicht lange stand. Das Grundeigentum häufte
der Arbeit mißachten lehren, weil diese nur das sich wieder in den Händen weniger, sogar von
Los der verachteten Sklaven ward. Das dritte Erbtöchtern, an, ungeachtet die Veräußerung von
Hauptgebrechen endlich, zum Teil eine Konsequenz Erbgütern, die Abtrennung eines Stücks vom
der beiden ersten, bestand darin, daß infolge irriger Stammgut, der Landhandel überhaupt in Sparta
politisch-philosophischer Grundanschauungen des verpönt war. Der alte Orakelspruch, auf den sich
Altertums der Gewerbfleiß der Völker, selbst die Lykurg berief: daß die Anhäufung des Vermögens
Athener nicht ausgenommen, niemals seine ganze
Kraft entfaltete und deshalb auch nicht jenen be-
weglichen Reichtum und jene vielseitige, regsame,
elastische Intelligenz zu schaffen vermochte, welche
dem ausschließlichen Einfluß des Grundeigentums
und der grundherrlichen Geschlechter ein ebenso legi-
in den Händen weniger und nichts anderes Sparta
vernichten würde, erfüllte sich wirklich (Duncker
a. a. O. III 368 ff). Athen stand, wie in seinem
ganzen sonstigen Charakter, so auch bezüglich der
Verteilung und Veräußerlichkeit des Grund und
Bodens in schroffem Gegensatz zu Sparta. Zwar